Alles erlaubt – nur keine elektrische Verstärkung

Der Folk Club Bonn

3. Oktober 2024

Lesezeit: 4 Minute(n)

Dottys Sportsbar heißt nicht etwa so, weil sie in Bonn-Dottendorf liegt, sondern weil die Tochter der aus Irland stammenden Pächterfamilie der ehedem als Sträters bekannten Wirtschaft Dotty hieß. Die war später selbst Wirtin, bevor der jetzige Betreiber Ronald Schäfer übernahm. Das Dottys ist nicht nur Vereinslokal des Bonner Tennis- und Hockeyvereins BTHV, sondern an fast jedem ersten Freitag im Monat Konzertort des Folk Clubs Bonn.
Text und Fotos: Michael A. Schmiedel

Die englische Schreibweise ohne Bindestriche zeigt bereits etwas vom anglophilen Geist des Clubs. Denn ein sehr wichtiger Macher auf allen Ebenen der Kommunikation und Organisation sowie selbst musizierend ist John Harrison aus dem Dreieck Derbyshire, Leicestershire und Staffordshire. Der hatte schon auf der Insel in diversen Folkklubs Gitarre gespielt und gesungen, die in seiner Jugend so häufig waren, dass er fast jeden Abend in einem anderen auftreten konnte, und das in einem Umkreis von 25 Kilometern. Nach kurzer Zeit in Hamburg 1983 nach Bonn gekommen, fand er den Weg zum damaligen dortigen Folktreff im Anno Tubac, lamentiert darüber jedoch: „Leider ließen die Betreiber am Ende sehr laute Elektropunkgruppen mit großen Stapeln von Verstärkern und Lautsprechern zu, und das Folkpublikum verschwand sehr bald.“ Diese Kritik zeigt eines deutlich: Folkmusik muss im Folk Club Bonn ohne jede Verstärkung auskommen. Bis es so weit kam, spielte Harrison ein paar Jahre Bluesharp in einer elektrischen Bluesband in Sankt Augustin, vermisste aber das Spiel der akustischen Gitarre.

Im Oktober 2009 fuhren Harrison und Detlef Stachetzki mit der Bahn von Köln nach Bonn, und Ersteren überkam die Lust, Mundharmonika zu spielen. Das tat er auch spontan, und plötzlich war der Wagon voll junger Leute. So erwuchs die Idee der Gründung eines Folkklubs. Ein geeignetes Lokal – Zum Schützenhaus in Bonn-Graurheindorf – war schnell gefunden, und schon im Februar 2010 startete das Unterfangen. Sie begannen auch einen Weblog mit Berichten und Fotos, sodass Interessierte aus nah und fern – sogar aus dem Ausland – den Weg dorthin fanden.

Unverstärkte Musik schafft eine Unmittelbarkeit zwischen Künstler und Publikum.“

Das Anfang 2012 schließende Schützenhaus wurde durch das ebenfalls in Graurheindorf gelegene Haus Müllestumpe mit einem über hundert Personen fassenden Saal ersetzt. Da dieser aber nicht jeden ersten Freitag im Monat zur Verfügung stand, musste man einmal in den Rheindorfer Hof, einmal in den Club Galicia in Bonn-Friesdorf ausweichen, doch die Absage eines durchorganisierten und zugesagten Termins im Haus Müllestumpe machte einen erneuten Wechsel notwendig, der die Aktiven schließlich 2016 ins Dottys führte, das da noch Sträters hieß. Zufrieden mit Fassungsvermögen und Akustik des Nebenraums zum eigentlichen Schankraum, einem Hinterzimmer als Garderobe und einem Proberaum für die Musikschaffenden sowie mit der Zuverlässigkeit der Betreiber, fand der Folk Club Bonn (FCB) dort seine Heimat.

Duo Harfenlicht

 

Fünf lange Tische stehen zur Verfügung, an denen das Publikum während der Konzerte auch essen und trinken kann, etwas Platz vor der Tür zum Hinterzimmer fungiert als Bühne, auch ein Klavier steht bereit. Die Musizierenden dürfen in der Regel ein bis drei, manchmal mehr Stücke spielen oder Lieder singen.

