Ali Ghamsari

Der junge Großmeister des iranischen Tarspiels

28. Mai 2024

Lesezeit: 4 Minute(n)

Farahani, Vaziri, Shahnaz, Lotfi und Saket sind einige der Musiker, die das Spiel auf der iranischen Langhalslaute Tar seit dem 19. Jahrhundert prägten. Den 41-jährigen Ali Ghamsari sollte man inzwischen dazu zählen.
 Text und Fotos: Bernd G. Schmitz
Die sechssaitige Langhalslaute Tar mit ihrem aus Maulbeerholz gefertigten und mit dünner Tierhaut bespannten Resonanzkörper ist das zentrale Harmonieinstrument in der traditionellen Musik Irans, vor allem in der ernsten iranischen Kunstmusik. Obwohl das Instrument fast in jedem solcher Orchester gespielt wird, denken Kenner persischer Klänge dabei meist an einige wenige Musiker, die es auf der Tar nicht nur zu besonderer Meisterschaft gebracht haben, sondern das Spiel auf dem Saiteninstrument auch maßgeblich weiterentwickelten.

In dem Zusammenhang ist häufig vom „Vater der Tar“ die Rede, Ali Akbar Farahani (1821–1861), der am Hof Naser ad-Din Schahs musizierte und lehrte. Ali Naghi Vaziri (1887–1979), dessen musikalische Karriere Anfang des vergangenen Jahrhunderts begann, galt als früher Modernisierer der iranischen Musik. Besondere Wertschätzung bei der ihm nachfolgenden Generation genoss der Tarvirtuose Jalil Shahnaz (1921–2013). Der 2014 verstorbene Mohammad Reza Lotfi (* 1947), der als Sideman mit würdevollem Habitus die Konzerte berühmter Kollegen wie die des Sängers Mohammad Reza Schadscharian (1940–2020) adelte, war ein ebenso bedeutender Lehrer wie Instrumentalist. Beides gilt auch für Keyvan Saket (* 1961), einen musikalischen Kosmopoliten, der seiner Tar nicht nur traditionelle iranische Klänge entlockt, sondern auf Konzertreisen in Europa und Nordamerika mit seinem Instrument auch als Solist in großen Sinfonieorchestern bei Aufführungen westlicher Musik glänzt.

Neben den Genannten gab und gibt es unzählige gut ausgebildete junge Tarspieler im Iran. Ali Ghamsari ragt aus diesen allerdings heraus. Er ist das, was Mohammad Reza Mortazavi für die iranische Percussionkunst ist: noch relativ jung an Jahren im Vergleich zu den alten Meistern ihres Fachs und neugierig genug, um zu erproben, wie man das Spiel auf dem eigenen Instrument weiterentwickeln kann. Wichtig ist ihnen auch, über den Tellerrand des eigenen Genres hinauszuschauen.

Ghamsari, der ebenfalls aus der traditionellen Kunstmusik Irans kommt, hat das in den vergangenen Jahren intensiv getan. Eines seiner Projekte („Iranian Tar“) führte ihn in die entlegensten Winkel Irans, eines Landes, in dem es fast so viele Volksmusikkulturen wie Provinzen gibt. Überall tat sich Ghamsari mit lokalen Musikschaffenden zusammen und begleitete sie mit derselben Ernsthaftigkeit und handwerklichen Brillanz, wie er das auch in einem klassischen persischen Orchester tun würde.

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„Kritik aushalten zu müssen, ist das Schicksal vieler, die Erneuerung in der Musik anstreben.“

Als im Hier und Jetzt lebender Musiker versäumt er es dabei nicht, alles professionell filmen zu lassen. Die Zeugnisse seiner musikalischen Begegnungen lassen sich auf Youtube anschauen. Ali Ghamsari schafft damit nicht nur Aufmerksamkeit für seine eigene Arbeit, sondern auch für die vielen namenlosen Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort das musikalische Erbe des Vielvölkerstaats erhalten. Menschen, die ihn gut kennen, berichten, dass er diesen Musikschaffenden unprätentiös und auf Augenhöhe begegnet, wohl wissend, dass es keine klassische iranische Musik ohne die Volksmusik gäbe. Für den häufig etwas schüchtern wirkenden Musikstar, der Ghamsari inzwischen unzweifelhaft ist, scheint das der richtige Weg zu sein, um sich diesen musikalischen Schatz zu erschließen.

Die besondere Aura des Musikers Ali Ghamsari zeigt sich nicht in eitlem Gehabe, sondern durch sein instrumentales Spiel. Das beinhaltet virtuos miteinander verknüpfte Greif-, Zupf- und Schlagtechniken, mit denen er seiner Tar scheinbar mühelos miteinander verschmelzende Harmonien und Rhythmen entlockt. Auch Tapping und Hammering – also Spieltechniken, die man aus der Rockmusik und von Akustikgitarristen kennt – werden von Ghamsari eingesetzt. Gut zu beobachten ist all das zum Beispiel im Videoclip zum Musikstück „Ham Tan“ („Gleicher Körper“).

Sein erstes Orchester gründete der 1983 geborene Künstler im Alter von achtzehn Jahren. Zeitgleich begann er am Teheraner Musikkonservatorium zu studieren. Kurz darauf gewann Ali Ghamsari beim nationalen iranischen Jugendmusikfestival seinen ersten Preis.

Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde der Tarvirtuose aber erst durch die Zusammenarbeit mit dem acht Jahre älteren Sänger Homayoun Schadscharian, dem Sohn des bereits erwähnten, vor vier Jahren verstorbenen Großmeisters des traditionellen iranischen Gesangs. 2005 veröffentlichte der junge Schadscharian das Album Naghshe Khial („Rolle des Traumes“) mit von Ali Ghamsari komponierten Stücken. Weitere gemeinsame Tonträger folgen. Heute umfasst Ghamsaris Œuvre auch Kompositionen für Kammer- und Sinfonieorchester, Theater- und Filmmusik.

Der folker-Leserschaft ist der Musiker spätestens seit 2019 bekannt. Damals trat er beim Rudolstadt-Festival auf – im Rahmen des Länderschwerpunkts Iran. Seine Konzerte – solo gespielt oder mit seinem aktuellen Orchester, dem Hesar Ensemble – führten ihn auch in andere Staaten Europas, in die USA und nach Kanada. Ghamsaris künstlerischer Output ist gewaltig, was sich nicht nur an der Zahl seiner Videos auf Youtube messen lässt. 2013 hat er zudem mit Die Harmonie in der iranischen Musik sein erstes musiktheoretisches Werk veröffentlicht, das allerdings nur auf Persisch erschienen ist.

In einem seinerzeit mit der auflagenstarken Teheraner Tageszeitung Hamshahri geführten Interview beklagt Ghamsari die Vernachlässigung der Harmonie in der iranischen Musik. Diese würde „hinter dem Radif begraben“ [Anm. d. Autors: „Radif“ beschreibt die Ordnung und Systematik innerhalb traditioneller iranischer Melodien]. Gleichzeitig würde er dafür kritisiert, den Harmonien zu viel Aufmerksamkeit zu schenken.

Die daraus entstandene, breit geführte Kontroverse im Kreis iranischer Musikfachleute macht deutlich, wie relevant Ali Ghamsari inzwischen für diese ist. Die damit verbundene Kritik aushalten zu müssen, ist das Schicksal vieler, die Erneuerung in der Musik anstreben. Der Musiker Ghamsari scheint daran stetig zu wachsen.

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