folker präsentiert
Bereits mit dem hiesigen Konzertpublikum in Tuchfühlung, tritt die singende Cellistin nun in großem Rahmen auf, beim Rudolstadt-Festival innerhalb des Kuba-Schwerpunkts. Im Gepäck die Stücke ihres neuen, im Oktober erscheinenden Albums Caribe. Die weltgewandte, vitale Musikerin aus Havanna lebt wie viele ihrer Landsleute jedoch schon längst, sogar mehr als die Hälfte ihres jungen Lebens fernab der Insel. Trotz der gut gefüllten Post-Corona-Agenda nahm sie sich Zeit für einen Fernplausch.
Text: Katrin Wilke
Man muss die charismatische Künstlerin nicht länger – und sie selbst möchte das mittlerweile auch nicht mehr – mit ihrem namhaften Vater assoziieren. Doch hätte Ana Carla Maza ohne ihn und die Gitarristinnenmutter womöglich einen anderen Weg genommen. Hierzulande sagt der Name Carlos Maza nicht vielen etwas. Der 1974 in Chile geborene Mapuche-Musiker zog schon als Kind mit der Familie nach Kuba. Mittlerweile lebt er seit rund fünfzehn Jahren mit seiner kubanischen Frau in Katalonien. In Havanna, wo auch Tochter Ana Carla 1995 zur Welt kam, sowie in ganz Lateinamerika ist der geniale, visionäre Multiinstrumentalist und insbesondere Pianist bekannt. Auch in Frankreich, das mit der der Militärdiktatur Chiles geschuldeten Exilgeschichte seiner Familie gleichfalls verbunden ist. Dort, in Paris, begann auch die entscheidende, zur Professionalität führende Etappe der 28-jährigen Cellistin, Sängerin, Komponistin und nun auch Produzentin.
In unserem Videotelefonat stellten wir begeistert fest, dass wir beide uns schon vor gut zwanzig Jahren hätten begegnen können – beim grandiosen Konzert des Brasilianers Egberto Gismonti im Teatro Karl Marx in Havanna. „Und warst du nicht hinterher auch noch auf der Privatparty? Da war ich ja noch ein Kind.“ Ana Carla geriet also schon damals, 2002, dank ihrer gut vernetzten, eine Musikschule betreibenden Eltern in besondere Musiker- und Klangwelten. Wenn ich heute lese, dass der mit der Folklore Lateinamerikas, dem Klassikbackground, Jazz und anderer zeitgenössischer Musik agierende Vater besagten brasilianischen Pianisten zu seinen Seelenverwandten zählt wie auch Gismontis musikalisch ebenso eigenwilligen Landsmann Hermeto Pascoal, so schließen sich gleich mehrere wunderbare Kreise. Und die junge Musikertochter, mit der von früh an auch gemeinsame Familienalben aufgenommen wurden, bewegt sich in ebendiesem Kosmos mit einer nicht minder welt- und stiloffenen Haltung. Jedoch mit durchaus eigenen Mitteln und großem Emanzipationswillen, gerade auch als Frau aus dem väterlichen Schatten und den männerdominierten Musikwelten überhaupt herauszutreten.
