Aufbruchstimmung muss nicht am Anfang stehen. Auch ein Verband, der vierzig Jahre alt wird, kann noch (oder wieder) Aufbruchstimmung verbreiten. Das gilt jedenfalls für Profolk, den Verband für Lied, Folk und Weltmusik, der in diesem Herbst seinen vierzigsten Geburtstag feiert. In den letzten Jahren hat Profolk ein klares Deutschfolk-Profil entwickelt und damit neue Relevanz gewonnen.
Text: Christian Rath
Die Geschichte von Profolk ist keine Folge von Triumphen, sondern eher ein Auf und Ab mit langen, tiefen Ebenen. Als der Verband 1984 gegründet wurde, war die große Zeit der Folkmusik in Deutschland schon vorbei. Es ging eher um Schadensbegrenzung. Die schrumpfende Zahl der Folkklubs wollte besser zusammenarbeiten, um Ideen auszutauschen und Kosten zu sparen. Zweimal pro Jahr gab es Profolk-Treffen, eine Mischung aus Konzert, Erfahrungsaustausch, Fachtagung und Mitgliederversammlung.
Auf dem legendären Profolk-Treffen 1990 in Bad Hersfeld wurde die Idee diskutiert, aus dem alten Tanzfest der DDR in Rudolstadt ein neues, großes, gesamtdeutsches Folk- und Weltmusikfestival zu machen. Dass das gelungen ist, ist bekannt. Von 1992 bis 2002 organisierte Profolk den Folkförderpreis, der dann im deutschen Weltmusikpreis Ruth aufging.
1995 wurde Profolk neu gegründet, wohl aus steuerrechtlichen Gründen, um endlich die Gemeinnützigkeit zu bekommen. Der Journalist Michael Kleff (ab 1998 auch folker-Chefredakteur) wurde Vorsitzender. Er wollte aus Profolk eine schlagkräftige gemeinsame Organisation aller Folkakteure nach dem Vorbild der amerikanischen Folk Alliance machen. Als ihm das nicht gelang, weil zu viele Schwergewichte der Szene Profolk ignorierten, trat er 2000 zurück.
Seitdem wurde Profolk als irgendwie nützlich am Leben gehalten. Von 2008 bis 2023 war Maik Wolter Vorsitzender des Verbands. Seine Frau Doreen übernahm 2014 die Geschäftsstelle. Musikalisch bilden beide zusammen das Duo Jamestown Ferry, das vor allem American Folk spielt.
Die Mitgliederzahl lag recht konstant bei rund dreihundert. Profolk-Mitglieder profitierten als Veranstaltende von einem GEMA-Rahmenvertrag mit zwanzig Prozent Rabatt. Maik Wolter galt zudem als exzellenter GEMA-Berater. Für Musikschaffende bot Profolk zum Beispiel die Gelegenheit, auf einer Bühne beim Nürnberger Bardentreffen zu spielen. Wirklich relevant war Profolk aber nicht mehr. Wenn Profolk sich aufgelöst hätte, wäre es wohl nicht groß aufgefallen.
Ein neuer plausibler Kern
Das hat sich geändert. Profolk ist heute wieder ein bedeutsamer Player in der deutschen Folkszene geworden. Grund dafür ist, dass sich in den letzten zehn Jahren wieder eine kleine, aber sehr engagierte Deutschfolkszene etabliert hat und diese sich nicht neben, sondern innerhalb von Profolk organisiert hat.
Sichtbar wurde dies erstmals 2014 mit der Profolk-CD Walzer – Schottisch – Poloness, einem Album über Folkmusik, die aus alten Tanzhandschriften entstand. Organisiert hatte das Projekt das damalige Vorstandsmitglied Ralf Gehler, Musiker und Organisator des Windros-Festivals in Schwerin. Es folgte 2016 der ebenfalls von Gehler initiierte Sampler Aufs Maul geschaut mit Liedern von Deutschfolk-Aktiven in Regionalsprachen und Dialekten.
Ab 2020 organisierte sich die DeutschFolk-Initiative (DeFI) als Arbeitsgemeinschaft von Profolk. Seit 2021 findet ein jährliches Deutschfolk-Festival an wechselnden Orten statt (in diesem Jahr vom 20. bis 22. September im westfälischen Dinker, siehe auch folker #2.24). Auf deutschfolkinitiative.de gibt es ein Starterkit für Deutschfolk-Sessions mit Liedern und Tänzen; monatlich wird es ergänzt. Zum ersten Mal seit Langem gab es wieder Aktivitäten, an denen sich Profolk nicht nur beteiligte, sondern die unter dem Dach des Verbands stattfanden.
