Die Thüringer Waldzither

Heimische Cister mit UNESCO-Ambitionen

21. März 2024

Lesezeit: 6 Minute(n)

Spielst du schon Waldzither?“ Das war der Running Gag beim KlangRauschTreffen 2023. Da konnte ich meine Freude kaum bremsen, auch wenn mir die Ironie nicht entging. Doch es musste viel Wasser die Ilm hinunterfließen bis zu dieser wohlgemeinten Spöttelei und der jetzt vorliegenden Anmeldung als immaterielles UNESCO-Kulturerbe.
Text: Tim Liebert

Aber Schritt für Schritt, worum geht es überhaupt? Wir reden hier von der Renaissance eines heimischen Cisterinstruments mit einer fast fünfhundertjährigen Geschichte. Seine Geschwister sind beispielsweise die Bouzouki oder die portugiesische Guitarra de Fado. Aber die Waldzither hat, bis auf den Namen, wenig gemein mit der alpinen Tischzither. Diese Kastenhalslaute besitzt den typischen birnenartigen Korpus, trägt neun Stahlsaiten (vier doppelchörige, eine Basssaite) und ist akkordisch gestimmt, meist auf C-Dur. Sie wurde in Mitteldeutschland viel gebaut und gespielt, speziell im Thüringer Wald. Und so nannte man sie vor circa hundertfünfzig Jahren eben Thüringer Waldzither. Ein Urahn der mitteldeutschen Cistern oder Zithern wurde bei Renovierungsarbeiten im Freiberger Dom in der Montanregion Sachsens entdeckt. Auf dem Obergesims steht dort eine Gruppe von Engelchen mit diversen Instrumenten aus der Zeit um 1590. Als man dem vergoldeten Knaben sein ebenfalls vergoldetes Cisterchen aus der Hand nahm, staunte man nicht schlecht. Es war ein echtes und viel gespieltes Instrument. Das war sinnfällig, denn Träger der Cistertradition in Sachsen waren die Bergleute.

 Wann das Instrument in Thüringen heimisch wurde, ist nicht genau zu datieren. Fakt ist, dass Johann Sebastian Bach über seinen Vorfahren Veit Bach (c. 1550-1619) schrieb, er habe „sein meistes Vergnügen an einem Cythringen gehabt“. Die direkten Waldzither-Vorläufer werden als „Thüringer Zistern“ bezeichnet und sind unter anderem im Bachhaus Eisenach, im Grassimuseum Leipzig oder im Waffenmuseum Suhl zu bestaunen. Offenbar baute man um 1800 fleißig derartige Neunsaiter, welche die Basssaite(n) meist noch neben dem Griffbrett als Bordun trugen. Die Gebrauchsspuren zeigen, dass man auf den Instrumenten vor allem akkordisch zu Werke ging, meist mit Barré-Griffen. Auch wenn in den 1870er-Jahren die ersten Schulen für Thüringer Waldzither erschienen, wurde sie durch das Modeinstrument Gitarre zunehmend verdrängt. Selbst die Spielweise war bereits sehr vom Biedermeier-Zeitgeist und der Gitarre beeinflusst.

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Dann kam die Zeit der Jugendbewegungen à la Wandervögel und der großen Instrumentenvereine. Diesen Musikbegeisterten stellte ein pfiffiger Hamburger Unternehmer, der aus dem thüringischen Meiningen stammte, ein eigenes Instrument zur Verfügung. Es trägt heute noch seinen Namen, die Böhm- oder Hamburger Waldzither. Er modifizierte den historischen Vorgänger so weit, dass er patentfähig war, und produzierte industriell. Von seinen Modellen 1 bis 4 gibt es heute noch wundervolle Vertreter für wenig Geld antiquarisch. Böhm lieferte neben der Hardware auch Lehrmaterial und initiierte die Gründung von Vereinen. Das führte zu einer enormen Popularisierung. Angespornt durch den Erfolg der Böhm-Waldzither wurden in verschiedenen Regionen ähnliche Varianten gebaut, die dann neben Glassteg und Fächermechanik auch einen gewölbten, mehrteiligen Boden hatten. So geschehen im sächsischen Musikwinkel und im Ruhrgebiet. Klingende Namen sind heute bei Spielern und Sammlerinnen noch Hopf, Dofra und Plückthun. In der Summe kursierten nach vorsichtigen Schätzungen nahezu hunderttausend Exemplare.

