Der folker feierte 2023 Jubiläum. Statt des zu solchen Anlässen beliebten historischen Abrisses hat die Redaktion die Hauptakteurinnen und -akteure dieser Jahre zu Wort kommen lassen, wie sie die Entwicklung des Magazins im Rahmen ihrer eigenen Biografien erlebten. Drei Personen hatten den Posten der Chefredaktion zwischen 1998 und 2020 inne (Michael Kleff, Sabine Froese und Cecilia Aguirre), bevor es 2021 mit einer sechsköpfigen Inhaltsredaktion zu einer Auflösung dieses traditionellen journalistischen Konzepts kam. Als Verleger fungierte von den Anfängen bis ebenfalls Ende 2020 Christian Ludwig. In jeder Ausgabe des Jahres 2023 fand sich ein Interview mit einer dieser vier Personen.
Interview: Christian Rath
Wie wird man folker-Verleger?
Mike Kamp hat mich angerufen. Aus dem westdeutschen Folk-Michel und dem ostdeutschen Folksblatt solle eine gemeinsame Zeitschrift namens Folker! [Schreibweise bis 2009; Anm. d. Red. ] werden, sagte er; ob ich nicht Verleger werden wolle.
Und wie war deine Reaktion?
Das kam für mich out of the blue. Es gab zwar den Christian-Ludwig-Verlag, der vor allem das irland journal veröffentlichte, aber hauptsächlich hatte ich mit meiner Frau das Gaeltacht-Reisebüro aufgebaut. Als Verleger sah ich mich weniger. Ich fühlte mich aber sehr geschmeichelt und geehrt von dem Angebot – und habe es angenommen. Für mich war Mike als Herausgeber der Garant, dass der folker in die richtige Richtung laufen wird. Er war ja auch ein Linker wie ich.
Was macht ein Verleger eigentlich?
Der Verleger sorgt dafür, dass die Redaktion sich auf die Inhalte konzentrieren kann. Er organisiert den Druck und den Versand der Hefte. Er besorgt Werbung, betreut die Abos und zahlt die Honorare aus.
Und ist der folker dann „in die richtige Richtung gelaufen“?
Grundsätzlich ja. Aber diese Mischung aus Folk, Lied und Weltmusik fand ich nicht so gelungen. Ich bin neben dem klassischen Folk aus Irland, England oder den USA ein glühender Anhänger des deutschsprachigen politischen Liedes. Weltmusik war mir immer fremd, damit wollte ich wenig zu tun haben. Ich habe mal vorgeschlagen, aus dem folker drei Zeitschriften zu machen, weil wir da unterm Strich mehr Leute erreichen würden. Aber Mike und Chefredakteur Michael Kleff waren dagegen.
Auf was warst du beim folker richtig stolz?
Auf die „Blauen Seiten“, also die Terminankündigungen, die immer in der Mitte des folker eingeheftet waren. Das war ein richtig guter Service, den wir im Verlag erstellt haben. Das war auch die wichtigste Verbindung in die Szene.
Hast du mit dem folker etwas verdient oder war das ein Zuschussgeschäft?
Das ist schwer zu beantworten. Auf den ersten Blick hat es sich vielleicht nicht gerechnet. Aber der folker war für die Werbung von Gaeltacht wichtig. Und die Datenbank für die Konzerttermine nutzten folker und irland journal gemeinsam. Unterm Strich könnte es zeitweise einen kleinen Gewinn gegeben haben.
Wie hast du deine Rolle als Verleger gesehen?
Ich war sicher kein normaler Verleger und habe immer meine Ideen eingebracht. Ich glaube, mit einem Durchschnittsverleger hätte sich der folker – trotz aller Spannungen – nicht so gut entwickelt.
Woraus ergaben sich die Spannungen?
Ich hatte manchmal Ideen, die die Redaktion nicht realisieren wollte oder konnte, dann habe ich sie eben auf den Verlagsseiten im folker selbst umgesetzt. Ein Beispiel: Da starb Hanns Dieter Hüsch. Ich fragte: Macht ihr was dazu? Antwort: Nein. Dann habe ich eben einfach selbst etwas zusammengestellt.
Ohne jede weitere Absprache?
Ja, das war das Schöne. Ich konnte einfach auf meine „Blauen Seiten“ ausweichen und hatte dort so viele Seiten Platz, wie ich lustig war.
In der Redaktion kam dieses „Heft im Heft“, das ja oft auch ziemlich wild aussah und geschrieben war, nicht so gut an. Hast du das verstanden?
Natürlich. Aber ich habe das ja nicht gemacht, um die Redaktion zu ärgern, sondern weil ich es notwendig fand. Das wohl entscheidende Beispiel war die Coronakrise. Die Redaktion hatte im Heft 3+4/2020 nur zwei Seiten dazu eingeplant. Das fand ich unglaublich wenig angesichts der existenziellen Bedrohung für Musiker, Labels und Konzertveranstalter. Da habe ich in den rund fünfzig „Blauen Seiten“ eben noch einen großen Schwerpunkt zum Thema „Corona und Musik“ zusammengestellt.
Kurze Zeit danach kam es zur Trennung. Wie hast Du sie erlebt?
Mike kam zu mir und sagte: „Die Redaktion möchte nicht weiter mit dir als Verleger zusammenarbeiten.“ Das stieß bei mir auf keinen Widerstand.
