Transit heißt das aktuelle Album von Magdalena Ganter, das bereits in folker #3.24 vorgestellt wurde und auf dem sie das Thema „Wandel“ gesanglich, musikalisch und auch textlich behandelt. „Ein exzellent gesungenes Album mit einer tiefsinnigen Poesie, die zum Nachdenken und Entdecken anregt“, schrieb Erik Prochnow. Geboren und aufgewachsen ist Ganter im Schwarzwald, an der Universität der Künste Berlin studierte sie Gesang, Tanz und Schauspiel. Seit 2018 tritt sie mit ihren Liedern unter eigenem Namen auf. Ihr Debüt, Neo Noir, wurde mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Mittlerweile lebt Magdalena Ganter mit ihrer Familie wieder in ihrer Heimat. Im Gespräch erzählt die Sängerin und Songwriterin von Inspiration, Intuition und Idolen. Und das Beste: In einem Workshop exklusiv hier auf folker.world weiht die Vollblutentertainerin alle, die es interessiert, in die Geheimnisse des Songwritings ein.
Text: Klaus Härtel
Wie beginnst du normalerweise einen Songwritingprozess? Mit einer Melodie, einem Text, oder einem bestimmten Gefühl?
Für gewöhnlich schreibe ich an meinem Klavier. Ich habe dazu ein kleines Ritual. Zu Beginn einer Session zünde ich mir ein Kerzchen an und halte einen Moment inne. Dann schaue ich, wohin es mich zieht, an die Tasten oder zu Block und Papier. Ansonsten habe ich auch immer ein Schreibheft bei mir, in das ich im Alltag Gedankenfetzen notiere. Dieser Fundus dient später auch als Grundlage für Lieder.
Woher beziehst du die Inspiration für deine Texte und Melodien? Gibt es bestimmte Themen, die dich besonders faszinieren?
Meine Inspiration ziehe ich aus allem Möglichen. Entscheidend dabei ist für mich, dass mich etwas tief berührt und nachhaltig beschäftigt, mir also länger präsent bleibt, oder es mir sinnvoll und wichtig erscheint, etwas zu thematisieren.
Wie gehst du mit Schreibblockaden um?
Ich versuche das Schreiben und Komponieren nicht zu forcieren im Sinne von „Ich muss dieses Lied fertigkriegen!“ oder „Ich muss produktiv sein!“. Wenn ich merke, dass es nicht fließen will, versuche ich eher loszulassen. Spiele stattdessen zum Beispiel ein paar Lieder von Künstlerinnen oder Künstlern, die mir gefallen oder improvisiere mit Text und Melodie. Dass ich nichts abliefern muss, mir keine Plattenfirma im Nacken sitzt, die mir Deadlines diktiert, empfinde ich als großes Glück und Freiheit. Dem Druck des Musikgeschäfts zu trotzen und mir meine innere Freiheit zu behalten, mein eigenes Tempo zu wahren und immer wieder neu auszuloten, was gerade für mich dran ist, empfinde ich als Teil meines Weges. Es ist ein herausfordernder Weg, ich muss vor allem auch aushalten, wenn gerade mal nichts passiert, der schöpferische Prozess – gefühlt – stagniert. Aber er ist eben immer wieder auch zutiefst erfüllend.
Wie wichtig ist für dich die persönliche Erfahrung in den Songs? Basiert vieles auf deinem eigenen Leben oder auch auf Beobachtungen?
Meine Lieder haben alle etwas Autobiografisches, manchmal sind sie dazu um ein paar fantastische Elemente erweitert. Eine Beobachtung kann dafür ein Ausgangspunkt sein. Eine persönliche Anbindung ist für mich in jedem Fall elementar. Anders wüsste ich für mich keinen Zugang zum Schreiben.
Ist dahingehend der Schwarzwald „anders“ als Berlin?