C. H. Böhm mit Waldzither, ca. 1905

Foto: Norbert Feinendegen, Wikimedia CC BY-SA 4.0 Deed

Dann war wieder Flaute, bis das Folkrevival durch Europa zog. Einer der ersten Cisterenthusiasten, der das exotische Ding ausprobierte, war Andy Irvine. Ihn reizte aber wohl mehr die Optik, denn die charakteristische Basssaite entfernte er kurzerhand. Auch die deutschen Folkies fanden Gefallen an der einheimischen Gitarrenalternative. Und so hatten Ost und West bald ihre probaten Waldzithervertreter. Genannt seien hier Jochen Wiegandt von Liederjan und Jürgen B. Wolff von den Folkländern. Sie gelten als ausgewiesene Kenner und durften das Instrument beim Cisterspecial zum Rudolstadt-Festival 2015 zu Gehör bringen. Nach dem Revival der Siebziger wurde es wieder still. Im Thüringer Wald und im Harz baute und spielte man die Instrumente zwar noch wie ehedem, für eine Breitenwirkung taugte das aber wenig.

Modernere Waldzithern

„Es wird traditionell gewaldzithert, aber auch recht unkonventionell.“

Bis im Jahr 2003 Doris Eckhardt vom Waffenmuseum Suhl und Martina Rosenberger aus dem benachbarten Franken ein Treffen von Waldzitherbegeisterten organisierten. Und sie waren überrascht von der deutschlandweiten Resonanz. Daher wurden diese Symposien alle zwei Jahre neu aufgelegt und wuchsen. Für das Treffen 2013 kam es zur Gründung einer Art Showcase-Truppe. Daraus ging die Band Hüsch! hervor. Hüsch! hat als Formation die höchste Waldzitherdichte weltweit. Es wird traditionell gewaldzithert, aber auch recht unkonventionell, da kreative Instrumentalisten am Start sind. Joachim Rosenbrück verabreicht dem Instrument eine Prise Jazz und hat nach siebzig Jahren das erste neue Lehrbuch für Waldzither geschrieben. Nico Schneider kennt sie noch aus Kindertagen, hat sich dann aber dem Banjo zugewandt und gilt als international renommierter Banjobauer. Viel von dem, was er auf der Waldzither tut, kommt aus dieser Ecke. Das ist naheliegend, da das 5-String-Banjo und die Basswaldzither dieselbe Stimmung haben (GDGHD). Die Nummer drei im Bunde bin ich selbst. Mein Waldzitherkosmos ist beeinflusst durch Bouzouki und offen gestimmte Gitarren, was in gelegentlichen Slide-Einlagen resultiert. Komplettiert wird die Band durch die Sängerin Hanna Flock. Neben Konzerten sind Workshops über die Jahre fester Bestandteil unserer Tätigkeit geworden. Ob bei den Walzithersymposien, bei den Folksounds in Elmstein, bei den Folkwerkstätten auf Burg Fürsteneck oder an der lokalen Musikschule, immer sorgen das Instrument und seine Geschichte für viel Begeisterung.