Das klingt jetzt sehr abgeklärt …
Mein Verhältnis zum folker war keine reine Liebesbeziehung, eher eine Art Hassliebe. Ich hätte zwar den folker trotzdem bis ans Lebensende weitergemacht, schon aus protestantischer Pflichterfüllung, weil ich zu meinem Wort stehe. Aber die Trennung war auch okay. Wir haben etwa zehn Mails gewechselt und dann einen rund vier Zeilen langen Vertrag aufgesetzt, wonach Gaeltacht zum Beispiel noch drei Jahre kostenlos im folker annoncieren kann. Die Abonnentendatei hat die Redaktion bekommen. Die Namensrechte am folker gehörten Mike ohnehin schon privat.
Wie findest du den neuen folker?
Das Konzept mit Schwerpunkthemen finde ich im Prinzip gut. Das Heft zu „Musik und Klimawandel“ hat mich aber wenig interessiert. Wir gehen ohnehin einer Katastrophe entgegen. Wir müssten alle auf die Straße – wie früher. Die Umstellung auf vier (statt sechs) Hefte pro Jahr habe ich schon vor zehn Jahren vorgeschlagen, aber damals wurde das abgelehnt. Die Suche nach einem neuen privaten Verleger fand ich falsch. Der folker sollte der Szene gehören. Warum hat man keine Genossenschaft gegründet wie bei der taz? Das habe ich ebenfalls schon vor Jahren vorgeschlagen, aber auch das wurde abgelehnt. Ganz falsch finde ich außerdem, dass die folker -Termine nur noch im Internet angeboten werden. Ich will so etwas lieber gedruckt lesen. Und die vielen älteren folker -Leser vermutlich auch. Die Idee zu einem folker -Crowdfunding war meiner Meinung nach ebenfalls falsch, auch weil sie keinerlei mittel- oder langfristiges Konzept aufwies. Das war schade, weil es an Ideen und Möglichkeiten überhaupt nicht mangelt. Ich wäre übrigens für all die möglichen oder notwenigen Entwicklung auf eine Fundingsumme von 200.000 Euro gegangen …
Hast du in der Jugend auch schon Folk gehört oder gemacht?
Bei meinen Eltern und mir ging es nur um klassische Musik. Aber in meiner Jugend in der badischen Kleinstadt Bruchsal gab es schon interessante Bezüge zur Folkszene. So fuhr mein Fußballtrainer vom TSV 08 Bruchsal, ein Gewerkschafter, 1966 mit mir und ein paar anderen Jungs zum Burg-Waldeck-Festival. Da war ich vierzehn Jahre alt und habe noch nicht so viel verstanden. Außerdem lernte ich in Bruchsal Carsten Linde kennen, der damals bei den Jungdemokraten war, während ich den Juso-Ortsverband leitete. Später hat Carsten Linde das Irish Folk Festival gegründet. Eine Freundin in Bruchsal war Gabi Nendel, später Managerin der irischen Folkgröße Andy Irvine.
Du hast dich dann ja das ganze Berufsleben mit Irland beschäftigt …
Das denken viele, aber das stimmt nicht. Ich habe zunächst zehn Jahre als Sonderschullehrer gearbeitet. Das Reisebüro Gaeltacht haben wir 1983 gegründet, als wir ein Familientreffen der Ludwigs in unserem Ferienhaus in Irland organisieren wollten und feststellten, dass es keine guten, auf Irland spezialisierten Reisebüros gab. Wir fingen ganz klein an, aber zu unseren besten Zeiten um das Jahr 2000 herum brachten wir pro Jahr 26.000 Menschen nach Irland. Gaeltacht hatte damals 25 Mitarbeiter und saß in einem dreigeschossigen Geschäftshaus.
Und heute?
Heute haben wir noch rund acht Mitarbeiter. Der Rückgang begann schon lange vor Corona. Die Kunden können heute ja vieles direkt im Internet buchen, etwa Fähren und Ferienhäuser.
Welche Rolle spielte für dich das Magazin irland journal?
Es hieß anfangs Tarifdschungelbuch und wurde von Gaeltacht bezahlt. Als irland journal musste es dann abonniert werden, das war natürlich für uns günstiger. Wir berichteten über Kultur, Politik, Wirtschaft und Geschichte Irlands und hatten bis zu 10.000 Abonnenten, also deutlich mehr als der folker. Dort war ich nicht nur Verleger, sondern einfach alles, auch Chefredakteur. Das letzte Heft erschien im Herbst 2018. Ob es je einen Neustart gibt, ist noch unklar. Vielleicht stelle ich lieber die 100 bis 200 besten Texte des irland journals zusammen – als Buch. Mit dann 1.000 oder 2.000 Seiten.
Hast du auch mal in Irland gelebt?
Nein, nie. Seit ich zwanzig bin, wohne ich in Moers, wo meine Frau herkommt. Irland ist ein schwieriges Land, ein mafiöses Land. Donegal, wo unser Ferienhaus steht, wurde lange von zwei bis drei politischen Clans beherrscht. Auch zu Irland habe ich eine Hassliebe.
Bist du jetzt mit 72 im Ruhestand?
Nein. Ich nehme zwar viele Pillen gegen dies und das. Aber ich fühle mich total fit. Das Kerngeschäft von Gaeltacht läuft und die politischen Gruppenreisen erst recht. „Keine ruhige Minute“, sang der gute alte Reinhard Mey.
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