Der schwarze Wald bietet in jedem Fall viel Ruhe zum Innehalten und Reflektieren. Die pulsierende, nimmermüde Großstadt dagegen hält viel Inspiration und Austausch bereit. Allein die vielen unterschiedlichen Menschen und Kulturen, die dort zusammentreffen …
Hast du eine Umgebung, die dir beim Songwriting hilft, in den kreativen Fluss zu kommen? Ein Komponierhäusl etwa wie einst Gustav Mahler?
Ich suche in sehr regelmäßigen Abständen den Mathisleweiher auf. Er ist oberhalb unseres Dorfes tief im Wald gelegen, man kann ihn nur zu Fuß erreichen. Es ist für mich ein sehr kraftvoller, fast heiliger Ort, an dem ich die Verbindung nach unten und oben gut spüren und in schwierigen Zeiten zu Klarheit finden kann.
„Entscheidend ist für mich, dass mich etwas tief berührt und nachhaltig beschäftigt.“
Wie entscheidest du, ob ein Song „fertig“ ist, oder ob er noch weiterentwickelt werden sollte?
Meist spiele ich neue Lieder eine ganze Weile live bei Konzerten „rund“, ehe ich sie aufnehme und sie damit ihre finale Form finden. In dieser Zeit entwickle ich sie auch immer noch ein bisschen weiter, gerade auch, was das Tempo und mögliche Arrangements angeht.
Gibt es Kulturschaffende oder Genres, die deinen Stil besonders geprägt haben? Ich habe von Josephine Baker gelesen – was fasziniert dich an ihr?
Die gibt es gewiss. Ich liebe die Theatermusik der Zwanziger- und Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts, allen voran die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill, ebenso wie Chansons von Interpretinnen wie Claire Waldoff, Édith Piaf oder später Hildegard Knef. Zu meiner Jugendzeit habe ich viel Jazz und Soul von Sängerinnen wie Ella Fitzgerald, Billie Holiday, Nina Simone und Lauryn Hill gelauscht. An Josephine Baker, der ich eine Hommage gewidmet habe, fasziniert mich neben ihren grandiosen Bühnenperformances ihr politisches Engagement. Diese große Künstlerin und Widerstandskämpferin war eine Visionärin und feministische Vorreiterin. Und sie hatte Humor!
Welche Rolle spielt Intuition in deinem kreativen Prozess, und wie verbindest du sie mit strukturiertem Arbeiten?
Intuition ist für mich ein elementarer Schlüssel, um in einen „Flow“ zu finden und schöpferisch tätig zu sein. Struktur ist für mich zurzeit vor allem eine von außen auferlegte Sache. Mit zwei Kleinkindern in petto sind die Tagesstruktur und die Zeitfenster, in denen ich mich meiner Arbeit widmen kann, sehr klar begrenzt. Das Ausloten von Chaos und Struktur innerhalb meiner Arbeit ist auf eine Weise immer präsent. Dazu fällt mir eine Geschichte ein: In Berlin durfte ich mal über ein gutes Jahr lang immer tagsüber zum Üben und Komponieren in einen kleinen Jazzclub in Neukölln. Es gab dort eine Art Guckkastenbühne mit einem alten Flügel drauf und grünen Samtvorhängen davor. Das war eine tolle, sehr kreative wie produktive Zeit. Es war wirklich chaotisch dort, dreckig und verrucht, aber irgendwie wohnte dem Ort ein Zauber und Spirit inne, dass es mir ganz leichtfiel, mich dort zu konzentrieren und jeden Tag diszipliniert zu üben. So habe ich dort mein Debütalbum Neo Noir erarbeitet und im Anschluss aufgenommen. Es war nicht geplant. Die Idee ist aus einem Bauchgefühl heraus entstanden, und der Betreiber hat direkt oder vielleicht eben auch intuitiv Ja dazu gesagt und mir den Zweitschlüssel zum Laden in die Hand gedrückt. Den Jazzclub gibt es so leider nicht mehr, unsere Verbindung ist aber geblieben.
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