Erfolgreiche Premiere auf dem Rudolstadt-Festival

Das Jugendfolkorchester überzeugt mit künstlerischer Qualität und Gemeinschaftssinn

9. August 2024

Lesezeit: 5 Minute(n)

folker präsentiert

Für voll besetzte Zuschauerränge, eine beeindruckende künstlerische Qualität und großartige Stimmung sorgte das unter dem Dach von Profolk neu gegründete Jugendfolkorchester am 6. und 7. Juli 2024 auf dem Rudolstadt-Festival. Wer im Publikum saß, merkte sofort: Da stehen keine vierzig Einzelpersonen auf der Bühne, sondern eine Gemeinschaft, die zusammenhält und einfach Spaß hat. Wie es gelungen ist, dass die Mitwirkenden innerhalb von nur einer Woche zusammenfanden, und wie es überhaupt zur Gründung des Orchesters kam, berichtet die Projektleiterin Gudrun Walther im Gespräch mit dem folker.
Text: Daniela Höfele; Fotos: Michael A. Schmiedel

Begonnen hat alles mit einer Idee, die die Sängerin, Violinistin und Akkordeonistin Gudrun Walther vor ein paar Jahren nicht mehr losließ: In anderen Ländern wie Irland oder Schweden sind Jugendfolkprojekte mit traditioneller Musik ganz selbstverständlich – warum also nicht auch in Deutschland eines gründen? „Der entscheidende Kick zur Initialzündung war ein Gespräch mit Bernhard Hanneken, dem künstlerischen Leiter des Rudolstadt-Festivals, beim DeutschFolk-Festival 2021 in Jena“, erinnert sich die Musikerin. „Ich habe ihm erzählt, dass ich mir wünschen würde, dass es so etwas gibt, und dass ich denke, dass Rudolstadt der Ort dafür wäre. Und er hat signalisiert: Wenn du das machen willst und kannst, dann biete ich die Plattform dafür.“ Diese Zusage half – nicht zuletzt, um Sponsorengelder zu akquirieren – und war zugleich auch ein großer Vertrauensvorschuss. „Spätestens ab da war klar: Es muss etwas Besonderes werden, eine richtige Stage-Präsentation, die nicht nach Musikschulvorspiel aussieht“, erzählt Gudrun Walther.

Dieses Vorhaben ist ohne jeden Zweifel gelungen. Wer in Rudolstadt auf der Bühne nach Notenständern oder auch einem Dirigat Ausschau hielt, suchte vergebens. Die vierzig Musikerinnen und Musiker im Alter von 12 bis 25 Jahren spielten ihr Repertoire komplett auswendig, trafen eigenständig alle Einsätze und kündigten auch ihre Stücke selbst an.

Klingt nach Drill im Vorfeld? Keineswegs: Das Referentinnen- und Referententeam, neben Gudrun Walther bestehend aus dem Gitarristen und Sänger Jürgen Treyz, der Violinistin, Gitarristin und Sängerin Sabrina Palm und dem Saxofonisten, Pianisten und Dudelsackspieler Alex Frotzheim, setzte auf flache Hierarchien und Gemeinschaftssinn. „Das fängt damit an, dass man keinen Dirigenten hat, und endet damit, dass nicht der Konzertmeister die Hürde ist, über die man erst mal hierarchisch drüber muss“, erklärt die Projektleiterin. „Ein Kontrabassist zum Beispiel hat ja in einem normalen Orchester nichts zu sagen, der hat keine Wortbeiträge. Bei uns hingegen durfte er durchaus Beiträge leisten und sich überlegen, welche Linien er spielen will. Ich glaube, da hat sich jede und jeder aufgefangen gefühlt und es war auch einer der Hauptpunkte, die bei unserer Abschlussfeedbackrunde vor allem von denjenigen Teilnehmenden als sehr positiv angemerkt wurden, die eine klassische musikalische Vorbildung haben.“

 

 

Die gemeinsame Probenphase des Orchesters fand im Evangelischen Allianzhaus Bad Blankenburg statt und begann lediglich fünf Tage vor den Auftritten. Die rund zwanzig Lieder und Stücke, die einstudiert werden sollten, hatten die Teilnehmenden nach einem digitalen Auftakttreffen via Zoom vorab im Frühjahr zugeschickt bekommen. „Hier waren auch Noten dabei, aber wir haben von Anfang an gesagt: Lernt die Stücke nach Gehör“, erzählt Gudrun Walther. „Denn wenn man von einem Notenblatt etwas auswendig lernt, dann ist es immer auswendig gelernt. Nach Gehör Gelerntes wird viel tiefer verinnerlicht.“ Außerdem bleibe durch das Auswendigspielen mehr Kapazität für das Hören und Fühlen – ein weiterer Punkt, den die Teilnehmenden beim Abschlussfeedback mehrfach als sehr positiv angemerkt hätten. In der Vorbereitung hieß das: Aufnahmen erstellen, nur mit Geige und Stimme, und für jedes Stück jeweils in langsamem, mittlerem und schnellem Tempo, damit die Orchestermitglieder es gut mitspielen und dabei lernen konnten; zwei Monate vor dem Probencamp kamen bei manchen Stücken noch Aufnahmen zu zweiten Stimmen hinzu. Bei den jüngeren Teilnehmenden setzte das Leitungsteam für das Einüben auf die Unterstützung von Eltern oder Musiklehrkräften, die Älteren hatten bereits mehr Erfahrung oder studierten sogar Musik und kamen deshalb gut alleine zurecht.

