Cerys Hafana

Schönes „Kauderwelsh“ zur Dreifachharfe

28. Mai 2024

Lesezeit: 6 Minute(n)

folker präsentiert: Rudolstadt-Festival 2024
Ihre Performance als Überraschung ausgerechnet während eines Popfestivals kennengelernt zu haben, ist eigentlich bezeichnend. Cerys Hafana kommt aus Wales ist eine junge Person mit blondierten kurzen Haaren, die manchmal dicke Boots zu langen Kleidern trägt. Und die ihr Instrument, die walisische Tripelharfe, gelegentlich gegen Klavier oder E-Gitarre austauscht. Jedenfalls entspricht sie keineswegs dem Klischee einer klassischen Harfenistin. Und auch, wenn sie sich mit der walisischen Volksmusik auseinandersetzt, bewahrt sie nicht unbedingt deren Tradition – was einige ihr vorwerfen.
 Text: Imke Staats

Es war im September 2023, als die Anfang-Zwanzigjährige ihre Harfe auf die Bühne des Resonzraumes im Hamburger Feldstraßenbunker stellte. Dieser Raum ist die Heimat des Ensembles Resonanz, eines der Avantgarde zugetanen Hamburger Streichorchesters. Wer hierherkommt, bekommt meist Klassisches und Neues zu hören, Überraschungen gehören zum Konzept. Da das Konzert im Rahmen des schwerpunktmäßig rockig-poppigen Reeperbahnfestivals eingerichtet wurde, war die Neugierde umso größer. Und wurde belohnt mit einer fast magischen Atmosphäre aus warmen, sich überlagernden Klängen und Geschichten. Solchen, die rein instrumental aus den drei Saitensträngen gezupft, und solchen, die in einer fremden Sprache gesungen wurden. Auch eine rote E-Gitarre kam zum Einsatz. Das Ganze hatte eine zugleich altmodische und künstlerisch freie, aktuelle Anmutung.

Cerys Hafanas Musik ist voller Energie, ihre eigene Begeisterung deutlich zu spüren. Die Sprache mit gerollten R- und kehligen Ch-Lauten ist das Walisische, sie wird von rund 20 Prozent der Menschen in Wales gesprochen. Da kaum jemand im Publikum sie verstand, erläuterte die Musikerin einige der Texte auf Englisch, was Sonderbares, Lustiges, aber auch Düsteres offenbarte. Sie sang aber auch auf Englisch, zum Beispiel das Traditional „The Wife Of Ushers Well“ aus der englisch-schottischen Grenzregion, das die Sage über eine Mutter behandelt, die ihre drei Söhne weit wegschickt übers Meer, die totgeglaubt wiederkehren mit Hüten aus der Rinde des Paradiesbaumes.

„Es ist beliebig, in welcher Ära man die ‚gültige‘ Wahrheit festmacht.“

Cerys Hafanas Eltern kannten sich aus einer experimentellen Performanceband in Manchester. Dort wurde sie auch geboren, zog dann nach Machynlleth in Wales und lernte die keltische Sprache in der Schule. Ab sieben Jahren nahm sie Klavier-, ab acht Harfenunterricht, zunächst auf der keltischen Harfe, dann auf dem Instrument, das in Wales als Nationalsymbol angesehen wird, der Dreifachharfe. Hafana fing mit traditioneller Spielweise an und sagt: „Ich war die einzige junge Person in Machynlleth, die Folk spielte.“

Schon als Kind nahm sie am Urdd Eisteddfod, der Jugendversion des Eisteddfod teil, einem walisischen Kulturwettbewerb, der aus dem zwölften Jahrhundert stammt, vergessen und im neunzehnten Jahrhundert wiederbelebt wurde. Seit 1946 gilt das Festival als Zeichen der Völkerverständigung. Unterstützt wird es von Trac Cymru, einem Verband, der walisische Kunst fördert und in der Welt verbreitet. Mit vierzehn nahm Hafana an einem Jugendkurs für Volksmusik namens Gwerin Gwallgo teil und spielte mit dem nationalen walisischen Jugendfolkensemble, aus dem die heutige Folk-Big-Band Avanc hervorgegangen ist.

Inspiriert von Filmmusik begann sie schon mit elf Jahren zu komponieren. Sie entdeckte das Potenzial der Harfe jenseits der üblichen Spielweise und verknüpfte kreativ Historisches und Eigenes. Inzwischen hat sie zwei Alben – Cwmwl 2020, Edyf 2022 – und eine EP – The Bitter 2024 – mit Traditionals sowie eigenen Stücken zusammengestellt. Cwmwl heißt „Wolke“ und edyf „Faden“. Jeweils stehen die Begriffe für ihre Konzepte. Der Faden zum Beispiel als eine Art seelische Verbindung zur Vergangenheit des Volkes. Die Musikerin setzt sich sehr mit der walisischen Geschichte und Gesellschaft und ihrer heutigen Rezeption auseinander.