Parallel dazu kandidierten zwei führende Personen der DeFI 2021 für den Profolk-Vorstand und wurden gewählt: die Leipziger Liedermacherin Peggy Luck, die auch bei Waldzitherpunk spielt, und der Thüringer Multiinstrumentalist Tim Liebert (Hüsch!). Als Maik Wolter im März 2023 nicht mehr für den Profolk-Vorsitz kandidierte, übernahm Peggy Luck das Amt. Sie ist eloquent und organisationsfreudig, das könnte gut passen. Neben ihr und Liebert zogen nun auch die Musiker Vivien Zeller (TradTöchter) und Thomas Strauch (Familie Gerstenberg) in den Vorstand ein, beide sind auch in der DeFI aktiv. Neuer Geschäftsführer ist seit Januar 2024 der Liedermacher Gunnar Wiegand aus Niedersachsen, ebenfalls DeFI-Aktivist.
Ein Großprojekt wurde im Juli 2024 beim Rudolstadt-Festival sichtbar. Das Jugendfolkorchester spielte mit vierzig jungen Musikern und Musikerinnen auf der großen Marktbühne und bekam Standing Ovations. Das Projekt soll verstetigt werden (siehe eigenen Artikel auf Seite 40). Auch dieses Vorhaben entstand unter dem Dach von Profolk, mit Finanzierung externer Stiftungen. Geleitet wird das aufwendige Projekt unter anderem von den DeFI-Aktivistinnen Gudrun Walther (Cara, Deitsch) und Sabrina Palm (Reel Bach Consort).
Profolk und die DeutschFolk-Initiative positionieren sich klar gegen die nationalistische Instrumentalisierung von traditioneller Musik. Für weitere politische Akzente sorgt die von Peggy Luck betreute Profolk-AG Folk for Future, die die Klimaschutzbewegung musikalisch unterstützt.
Natürlich ist Deutschfolk nur ein kleiner Teil der deutschen Folkszene. Viele deutsche Bands spielen irische, skandinavische, bretonische oder ungarische Folkmusik. Andere spielen Weltmusik oder schaffen eine ganz eigene Form von Folk. Profolk will auch diese Musikschaffenden und Veranstaltenden vertreten. „Profolk wird nicht zu Pro-Deutschfolk“, verspricht Peggy Luck. Doch es ist für die deutsche Folkszene in ihrer Breite auf jeden Fall ein Gewinn, wenn sich ihr Verband gut entwickelt, weil er einen stabilen, plausiblen Kern gefunden hat.
Das Jubiläum wird im Herbst (31. Oktober bis 2. November) nicht am Gründungsort in Göttingen gefeiert, sondern im hessischen Bad Hersfeld, genau dort also, wo sich 1990 die ost- und die westdeutsche Folkszene vereinigten. Ein starkes Statement.
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Christian Rath hat einen informativen, ausgewogenen Artikel über das Auf und Ab in der 40-jährigen Geschichte von PROFOLK geschrieben. Sein Text hat jedoch einen Schönheitsfehler. So schreibt er: „Als der Verband 1984 gegründet wurde, war die große Zeit der Folkmusik in Deutschland schon vorbei“. Hier setzt der von mir geschätzte Autor Westdeutschland mit Deutschland gleich. Und das geht auch und gerade für die Folkmusik gründlich schief.
Im Osten war die Situation damals eine völlig andere. Als Beleg mögen fünf Ereignisse von 1984 dienen: Im Januar kamen in Leipzig 17 Bands zur DDR-weiten Folkwerkstatt zusammen, gaben öffentliche Konzerte, diskutierten über Quellenforschung, Spieltechnik und den Eigenbau historischer Musikinstrumente. Im Februar startete im thüringischen Benshausen ein Ausbildungskurs für Tanzmeister des Mitmach-Volkstanzes (mindestens 16 DDR-Bands spielten zum Tanz).
Im Juni trafen sich in Slepo/Schleife in der zweisprachigen Lausitz sorbische, deutsche, polnische, tschechische und ungarische Dudelsackspieler und -bauer zum Erfahrungsaustausch. Im Juli beteiligten sich Mitglieder von Folkbands aus Erfurt und Leipzig an der einwöchigen Folkloretour mit Pferdefuhrwerken über die Dörfer rund um Rudolstadt, das heutige Folk- und Weltmusikfestival hat hier eine seiner Wurzeln. Im September erschien die erste Ausgabe des „Leipziger Folksblatts“, Ost-Vorgänger des „folker“.
Wolfgang Leyn
Näheres unter diesem Link: https://www.ostfolk.de/aktuell/folk-im-osten-vor-40-jahren/