Bei einer starken Frau, der vor allem als Klavierlehrerin tätigen Miriam Valdés, Schwester des kubanischen Pianogurus Chucho und Tochter von Bebo Valdés, bekam Ana Carla Maza Pianounterricht. Eine offenbar nachhaltige Erfahrung, ist doch der letzte Track ihres aktuellen Albums Bahía nach der 2021 an Corona verstorbenen „großen Maestra“ benannt. „Sie brachte mir die ganze Musik Kubas, ihre Synkopen nahe, glaubte stets an mich. Sie war sehr liebevoll und sagte immer ‚Arbeite da und da dran!‘, wenn wir zusammen im Duo spielten – sie am Klavier, ich am Cello.“
Dem Instrument, das sie mit acht zu spielen begann, galt bald ihre ganze Liebe. Maza erinnert sich schmunzelnd, wie ihre Oma sie auf dem Pferd vom Havannaer Stadtbezirk Guanabacoa zum Unterricht brachte. „Ich hatte das Cello erstmals im kubanischen Sinfonieorchester erlebt und fand es wunderschön. Ein Instrument, das in Herz und Seele widerhallt. Beim Spielen kommen Emotionen ans Licht. Es wurde mein Reisebegleiter und bester Freund, auch in intimen Momenten. Mit dem Cello konnte ich Einsamkeit und Sehnsucht genauso mitteilen wie Freude – einfach alle Gefühle gleichzeitig!“
Der frühe Traum vom Solistinnenpart im Sinfonieorchester erfüllte sich für sie tatsächlich sehr bald, nach der Ankunft der Familie in Spanien 2007. Ihr Cello-Wunderkind-Dasein fußt aus ihrer Sicht jedoch auch auf viel Fleiß und Arbeit, „denn ich wollte meine Wirklichkeit verändern“. Und die beinhaltete etliche Ortsveränderungen. Noch nicht volljährig, beschloss sie, das Elternhaus zu verlassen, um an ihrem langjährigen Sehnsuchtsort Paris zu studieren und somit ihre „eigene Stimme und Identität zu finden. Ich begann, Lieder zu komponieren und mehr an mich selbst als Schöpferin und nicht nur als Interpretin zu glauben.“
Diese Doppelqualität stellt sie seit 2016 auf nunmehr drei, bald vier eigenen Alben unter Beweis. Nach all dieser formal minimalistischen und doch musikalisch farbenprächtigen Soloarbeit wollte Maza die beiden Komponenten Stimme und Cello mit einem größeren Instrumentarium umgeben. So tat sich die Künstlerin, die während der Pandemie von Paris nach Barcelona umzog, für ihr kommendes Album und die damit einhergehenden Liveauftritte erstmals mit einer ganzen, multinationalen Band zusammen. Auf Caribe, einer quasi panamerikanischen Liebeserklärung an Kuba und die Karibik, finden sich unter anderem auch frühere Songs wieder, nun zusätzlich ausgestaltet mit Piano, Percussion, Schlagzeug und Bläsern.
Und so ist die junge, mit Buena Vista und Co. genauso wie mit Chanson und brasilianischer Musik verbandelte Singer/Songwriterin auch in Rudolstadt in entsprechend unterschiedlichen Konstellationen an passenden Orten zu erleben: solo in der Kirche und auf der Burg im Quartett.
Erwähnte musikalisierte Gefühlsvielfalt scheint bei den aktuellen Auftritten einer überwiegenden, geradezu geballten Lebensfreude gewichen zu sein. Ana Carla Maza feiert auf der Konzertbühne die von ihr geliebte, so profund musikalische Insel mit einer nostalgischen Heiterkeit, die sich vielleicht gerade aus geografischer und zeitlicher Ferne ergibt. Die Tochter eines langjährigen Wahlkubaners, der bis heute, auch von Europa aus, Revolution, Fidel, Che und Co. hochhält, räumt am Ende des Gesprächs unumwunden ein, dass sich in Kuba nicht nur die ökonomischen, sondern auch die humanitären Verhältnisse verbessern sollten.
Ob es daher das wichtigste deutsche Festival seiner Art – das sich ja stets auch politisch gibt – schafft, über Buena-Vista-Klischees und Revolutionsmythos hinaus ein wenig vom realen aktuellen Kuba und seinen Widersprüchen und Menschenrechtsverletzungen zu spiegeln, bleibt offen. Die acht geplanten Kuba-Acts verheißen fast durchweg eher Leichtfüßigkeit.
Neues Album:
Caribe (Persona Editorial, VÖ: Oktober 2023)
Termin:
8.+9.7.2023 Rudolstadt, Festival
Videolinks:
Ana Carla Maza Quartet, „Bahía“: www.youtube.com/watch?v=9fQaw5dc6mg
Ana Carla Maza solo live in der Philharmonie Luxemburg am 21.2.2023: www.youtube.com/watch?v=RsnZmouGMvs
Ana Carla Maza, „Tropical“: www.youtube.com/watch?v=GvS3VvtVO-4Mvs
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