Die Region von Salento, der Stiefelabsatz Apuliens, besitzt eine der lebendigsten Musikszenen Italiens. Das Ensemble Canzoniere Grecanico Salentino hat es wie kaum eine andere Gruppe der Region geschafft, diese in der restlichen Welt bekannt zu machen. 2018 erhielt das Septett mit dem Album Canzoniere den Songlines Award für eine der vier besten Produktionen Europas. Frucht der Auszeichnung war ihr Auftritt in der Royal Albert Hall.
Text: Martin Steiner
„Ich werde nie aufhören Musik zu machen!“
Brian McNeill bewegt sich mit seinen Aktivitäten weit jenseits dessen, was schottische Folkmusiker normalerweise zu bieten haben. Natürlich kann der Fiddler, Saitenspezi und Konzertinaspieler mit Reels oder traditionellen Liedern aufwarten, aber er ist in erster Linie Songwriter. Oder ist er in erster Linie Buchautor? Ein ganz klarer Fall von sowohl als auch, denn McNeill wollte seit seinen Teenagerjahren nie etwas anderes als Musik machen, komponieren und Bücher schreiben. „Durch Corona habe ich mehr Zeit dazu und fühle mich wie ein Kind im Spielwarenladen. Da gibt es keinen Ein- oder Ausschalter, ich mache stets beides.“ Von daher ergibt sich die Frage, was Covid und Lockdown mit einem Energiebündel wie ihm machen. „Im ersten Monat oder so fühlte es sich ein bisschen seltsam an, und natürlich sorgt man sich wegen der Nachteile – keine Touren, keine Konzerte. Aber dann wurde mir klar, dass es eine einzigartige Gelegenheit ist. Noch nie in den letzten fünfzig Jahren habe ich so viel Zeit an einem Ort verbracht! Als ich mich darauf eingestellt hatte, hieß es: neue Musik und Lieder, neue Romane und neue Geschichten. Manche Projekte sind abgeschlossen, die meisten nicht, aber das wird noch. Es ist befreiend. Aber ich weiß, ich habe das Glück, diese Auswahl zu haben. Die Musiker der jüngeren Generation haben im Lockdown jeden Menge Zeit und Arbeit verloren.“
Tatsächlich ist Brian McNeill seit über fünfzig Jahren in Sachen Musik unterwegs, 1969 als Mitgründer der Battlefield Band, Mitglied von Clan Alba oder Feast of Fiddles oder eben solo. Das musste natürlich auf die Art gefeiert werden, wie Musiker gerne ihre runden Jahrestage begehen, mit einem neuen Album. No Silence beweist überdeutlich, dass dieser Musiker noch lange nicht plant, Stille einkehren zu lassen. Die CD ist die Mischung, die man von ihm gewohnt ist: Lieder mit meist politischem Hintergrund, zum Beispiel „Sell Your Labour, Not Your Soul“ oder „Two Minutes Silence“, sowie Instrumentalstücke wie „The Coilsfield House Set“, alles nicht nur selbst geschrieben, sondern als Multiinstrumentalist komplett im eigenen Studio eingespielt. McNeill ist so musikhungrig wie damals, als er vierzehn Jahre alt war. „Ehrlich, es gibt Momente, da fühle ich mich so, als würde ich gerade erst anfangen. Ich werde nie aufhören Musik zu machen!“
In den letzten Jahrzehnten kam zur Musik die Schriftstellerei. McNeills erste literarische Figur war der Straßenmusiker Alex Fraser, der 1989 in dem Roman The Busker debütierte. Es folgte To Answer The Peacock, als dritter Teil erschien letztes Jahr No Easy Eden. Alex Fraser ist ein Ruheloser mit einer defekten Vergangenheit, der eigentlich nur in Fußgängerzonen für etwas Kleingeld schottische Instrumentals auf seiner geliebten Fiddle spielen möchte, aber immer wieder in dubiose und letztendlich kriminelle Dinge verwickelt wird, bei denen er der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen will. No Easy Eden spielt ausschließlich in Deutschland, angefangen in Rothenburg ob der Tauber. „Den Ort habe ich nachts durch Zufall gefunden, als ich den Rest der Battlefield Band treffen wollte. Ich bin im Regen zweimal die Stadtmauern abgelaufen, war hin und weg, und seitdem hat die Stadt ihren Reiz für mich nicht verloren.