Auftrittsnachfragen im Vorfeld oder spontan gibt es viele, auch von Profis auf Tournee. Keine Gage – denn die gibt es nicht – macht den FCB so beliebt, sondern das Publikum, das andächtig lauscht, begeistert mitklatscht oder mitsingt und dabei eine Atmosphäre schafft, die die italienische Musikerin Serena Finatti als „momenti veramente magici“ beschrieb.

Das Zusammenspiel sieht so aus: John Harrison moderiert und tritt auch selbst auf. Seit dem Tod des kanadischen Teammitglieds Steve Perry hilft Elena Giovio bei der Programmgestaltung und Kommunikation mit den Musikschaffenden. Detlef Stachetzki schreibt die Programme und schickt sie rund, er und Mario Domke schreiben Berichte auf Deutsch, John Hurd auf Englisch, Domke macht Tonaufnahmen und Sabine Büttner fotografiert.

Hans Ihnen am Klavier

 

Stilistisch gibt es kaum Grenzen. Jede Musik sei Folkmusik, denn Pferde machten keine Musik, zitiert Harrison Big Bill Broonzy. So wird auf Deutsch, Italienisch, Spanisch, vor allem aber auf Englisch gesungen, gegeigt, geflötet, geharft und getrommelt, Klavier und vor allem Gitarre sind die am häufigsten zu hörenden Instrumente. Rock- und Popsongs aus den Sechzigern bis Achtzigern dominieren gegenüber Volksliedern, Singer/Songwriter gegenüber Instrumentalstücken. Aber auch Gedichte, Tanz und Pantomime kommen vor. Nur eines ist partout verboten: elektrische Verstärkung. Harrison fühlt sich beunruhigt durch die Tendenz, auch in kleinen Räumen Verstärker einzusetzen und meint: „Unsere Erfahrung zeigt: Wenn die Musik leise ist, wird auch das Publikum leiser. Unverstärkte Musik schafft eine Unmittelbarkeit zwischen Künstler und Publikum, die mit Verstärker nicht erreicht wird.“

So steht, trotz Coronapause, 2024 der 150. Folk-Club-Termin an, dem das Team nicht ohne Stolz entgegenblickt. Und jeder Konzertabend endet mit einem Ritual: Alle singen gemeinsam „Jock Stewart“. John Harrisons Lieblingsstelle mag vielleicht sein: „I’m a man you don’t meet every day!“

1 Kommentar

  1. Gude zusammen!
    Ich schreibe hier jetzt nicht, um meinen eigenen Beitrag zu kommentieren, sondern um John Harrison nochmal zu Wort kommen zu lassen. Er schrieb mir folgendes zu Ergänzung oder auch Korrektur mit der Bitte, es hier einzustellen, weil er selbst derzeit zu viel mit der Vorbereitung des 150. FCB-Abends zu tun hat:

    „Das Einzige, dem ich möglicherweise widersprechen könnte, ist die Tatsache, dass ich nicht das Zentrum von allem bin, sondern nur die Spitze des Eisbergs, und der Folk Club ist eine Kombination aus einer Menge selbstloser Arbeit von so vielen anderen Menschen. Ohne sie wäre der Folkclub heute einfach nicht möglich. Ich bin nur ein kleiner Mann, der auf den Schultern von Giganten steht.

    Besonders vom ersten Tag an war die Beteiligung des Musikers und Medienkünstlers Barry L. Roshto entscheidend, ohne den der Folkclub nicht ins Leben gerufen worden wäre. Darüber hinaus hat ein anderer US-Bürger, Professor Steve Perry, mit seinem unermüdlichen Fleiß und seinem guten Humor schon in einem frühen Stadium der Entwicklung des FCB eine entscheidende Rolle für den anglophilen und internationalen Charakter des Folk Clubs gespielt.
    Das kann man hier schon erkennen:
    https://www.youtube.com/watch?v=y3c3vowv4Vw
    Der Youtube-Link führt zu: „Music Connects Generations“ – a Deutsche Welle Featurette of the Folk Club Bonn

    Mit folkigen Grüßen,
    Michael A. Schmiedel

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