Von der konservativen Triple-Harp-Community in Wales gibt es jedoch Kritik. Sie würde dem Instrument nicht genügend Respekt zollen und die Geschichte verfälschen. Hafana erklärt sich diese Widerstände so, dass diese Harfe quasi die Definition des Walisischen ist und damit etwas, das geschützt werden müsse. Aus diesem Grund meinen einige, dass nur eine bestimmte Spielweise richtig sei. Diese Angst vor Veränderung und Identitätsverlust sei in der Geschichte verwurzelt, denn das kleine Wales musste sich gegen England in seiner Eigenständigkeit behaupten. Doch Hafana argumentiert, dass sich Musik im Lauf der Zeit immer verändert habe. Es sei beliebig, in welcher Ära man die „gültige“ Wahrheit festmache.
Zudem ist es ihr zu verdanken, dass diesem Nischeninstrument nun neue Aufmerksamkeit zugutekommt. So führte etwa der Guardian bereits ein Interview mit ihr. Um Inspiration für ihre Stücke zu finden, die in der Traditionscommunity unbekannt sind und bei denen sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen kann, recherchiert sie im Volksmusikarchiv der National Library of Wales. Dort fand sie viele Hymnen, religiöse Balladen und Gedichte. Auch das über „einen Kerl, der 1858 einen Hügel hinaufstieg, um einen Kometen zu sehen, den er für ein Zeichen Gottes hielt. Ich kann auch über einen Kometen staunen, aber nicht aus religiöser Sicht“, sagt sie. Daraus machte sie das Lied „Comed 1858“, das Edyf eröffnet. In den alten Stücken geht es meist um Liebe und Tiere, oft um Schafe. Bei Cerys Hafana auch gern um Eulen oder andere Vögel, wie in „Child Owlet“.

Cerys Hafana

Foto: Heledd Wyn

Die Musikerin hört selbst Alternative Pop und Folktronica wie „Songs For Broken Ships“ von MD Pallavi & Andi Otto oder „Resonance“ von Joel Styzens; Einflüsse, die sich auch in ihren Kompositionen und Arrangements widerspiegeln. Auf ihrer jüngsten Veröffentlichung The Bitter setzt Hafana elektronische Klänge ein, mit denen sie eine geheimnisvolle Stimmung erzeugt. Auf Edyf stand die Harfe im Vordergrund, wurde auch mal von einer E-Gitarre abgelöst und mit Percussion unterlegt. Generell und bewusst ist der Sound bei ihr etwas roh und offen. Produzent Mike West, ein Bluegrassbanjospieler, hat Sinn für solche authentischen Wiedergaben. So sind die Anschläge der Finger auf den Saiten zu hören, was bei Pedalharfen nicht der Fall wäre.

Das Besondere an der Tripelharfe sind vor allem die bis zu 99 Saiten, die in drei Reihen gruppiert sind, wobei die äußeren diatonisch gestimmt sind, während sich in der inneren Reihe eine chromatische Abfolge von Halbtönen befindet. Zum Spielen ist eine besondere Technik erforderlich, um mit speziellen Griffen die innere Saitenreihe zu erreichen. In der traditionellen Musik werden zur Vereinfachung des Spieles die äußeren Reihen in die Tonart des Stückes umgestimmt. Ihren Ursprung hat diese Harfe in einem Barockinstrument aus Italien, das Ende des siebzehnten Jahrhunderts über Spanien und Frankreich nach England kam. Die walisische Version wurde in ihren Proportionen etwas verändert. Der Tonumfang im Bass geht bis zum F, damit tönen sie einen Ton tiefer als die italienischen Vorläufer. Eigentlich ist sie fast zwei Meter hoch, Hafanas Modell ist etwas kleiner. Insgesamt besitzt sie sieben Harfen, davon ist aber nur eine eine Tripelharfe.

Abgesehen vom Reeperbahn-Auftritt und einem beim Düsseldorf Festival hat Cerys Hafana erst einmal in Deutschland gespielt. Und zwar war sie im September 2022 für eine Woche mit anderen walisischen Musikschaffenden für ein Gemeinschaftsprojekt mit sorbischen Künstlerinnen und Künstlern, die Teil des Kolektiw Wakuum sind, in der Lausitz. „Es war eine sehr seltsame Erfahrung, in einem kleinen Van herumzufahren und Punk-, Folk- und elektronische Musik sowie in Kirchensälen und Garagen zu spielen“, erzählt sie.

Im Juli wird sie erneut den Osten Deutschlands besuchen, wenn sie beim Rudolstadt-Festival im Rahmen des integrierten Euroradio Folk Festivals der European Broadcasting Union (EBU) auftritt.

ceryshafana.com

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Alben:

Cerys Hafana

The Bitter (EP; Eigenverlag, 2024)

Cerys Hafana

Edyf (Eigenverlag)

Die junge, androgyn wirkende Waliserin spielt die Triple Harp und klingt trotz ihres sirenenhaften Gesangs nicht zu ätherisch. Ihr Material stammt teils aus Archiven, teils sind es sehr effektvolle Eigenkompositionen wie das simple, eingängige „Crwydro/Wandering“. Auf ihrem zweiten Album sorgen neben der Triple Harp auch Bodhrán und Kontrabass für Abwechslung. Mike Kamp

Aufmacherbild:

Cerys Hafana

Foto: Heledd Wyn

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