Musikalische Vielfalt im Diskurs und auf der Bühne

Das Projekt Migrants Music Manifesto

26. Juli 2022

Lesezeit: 4 Minute(n)

Vom 13. bis 19. September war Köln Schauplatz der ersten Etappe des Migrants Music Manifesto, einer Kombination von Workshops, Konferenz, Filmfestival und einem Konzert der besonderen Art. Das große Thema dabei: musikalische Diversität.
 Text: Wolfgang König

„Von Beginn an war das Migrants Music Manifesto oder MMM ein europäisches Projekt, gefördert durch Creative Europe, das Kreativwirtschaftsförderprogramm der EU, mit Partnern aus Italien, Frankreich, Spanien, Belgien und Griechenland“, erzählt Birgit Ellinghaus, Chefin von Alba Kultur in Köln, die auf deutscher Seite die Fäden zog. „Wir als Partner in den einzelnen Ländern hatten 2018 einen entsprechenden Antrag in Brüssel gestellt. Das hatten wir schon 2015 und 2017 gemacht, aber ohne Erfolg. Als unsere französischen Kollegen dann 2018 einen weiteren Antrag vorschlugen, waren die meisten von uns pessimistisch. Wir haben das Migrants Music Manifesto innerhalb von nur vier Wochen anhand der alten Anträge entworfen, ohne allzu viel Arbeit zu investieren. Wider Erwarten wurde das Projekt im Oktober 2019 genehmigt, lag aber erst mal auf Eis, weil die neue EU-Kommission unter Frau von der Leyen noch nicht arbeitsfähig war. 2020 wollten wir durchstarten, aber dann machte uns die Pandemie einen Strich durch die Rechnung.“ 

Im Zentrum des Projektes stand das im Zusammenhang von Flucht und Migration in Belgien entstandene Ensemble Refugees for Refugees, das 2016 sein erstes Album veröffentlichte und inzwischen Refa heißt. Die aus West- und Zentralasien stammenden Musikerinnen und Musiker sollten in den beteiligten Ländern mit geflüchteten Kolleginnen und Kollegen Workshops durchführen und jeweils ein gemeinsames Konzert erarbeiten. Die letzte Station sollte im September 2020 Deutschland sein. Die Pandemie fügte es, dass Deutschland zwölf Monate später den Anfang machte, und die anderen 2022 folgen werden.

Am 18. September fand in Köln der Auftritt des 28-köpfigen MMM-Projektorchesters unter der Leitung des aus dem Irak stammenden Bassem Hawar statt, der seit 2000 in Deutschland lebt und die arabische Kniegeige Djoze spielt. Vom Berliner Radio Multicult.fm wurde das Konzert live gestreamt. Über deren Website ist es nach wie vor abrufbar. Johannes Theurer, der das Streaming übernommen hatte, zeigte sich vom musikalischen Niveau und dem Engagement der Orchestermitglieder beeindruckt: „Hier ging es nicht darum, einfach nur guten Willen zur kulturübergreifenden Zusammenarbeit zu zeigen; diese Musiker sind zum großen Teil vielbeschäftigte Profis, die genau wussten, was sie taten. Außerdem war Bassem Hawar als Leiter des Ensembles genau der richtige Mann.“

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MMM-Projektorchester

Fotos: Husniddin Ato

„Globale Klänge haben inzwischen auch in der Musikpädagogik ihren festen Platz.“

Birgit Ellinghaus

Chefin, Alba Kultur, Köln

Die pandemiebedingte Verzögerung wurde von Birgit Ellinghaus genutzt, um das Programm mit zusätzlich eingeworbenen Mitteln auszuweiten. Neben Konzerten gab es innerhalb der Projektwoche insgesamt zwanzig Workshops für Musiker und Musikerinnen aller Niveaus. Geleitet wurden die Workshops außer von Refa-Mitgliedern auch von exilierten Kulturschaffenden, die in Nordrhein-Westfalen leben. Eine dreitägige Konferenz zur Zukunft musikalischer Vielfalt in der Zeit nach Corona war ebenfalls Teil des Projektes MMM. Daran waren im Rahmen von zwanzig Panels insgesamt 105 Referentinnen und Referenten aus Deutschland, Frankreich, Schottland, Belgien, den Niederlanden, Spanien, der Schweiz, der Türkei und vom Balkan beteiligt: Musiker, Wissenschaftlerinnen, Vertreter von musikalischen Verbänden und Institutionen sowie Politikerinnen. Akteurinnen und Akteure also, die normalerweise eher unter sich bleiben. Dabei wurde unter anderem mehrfach kritisiert, dass es – anders als bei Genres wie Tanz oder Theater – keine Struktur von Anlaufstellen für den Bereich Weltmusik gibt, an die sich in Not geratene Künstlerinnen und Künstler wenden können. Immerhin signalisierten Anwesende aus der Politik, dass der Handlungsbedarf erkannt wurde.

Panel-Generaldebatte beim Migrants Music Manifesto

Fotos: Husniddin Ato

„Kurzfristig eingeschoben haben wir eine Diskussion über Möglichkeiten der Hilfe für afghanische Musiker, die aus dem Land fliehen mussten“, berichtet Birgit Ellinghaus. „Denn während sich viele deutsche Medien für die Ausreise und die Betreuung afghanischer Journalisten einsetzten, tat sich beim deutschen Musikrat und ähnlichen Verbänden hinsichtlich der Musiker kaum etwas.“ Hilfreich an diesem Panel war vor allem, dass diverse Initiativen aus dem deutschsprachigen Raum, die auf diesem Gebiet tätig sind, sich vernetzen und Erfahrungen austauschen konnten.

Etwa 250 interessierte Besucherinnen und Besucher verfolgten die Panels als Publikum. Diskutiert wurde auf Deutsch, Englisch und Französisch. Die Veranstaltungen wurden mitgeschnitten und werden zurzeit für eine Veröffentlichung aufbereitet ebenso wie das große Konzert des MMM-Projektorchesters, das mit vier Kameras filmisch dokumentiert wurde. Vieles davon wird dann auch auf der Alba-Kultur-Website ins Netz gestellt werden.

Begünstigend wirkte, dass NRW-Ministerpräsident Laschet im Zuge des Wahlkampfes schon im August das Abstandsgebot für Veranstaltungen mit 3G aufgehoben hatte. Allerdings waren die Grenzen der EU nach wie vor für Teilnehmer vom Trikont geschlossen, weswegen mehrere Filmemacher Dokumentationen über außereuropäische Musikkulturen zeigten und anschließend mit dem Publikum diskutierten. Veranstaltungsort für das gesamte Projekt war das Kulturzentrum Alte Feuerwache in der Kölner Innenstadt.

Netzwerktreffen beim Migrants Music Manifesto

Fotos: Husniddin Ato

Zu den Erkenntnissen, die Birgit Ellinghaus mitgenommen hat, gehört der Fakt, dass globale Klänge inzwischen auch in der Musikpädagogik ihren festen Platz haben. Nicht nur, dass Musikschulen entsprechende Angebote machen, es gibt auch Programme, um zugewanderte Künstler und Künstlerinnen so weiterzubilden, dass sie die erforderliche Lehrberechtigung erwerben und das Spielen von Instrumenten unterrichten können, die noch vor wenigen Jahren als exotische Außenseiter galten. Die Nachfrage nach solchen Kursen ist nicht nur seitens der Eingewanderten, die aus den jeweiligen musikalischen Traditionen kommen, da, sondern kulturübergreifend. Ein weiteres Beispiel, wie Musik dazu beitragen kann, den menschlichen Horizont zu erweitern.      

 

albakultur.de

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