“ Die Geschichte erfährt ihren Höhepunkt im Osten der Republik, etwa auf Rügen. „Die alte DDR hat mich schon immer fasziniert, seit die Battlefield Band erstmals in den Achtzigern auf dem Festival des politischen Liedes auftrat. Eine Intention von No Easy Eden war, zwei völlig unterschiedliche Teile dieses Landes zu beschreiben, das mir sehr viel bedeutet.“
Brian McNeill
Foto: Jacqueline France
Brian McNeill ist ein politisch denkender und wohl auch handelnder Mensch. Diese Vermutung legen zahlreiche seiner Lieder nahe, und auch in seinen Romanen sind die politischen Umstände nie ausgeblendet. Da erscheint es mehr als überraschend, dass fast alle seine Bücher beim Onlineriesen Amazon erscheinen. Warum um alles in der Welt? „Berechtigte Frage. Und eine, die ich mir selbst sehr sorgfältig gestellt habe. Es ist ein Kompromiss. Diese gesichtslosen Konzerne bereiten mir Unwohlsein, das ist normal in unserer Szene. Aber dagegen musst du die momentane Situation der Buchverlage sehen. Sie scheinen niemanden mehr willkommen zu heißen, der nicht automatisch Geld einbringt. Jedes Mal, wenn ich mich in den letzten Jahren um einen Verlag bemüht habe, musste ich Monate auf Antwort warten. Und generell hat die Arbeit mit Verlagen seine Beschränkungen. Was immer die Nachteile von Amazon oder anderen Printing-on-Demand-Plattformen sein mögen, sie geben mir als Autor mehr Kontrolle – die Geschichte gehört mir ebenso wie das Cover, ich bestimme den Preis, niemand sagt mir, ich müsste für einen bestimmten Markt schreiben, und mein Buch wird niemals aus dem Programm genommen. Und ich verdiene auf diese Art mehr als mit einem traditionellen Verlegervertrag.“
Auch als ausgesprochen vielseitiger Künstler kann McNeill immer wieder überraschen. The Horseman’s Word ist eine völlig unerwartete Sammlung von sechs unglaublich intensiven Kurzgeschichten. Nicht nur hat McNeill hierfür einen Verlag gefunden, sie wurden ausnahmsweise auch ins Deutsche übersetzt, und zwar gewohnt souverän von Gabriele Haefs. Und das war eine Herausforderung, denn das Original verfasste McNeill im Dialekt seiner Heimatstadt Falkirk, wo die Storys auch angesiedelt sind. Das veranlasste den Autor, der schottischen Version ein Glossar anzuhängen. Die chronologischen Geschichten starten im Jahr 1913 und enden 2016. Nirgends sonst ist die typische Atmosphäre einer schottischen Kneipe so dicht und nachvollziehbar in Worte gefasst worden wie in „Flash Gortons Bein“. Warum nun auch Kurzgeschichten? „Ich wollte mal weg vom Format des Romans. Es sind Geschichten, die auf dem Kontrast der Charaktere basieren. Und überhaupt, Sprache ist mein Ein und Alles, sie bestimmt, wer oder was ich bin. Durch die Kurzgeschichten bekomme ich ein weiteres passendes Ventil.“
Für alle seine kreativen Projekte gilt der schlichte Brian-McNeill-Schlusssatz, der auch als Versprechen verstanden werden kann: „There’s a lot more to come!“
Aktuelle Veröffentlichungen:
- No Silence (CD; Greentrax Recordings, 2020)
- No Easy Eden (Buch; Eigenverlag, 2020)
- The Horseman’s Word – Schottische Storys (Buch; Songdog Verlag, 2020)
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