Geklaute Laute?

folker-Diskussionen um kulturelle Aneignung

3. August 2023

Lesezeit: 7 Minute(n)

Beim Nürnberger Bardentreffen gab es in diesem Jahr den inhaltlichen Schwerpunkt „Kulturelle Aneignung“. Doch die Veranstaltenden konnten sich nicht richtig entscheiden: Wollten sie sich über die Kritik an kultureller Aneignung ärgern oder differenziert damit auseinandersetzen?
Text: Christian Rath

Einerseits präsentierte das Bardentreffen im zugehörigen Musikprogramm Bands wie die Congo Cowboys und Cara. So als müsste man ernsthaft diskutieren, ob afrikanische Musiker Bluegrass spielen dürfen, als müsse man sich wirklich Gedanken machen, ob moralisch korrekte Deutsche noch Irish Folk interpretieren können.

Andererseits wollte das große Nürnberger Folk- und Weltmusikfestival den Konflikt um das Begriffsfeld „kulturelle Aneignung“ durchaus seriös beleuchten und betraute daher den folker mit einer begleitenden dreiteiligen Veranstaltungsreihe zum Thema. Dort kamen dann auch einige Vertreterinnen und Vertreter der Black Community zu Wort und zeigten, worum es beim Vorwurf der kulturellen Aneignung wirklich geht.

Die folker-Reihe näherte sich dem Thema in drei Schritten. Am Freitag führte Jens Balzer, Autor des Standardwerks Die Ethik der Appropriation, in das Thema ein. Am Samstag diskutierten Musikschaffende, Aktivisten und Aktivistinnen. Und am Sonntag fragten sich Programmverantwortliche, was die Debatte für Festivals und Konzertreihen bedeutet. Kooperationspartner war das Café Maulbeere im Pfarrhof von St. Sebald, in dessen Kapitelsaal die Diskussionen stattfanden.

Kultureller Austausch ist kein Problem

Nicht umstritten war, dass Kultur stets Einflüsse von außen aufnimmt und sich so weiterentwickelt. Dies zeigt: Wer in der Debatte vor allem hierauf pocht, rennt offene Türen ein oder versucht, Kritik im Zusammenhang von kultureller Aneignung lächerlich zu machen. Deshalb hat wohl niemand ein Problem mit den Congo Cowboys und Cara.

Als problematisch gilt kulturelle Aneignung aber immer dann, wenn sich Kulturschaffende einer dominanten Kultur respektlos bei einer marginalisierten Kultur bedienen, um daraus ausschließlich eigenen Nutzen zu ziehen.

V. l.: Andreas Radlmaier (Moderation) mit Jens Balzer am Festivalfreitag_Foto: Almut Kückelhaus

Autor Jens Balzer zeichnete den Beginn der Diskussion in den Achtzigerjahren nach. Kritisiert wurde insbesondere, wie Weiße immer wieder Musikrichtungen aufgriffen, die von Schwarzen geprägt worden waren. So wurde Benny Goodman zum „King of Swing“ und Elvis Presley zum „King of Rock ’n’ Roll“. Balzer sieht in der Kritik hieran eine berechtigte „Korrektur von Geschichtsverzerrungen“.

Allerdings gebe es auch auf afroamerikanischer Seite einseitige Darstellungen, so der Autor und Journalist. So werde die Geschichte des Hip-Hop oft als spezifisch afroamerikanische Musikform dargestellt, ohne den Einfluss von eingewanderten Jamaikanern wie DJ Kool Herc ausreichend zu würdigen.

„Was richtig ist, findet man am besten im Dialog heraus“, lautete Balzers Schlussfolgerung. Für ihn ist der Begriff der kulturellen Aneignung nicht generell negativ besetzt. Andere sprachen aber lieber von „kultureller Anerkennung“ oder von „Wertschätzung“, die sich in der Übernahme fremder Stile ausdrücke. (Weitere Details zu Balzers Position und Argumentation finden sich in seinem Beitrag für die Ausgabe #2.23 des folker, der hier nachgelesen werden kann.)

Der Sündenfall des Peter Fox

Als problematisches Beispiel aus Deutschland nannte die Schwarze Nürnberger Sängerin und Aktivistin Ki’Luanda den Berliner Peter Fox. Er landete Ende 2022 mit „Zukunft pink“ einen deutschen Nummer-eins-Hit, bei dem er Elemente des neuen südafrikanischen Musikstils Amapiano nutzte, ohne dies offenzulegen.

An der Diskussion hierzu wurde deutlich, dass die Black Community in solchen Fällen keine Verbote, sondern vor allem Respekt und Anerkennung fordert. „Wenn man Musiker:in ist, und sich anderer Kulturen und Genres bedient, muss man sich bewusst machen, woher die Musik kommt, welchen Hintergrund sie hat“, sagte Ki’Luanda. Fox hätte konkret benennen müssen, welchen Stil er seinem Hit zugrunde legt. Der Sänger habe die Kritik später aber angenommen.

