Anna Setton

Brasilianische Formwandlerin

12. September 2023

Lesezeit: 4 Minute(n)

Sanft, luftig, mehr Singer/Songwriter als Bossa Nova, ein Hauch Jazz und Elektronik, raffinierte Arrangements. Anna Setton ist eine typische Vertreterin der neuen Generation Brasiliens, deren Sound sich in den letzten Jahren immer mehr von den musikalischen Klischees des Landes entfernt hat. Und nach dem Abklingen von Corona und einer fatalen Präsidentschaft schaut man auch dort optimistischer in die Zukunft. O Futuro É Mais Bonito („Die Zukunft ist schöner“) heißt Settons neuestes Album.
Text: Hans-Jürgen Lenhart

Vor fünfzehn Jahren begann die Sängerin und Gitarristin Anna Setton ihre Karriere in São Paulos Clubs, veröffentlichte aber erst 2018 ihr unbetiteltes Debütalbum, welches eine Mischung von Cool Jazz und brasilianischen Klassikern präsentierte. Hier merkte man bereits, dass ihre intensive Stimme mehr im Mittelpunkt steht als der Ensemblesound oder instrumentale Improvisationen. Die leichtfüßigen Songs erinnern an Kolleginnen wie Ana Caram, die sich schon früher mit kunstvollen Arrangements zwischen brasilianischen Klassikern und Smooth Jazz bewegten. So hat Settons Version des „Nature Boy“ einen leichten Latin Touch, ohne die Jazzebene zu verlassen oder klassische Easy-Listening-Pfade zu betreten. Immer wieder gibt es Tempowechsel, was sie auf ihrem neuen Album erneut aufgreift.

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Settons erste Kehrtwende kam mit der Coronapandemie. Sie legte den Jazzsound ab und griff in Onlineshows Klassiker der brasilianischen Musik auf, die sie zur Gitarre vortrug. 2021 folgte davon inspiriert mit Onde Mora Meu Coração ein Album, das nur von ihrer klaren Stimme und der Gitarre lebte und wesentlich brasilianischer klang. Eine einfache Produktion, bei der nichts von ihrem engelsgleichen Gesang ablenkte. Gleich als zweite Veröffentlichung ein Soloalbum inklusive Stilwechsel herauszubringen, war ein mutiger Schritt, der ihre Flexibilität erahnen ließ. Gleichzeitig verdichtete sie auf diesem Album ihr Konzept. So ist die Melodie im Stück „Ponta De Areia“ eigentlich typisch für einen Baião, es fehlt jedoch der charakteristische Rhythmus, zudem ist das Tempo stark verlangsamt. Umso intensiver ist dadurch die gesangliche Wirkung, die eher einem Candomblé-Ritual nahekommt. Das als Single ausgekoppelte „Morena Bonita“ von Toninho Horta hat wiederum einen dezent hüpfenden Groove, der einen unwillkürlich mitwippen lässt. Des Weiteren singt sie auf dem Album spanisch oder einen bluesigen Jazzklassiker auf Englisch wie auch ein Duett mit Kubas großer Diva Omara Potuondo. Mit dem Akkordeonisten Mestrinho nahm Anna Setton im Jahr darauf eine Single mit dem Gilberto-Gil-Song „Tempo Rei“ auf, die stimmungsmäßig fast kontemplativ wirkt. Die Wandlung von der Jazzsängerin zur dezenten Chanteuse war vollzogen.

„Die Zeit der ständigen Bossa-Nova-Reanimation scheint vorbei.“

Mit O Futuro É Mais Bonito kam 2023 die nächste Kehrtwende. Ein Album, das bei oberflächlichem Hören etwas in die Richtung von MPB-Star Bebel Gilberto geht. Letztere hat allerdings seit 2014 bis auf eine Ausnahme 2020 (Agora) eine Veröffentlichungspause eingelegt und zuletzt kaum eine bemerkenswerte Weiterentwicklung gezeigt. Setton hingegen präsentiert auf ihren drei Alben unterschiedliche Facetten und erweist sich als wandelbarer. Ihre jetzige Musik schmeichelt sich ins Ohr, wirkt aber weniger trendig als gefühlvoll. Trotzdem die Musikerin inzwischen in Portugal wohnt, nahm sie diese Produktion in Recife im Nordosten Brasiliens auf. Hier arbeitete sie bewusst mit dortigen jungen Talenten wie dem Produzenten und Komponisten Barro oder dem Keyboarder Guilherme Assis. Musiker, die es verstehen, aus dem klassischen Rahmen der Música Popular Brasileira Innovationen hervorzubringen. Einschmeichelnde Melodien, dezente Arrangements mit kaum spürbaren elektronischen Sounds und leichtfüßige Grooves, in denen aber immer einmal Rhythmuswechsel stattfinden, bestimmen Settons heutigen Klang. Diese dezente Herangehensweise basiert zwar auf brasilianischen Stilen und Rhythmen, aber hört man ihre Musik, scheint die Zeit der ständigen Bossa-Nova-Reanimation oder der Trommelorgien vorbei zu sein.

Es ist eine träumerische Popmusik, die anderswo so nicht entsteht, weil Anna Setton das brasilianische Feeling spürbar aufgesogen hat und die Rhythmen ihrer Nation immer mitschwingen. Das Album reiht sich zudem in die neuere Produktionsphilosophie Brasiliens ein mit vielen klanglichen Ideen, die aber nie zu dick aufgetragen werden. Im Song „Canto De Aruanda“ gibt es beispielsweise dezente Bläser, die sich bemühen, fast wie eine Klangwolke zu begleiten, und dennoch den Rhythmus mitbestimmen. Auch „Amor E Sal“ wirkt mit seinen sphärischen Klängen eher wie ein Reggae für die Hängematte. Auf Dauer bezirzen diese Arrangements und nehmen einen gefangen. Typisch auch der „Forró De Dois“. Aus dem normalerweise treibenden Rhythmus des Forró wird ein sanftes Zupfen der Gitarre, dazu eine mitgepfiffene Melodie, die schnell ins Unterbewusstsein dringt. Auch der Opener „Saudade É Pouco“ ist ein Xote, der so sanft wie möglich gespielt wird.

Produktionen mit sphärischen, reduzierten, aber kunstvollen Arrangements kommen in letzter Zeit aus Brasilien vermehrt. Anna Settons Werk gehört dazu, und die Zahl der Veröffentlichungen deutet fast so etwas wie eine Zeitenwende in der MPB an.

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Aktuelles Album:

O Futuro É Mais Bonito (Galileo MC, 2023)

 

Videolink:

www.youtube.com/c/AnnaSetton

Aufmacherfoto:

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