„Es klingt einfach anders, wenn man Freiraum gibt, um musikalische Ideen einzubringen.“

Das von Gudrun Walther und Jürgen Treyz ausgewählte Repertoire umfasste Lieder und Musik aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und reichte von mitreißenden Tanzmelodien aus Franken bis hin zu Auswandererliedern aus der Eifel des neunzehnten Jahrhunderts aus verschiedenen Notensammlungen wie denjenigen von Dahlhoff, Dreysser, Leyersederin und Onkel Ewert. Vorbereitet hatten sie diese selbstverständlich ausschließlich in Tonarten, die zu der sehr vielseitigen Besetzung des Jugendfolkorchesters passten. Denn diese umfasste nicht nur klassische Orchesterinstrumente wie Geigen, Celli, Klarinetten oder Oboen, sondern unter anderem auch Dudelsäcke, Akkordeons und eine Nyckelharpa. Arrangiert wurde mit Ausnahme weniger Stücke erst vor Ort. „Im Probencamp haben wir mit den Jugendlichen ab dem allerersten Tag so gearbeitet, wie wir normalerweise mit den Bands arbeiten, in denen wir spielen, gemischt damit, wie wir in einem Ensemblekurs arbeiten“, erklärt Gudrun Walther. Taktstock und Taktangabe? Fehlanzeige, denn: „Es klingt einfach ganz anders als in einem klassischen Orchester, wenn man erst einmal Freiraum gibt und sagt, wir spielen jetzt einfach zusammen und machen hinterher Manöverkritik und schauen, wie zum Beispiel die Einsätze gepasst haben. Genau so haben wir gearbeitet, und das hat alle motiviert, ihr Bestes zu geben“, so die Projektleiterin.

 

Außerdem habe dieses für ein Orchester sicher eher ungewohnte Vorgehen dazu geführt, dass die Mitwirkenden automatisch Verantwortung für sich und ihre Mitspielerinnen und Mitspieler übernommen hätten. „Wir hatten ja zum Beispiel drei Dudelsäcke, und einer der Spieler ist schon sehr erfahren. Der hat die anderen einfach zur Seite genommen und gesagt: ‚Schaut mal, diesen Griff mache ich übrigens so. Und hier fällt es viel leichter, wenn man das etwas anders spielt …‘ Und so haben die drei sich ihre Satzprobe selbst organisiert“, erzählt Gudrun Walther. „Auch unsere Akkordeons und die Bläser haben sich freiwillig eigenständig in den Pausen zusammengesetzt und ihre Features geprobt. Die Teilnehmenden hatten nicht das Gefühl, sie geben die Verantwortung bei uns ab, sondern: Wir sind eine Einheit, und wenn ich etwas sehe, das bessergehen könnte, dann gucke ich, dass das läuft.“

 

Um hinsichtlich der Eigenverantwortung und des Repertoires allen Altersgruppen gerecht zu werden, probte die Mitwirkenden einen Teil jedes Tages in zwei Ensembles: einem jüngeren (12 bis 17 Jahre) und einem älteren Ensemble (18 bis 25 Jahre). Dem Gemeinschaftssinn des Orchesters tat dies keinen Abbruch, denn auch außerhalb der Proben hatte sich das Leitungsteam, das neben den Referentinnen und Referenten durch die Betreuer Susan Coleman und Simon Pfisterer ergänzt wurde, einiges einfallen lassen. Auf dem Programm standen unter anderem ein Tanzabend, eine Schnitzeljagd, ein Pubquiz und nicht zuletzt eine „Hausmeisterschaft“ im Harry-Potter-Stil, bei der der die Teilnehmenden für ihr jeweiliges „Haus“, also eine Gruppe, der sie gleich zu Beginn zwar nicht durch einen sprechenden, aber dafür einen Zettel beinhaltenden Hut zugeteilt worden waren, im Lauf der Woche Punkte sammeln konnten. Sogar das auf Jugendfreizeiten sonst oft heikle Thema „Bettgehzeit“ wurde gemeinschaftlich angegangen: „Die Jugendlichen haben oft die halbe Nacht musiziert“, erzählt Gudrun Walther. „Das mussten wir bei den Jüngeren natürlich bremsen, die sollten um zehn Uhr im Bett sein. Und auch das hat sich von selbst geregelt, weil einige von unserem älteren Ensemble ganz lieb und freiwillig angefangen haben, jeden Abend ein A-cappella-Stück als Gutenachtlied für die Jüngeren zu üben. Mit dem sind sie dann durch das Haus gezogen und haben vor jedem Zimmer gesungen. Das war für die Jüngeren dann der Abschluss des Tages, und das hat wunderbar funktioniert.“

 

Sowohl auf als auch abseits der Bühne war der Auftakt des Jugendfolkorchesters also ein voller Erfolg – und es geht weiter! Das Orchester soll sich in jedem Jahr neu zusammensetzen. Vom 1. Oktober 2024 können sich interessierte junge Musikerinnen und Musiker ab zwölf Jahren für eine Teilnahme 2025 bewerben.

www.jugendfolkorchester.de

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1 Kommentar

  1. Glückwunsch an alle und großen Dank für die Initiatoren dieses tollen Projektes. Das ist doch ein riesiges Aufbruchsignal für die deutsche Folkzukunft! Ihr seid Spitze.

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