Podium am Festivalsamstag, v. l. Abyan Nur, Ki’Luanda, Nadia Kailouli (Moderation)_Foto: Almut Kückelhaus

 

Moniert wurde von Ki’Luanda zudem, dass Peter Fox keine Amapiano-Acts in die Produktion einbezogen habe, sondern als Gesangspartnerin die weiße Sängerin Inéz Schaefer auswählte. Wenn Weiße mit Schwarzer Musik Geld verdienen, sollten wenigstens auch Schwarze Musikschaffende mitverdienen können.

Positiv bewertete die Künstlerin dagegen den Kölner Reggaemusiker Gentleman. „Er war in Jamaika, hat Patois gelernt und den Segen von den Leuten dort bekommen.“

Als jedoch die Kulturmanagerin Susanne Göhner in der dritten folker-Runde die naheliegende Frage stellte, an wen sich eine Musikerin oder ein Musiker denn konkret wenden solle, wenn sie Elemente einer fremden Kultur nutzen will, bekam sie von der kurdischen Aktivistin Avra Emin nur die eher brüske Antwort: „Du brauchst keine Erlaubnis, du darfst alles, du musst nur mit Reaktionen rechnen.“ Ein etwas irritierendes Verständnis des oft propagierten Dialogs.

Emin argumentierte auch, die Konflikte um kulturelle Aneignung ließen sich mit dem Urheberrecht lösen, man müsse es nur anwenden. Das Urheberrecht dürfte aber wohl nur weiterhelfen, wenn weiße Musikschaffende konkrete Melodien oder Arrangements bei Musikschaffenden aus anderen ethnischen Kontexten klauen, also plagiieren. Es gibt aber kein Urheberrecht für Stile und schon gar kein kollektives Urheberrecht bestimmter Communities für die in ihrem Kontext entwickelten Stilprägungen.

Der Rundfunkjournalist Hans Strecker (BR) wies darauf hin, dass sich kulturelle Aneignung trotz Machtgefälle zur Win-Win-Situation entwickeln könne. „Viele Schwarze Bluessänger haben davon profitiert, dass die Rolling Stones ihre Sachen nachgespielt haben.“

Weiße mit Dreadlocks

Wenig Raum nahmen in der Diskussion zwei eher lächerliche Vorfälle ein, die die Diskussion um kulturelle Aneignung im deutschsprachigen Raum aber erst richtig bekannt gemacht hatten. So wurde in Bern Anfang 2022 ein Konzert der Schweizer Mundartband Lauwarm abgebrochen, weil die Musiker Reggae spielten und teilweise Dreadlocks trugen. Und die deutsche Sängerin Ronja Maltzahn wurde kurz darauf von der Hannoveraner Ortsgruppe von Fridays for Future ausgeladen – es sei denn, sie schneide sich vor dem geplanten Konzert ihre Dreadlocks ab.

Ronja Maltzahn war zum Bardentreffen eingeladen und nahm auch an der zweiten folker-Diskussionsrunde teil. Sie schilderte, dass die Friseurforderung nicht aus der Schwarzen Community kam, sondern nur von einer weißen Einzelperson. Sie habe versucht, sich nicht von empörten Konservativen instrumentalisieren zu lassen und die Diskussion um kulturelle Aneignung und Rassismus als Chance zu begreifen. „Ich durfte superviel dazulernen“, sagte sie in Nürnberg. (Siehe auch Maltzahns Beitrag zu Ausgabe #2.23 des folker.) 

Abyan Nur, Dozentin für Schwarzen Feminismus, kritisierte dennoch den Fokus vieler Medien auf Maltzahn. „Die Diskussion, ob Weiße Dreadlocks tragen dürfen, nimmt viel zu viel Raum ein“, so Nur. „Wir diskutieren darüber, wer ausgeladen wird, aber nicht darüber, wer erst gar nicht eingeladen wird.“ Großer Beifall im Publikum. 

Faisal Osman und Ronja Maltzahn, Podium am Festivalsamstag_Foto: Almut Kückelhaus

Es geht um Rassismus

Teilweise konnte man den Eindruck gewinnen, dass die gesamte Diskussion um kulturelle Aneignung der Black Community in Deutschland eher aufgedrängt wurde (weil sie Stellung nehmen musste), als dass die Bewegung den Diskurs selbst forciert hätte. „Kulturelle Aneignung ist nur ein Symptom, das große Ding sind die Machtstrukturen“, sagte etwa Faisal Osman, Aktivist bei der Black Community Foundation in Stuttgart.