Hüsch mit vier Waldzithern

Foto: Joachim Rosenbrück

Und so wuchs der Bekanntheitsgrad durch eine Art Kettenreaktion. Mittlerweile gibt es einen sehr regen Verein, der Ausstellungen organisiert und Instrumente aufarbeitet und verleiht. Der Verband für Lied, Folk und Weltmusik in Deutschland Profolk hat seit Kurzem eine eigene Waldzither-AG. Die Zahl an Neueinsteigenden und Bands mit Waldzitherbeteiligung kann sich sehen lassen. Einer, der sie schon immer im Gepäck hatte, ist zum Beispiel Stoppok. Auch die aktuelle, sich neu formierende Deutschfolkszene ist schwer waldzitherlastig. Bei Tworna bedient sie Jessica Jäckel. Es gibt eine Gruppe, da ist sie Programm: bei Waldzitherpunk aus Leipzig mit Peggy Luck und Toni Linke. Bei Familie Gerstenberg liefert Thomas Strauch damit das groovige Fundament. Die Saitenzauberer Björn Kaidel von Fior, Alex Peters von Folk my Life und Dan Wall vom Weltmusikduo Tante Friedl sind ebenfalls vom Fieber infiziert und wurden schon mit eigenen Instrumenten gesehen. Vor allem bei den jüngeren Mitgliedern der Zunft ist ein gerüttelt Maß an Virtuosität zu bestaunen und sie bringen Einflüsse aus Skandinavien und dem Bal Folk in die Spielpraxis. Vorbei sind die Zeiten, in denen das Instrument als beschränkt hinsichtlich Einsatzmöglichkeiten und Bespielbarkeit galt.

Fast alle antiquarischen Vertreter sind Tenorcistern in C-Dur mit vergleichsweise kurzer Mensur. Dies begrenzt das Spektrum meist auf wenige Tonarten. Doch existieren neben versierten Nutzenden auch innovative Instrumentenmacher. Allen voran Tobias Kaul, der sein Handwerk im sächsischen Musikwinkel lernte, aber jetzt in Halle baut und repariert. Noch in Markneukirchen konnte ich ihn gewinnen, mir 2013 ein Bassinstrument in G-Dur mit einer Mensur von 66 Zentimetern zu fertigen. Nach zehn Jahren und fast fünfzig neu gebauten Instrumenten aus dem Hause Kaul ist der Bassvertreter heute fast so etwas wie der goldene Standard und es gab 2023 sogar für kurze Zeit ein kommerzielles Instrument der Firma Folkfriends. Diese erstaunlichen Entwicklungen sorgen auch für internationales Renommee. Bei der Folk Alliance International in Montreal 2019 waren John Kay von Steppenwolf (der für kurze Zeit in Thüringen wohnte) oder Bluegrassikone David Davis angetane Besucher von Waldzither-Showcases. Über die grenzüberschreitende Vernetzung der jüngeren Enthusiasten konnten Folkspezialisten wie der Däne Christian Mohr Levisen für die deutsche Cister begeistert werden, der mittlerweile als Experte gilt, wie ein gefeiertes Waldzitherduett von ihm und Björn Kaidel beim letzten KlangRauschTreffen im Museumsdorf im niedersächsischen Hösseringen belegte.

Und nun also der Schritt in die Hochkultur. Dazu zählt die Vorstellung des Instruments durch eine Profolk-Delegation beim Deutschen Musikrat im März letzten Jahres und die jüngst realisierte Anmeldung als Gute-Praxis-Beispiel für die Liste des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO. Der Waldzitherverein plante einen entsprechenden Schritt schon seit Gründung. Die Interaktion mit der Volkskundlichen Beratungsstelle Thüringen in Hohenfelden bewogen Eicke-Matthias Rost vom Waldzitherverein, mich als Vertreter von Profolk und Lutz Wille vom Harzklub Braunlage uns dem recht aufwendigen Prozedere zu unterziehen. Mit einer Entscheidung zur Aufnahme in die Landesliste und eine Empfehlung für die Bundesliste wird im April gerechnet.

Bleibt die Frage:

„Spielst du schon Waldzither?“

Teilnehmende des Waldzitherworkshops auf Burg Fürsteneck 2023

Foto: Tim Liebert

Autoreninfo: Obwohl er sich in letzter Zeit bei Profolk und in der DeutschFolk-Initiative viel um die einheimische Tradmusik kümmert, ist der liederschreibende Waldzitherenthusiast Tim Liebert mit vielen musikalischen Wassern gewaschen. Neben seiner solistischen Tätigkeit und einer Reihe von Duos (Tradsch) oder Trios (Lind) ist er Bestandteil des renommierten Deutschfolkquartetts Hüsch!

Links allgemein:
Aufmacher:
Waldzitherbauer Tobias Kaul

Foto: Tim Liebert

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