Die als dreist empfundene Übernahme Schwarzer Stile wurde immer wieder kontrastiert mit der alltäglichen Diskriminierung Schwarzer Menschen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt und bei Polizeikontrollen. Nicht zu vergessen das historische Unrecht, das Ki’Luanda so auf den Punkt brachte: „Unsere Vorfahren wurden versklavt und umgebracht, weil sie so aussahen, wie wir aussehen.“

Abyan Nur forderte, Rassismus solle in der Schule thematisiert werden, die Lehrkräfte sollten entsprechend ausgebildet sein. In Bayern solle es ein Netz von Antidiskriminierungsstellen geben. Und eine Studie solle prüfen, ob die Polizei Racial Profiling betreibt.

Und immer wieder appellierten die Aktivistinnen und Aktivisten an die weißen Teile des Publikums, sich mit dem Rassismus der Mehrheitsgesellschaft auseinanderzusetzen. „Bilden Sie sich“, forderte Faisal Osman, „lassen Sie sich aufklären.“ Man solle Fachleute einladen – und entsprechend bezahlen. „Wir machen auch Workshops“, warb Abyan Nur, „Sie können mich gerne buchen.“

Und die Festivals?

In den Diskussionen bestand kein Dissens darüber, dass sich die großen Musikfestivals für mehr Vielfalt öffnen müssen, insbesondere auf den großen Bühnen. „Entscheidend ist, wer darüber entscheidet“, sagte Avra Emin. Sie sitzt im Vorstand des Stuttgarter Forums der Kulturen, das unter anderem das jährliche Sommerfestival der Kulturen veranstaltet. „Auch unser Festival wurde von einem weißen Mann gegründet“, so Avra Emin. [Gemeint ist Rolf Graser; Anm. d. Red.] Nun sei es wichtig, Personen mit Expertise für Vielfalt und Antirassismus – wie sie – in die Gremien einzubinden und sie fair zu bezahlen.

Das Bardentreffen sah sich als Weltmusikfestival international genug. Und tatsächlich gab es in diesem Jahr mit den Congo Cowboys (Südafrika), der Star Feminine Band (Benin) und La Dame Blanche (Cuba) drei Schwarze Acts auf dem Hauptmarkt, der größten Bühne.

Podium am Festivalsonntag, v. l. Petra Rieß (Moderation), Rainer Pirzkall, Tobias Bolfing, Avra Emin, Susanne Göhner, Hans Strecker_Foto: Andrea Iven

 

Ki’Luanda kritisierte das Bardentreffen allerdings für die Einladungspolitik beim Rap-Schwerpunkt im Jahr 2018, bei dem zu wenig Rapper eingeladen worden seien, weil man Rap als „Rhythm and Poetry“ verstanden und auf Sprechgesänge aller Art Bezug genommen hätte. Vor allem aber habe man die heimische marginalisierte Rapszene ignoriert. Man solle „nicht so viel Geld für Leute von außen“ ausgeben, auch vor Ort sei viel Talent, betonte die Nürnbergerin.

Mit dieser eher regionalistischen Kritik machte sie es Rainer Pirzkall, dem künstlerischen Leiter des Bardentreffens, jedoch leicht. Er verwies auf den bundesweiten Charakter des Festivals und darauf, dass es am Lorenzer Platz ja stets auch eine regionale Bühne gebe. Auch Tobias Bolfing vom Schweizer Festival Alpentöne kannte diese Diskussion. „Es sind immer die gleichen Forderungen: zu wenig Laien, zu wenig Lokales“. Bolfing wurde dann selbst etwas hart: „Wer ein anderes Festival will, kann ja selbst eines gründen.“ Mag sein. Aber den besseren Zugang zu den Geldquellen der Kulturämter haben natürlich weiterhin die eingesessenen weißen Akteure und Akteurinnen.

Unnötige Provokation

Auf dem Programmheft und den Plakaten des Bardentreffens war eine asiatisch gelesene Frau mit lila Dreadlocks abgebildet (ein Stockfoto). Aus Sicht der Black Community wirkte das nach dem Maltzahn-Vorfall wie eine Provokation. Abyan Nur gestand, dass sie vor der Diskussionsveranstaltung am Samstag „drei Tage Bauchschmerzen“ hatte, weil das Thema so aufgeladen ist. Sie hatte deshalb viel Unterstützung aus ihrer Community mitgebracht. „Ich bin froh, dass mich viele hier supporten, das bedeutet mir voll viel“. Am Ende zeigte sie sich über den Verlauf der Diskussion immerhin „positiv überrascht“. Ki’Luanda fand es dagegen nur „so mittel“.

www.bardentreffen.de

www.die-maulbeere.de

www.sebalduskirche.de

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