folker präsentiert
Zu Gast in Manchester, feierte die WOMEX in diesem Jahr ihr dreißigjähriges Bestehen. 1994 in Berlin als „World Music Expo“ mit 300 Teilnehmenden aus der Profiszene gegründet, zählte die diesjährige Veranstaltung der vor drei Jahren in „Worldwide Music Expo“ umbenannten Messe 2.850 Beteiligte. Nach ihrer Gründung hat sie sich ganz schnell zum weltweit größten Branchentreffen der Musik entwickelt, das jenseits des globalen Rock- und Pop-Einerleis die kulturelle Vielfalt repräsentiert. Keine Frage: Ohne die WOMEX wäre die Musikszene dramatisch ärmer.
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Text: Willi Klopottek
Die WOMEX wird gegründet
Seit den Achtzigerjahren entdecken immer mehr Menschen in Europa und den USA die lebendigen Musiktraditionen des ganzen Globus. So startet der Rockmusiker Peter Gabriel im Vereinigten Königreich 1982 das erste WOMAD-Festival – unter anderem mit Echo & the Bunnymen, aber auch einem Trommelensemble aus dem ostafrikanischen Burundi – und später dann sein Real-World-Label. 1987 schließlich prägen britische Aktivisten im Londoner Pub Empress of Russia den Begriff „World Music“, um so unterschiedlichen in Traditionen wurzelnden Stilen wie indonesischem Gamelan, kolumbianischer Cumbia, Fado und marokkanischer Gnawamusik eine gemeinsame Plattform zu bieten.
In diesem Umfeld entstand in Berlin das Label Piranha, das 1988 zum ersten Mal das Heimatklänge-Festival veranstaltete. Daraus entwickelte sich die Idee, den im Bereich der Weltmusik Tätigen ein Forum des Austausches zu bieten, was dann 1994 mit der ersten WOMEX umgesetzt wurde. 2004 schrieb die heutige graue Eminenz des Piranha-Labels, Christoph Borkowsky Akbar, zum zehnjährigen Bestehen: „Hier sind wir, die WOMEX – Weltmusikmesse und Netzwerkplattform Nummer eins, die sich ausschließlich der Welt-, Roots-, Folk-, ethnischen, traditionellen, lokalen und Diasporamusik aller Art widmet … rockend ’n‘ rollend zu den Rhythmen und Klängen kommender globaler Musiktrends … Netzwerken ist der Schlüssel zu diesem Erfolg …“ Besser kann die stilistische Bandbreite nicht beschrieben werden.
„Ohne die WOMEX wäre die Musikszene dramatisch ärmer.“
Seit 1994 hat die alljährliche WOMEX nur zweimal nicht stattgefunden, nämlich 1996 und – coronabedingt – 2020. Als Veranstaltungsorte kommen nur europäische Städte, die teilweise mehrfach beteiligt waren, infrage. Die letzten Ausgaben führten nach Lissabon, A Coruña und 2024 eben Manchester, bevor es im nächsten Jahr zum zweiten Mal ins finnische Tampere geht. Die Veranstaltungen gliedern sich in die dreitägige Messe, auf der zahlreiche Plattenfirmen, Kulturschaffende, Agenturen, Veranstaltende an Ständen zu erreichen sind, eine große Anzahl von Konferenzen, die sich mit allen möglichen Themen rund um die Weltmusik beschäftigen, und rund sechzig, Showcases genannten Kurzkonzerten, mit denen sich Bands und Musikschaffende neu vorstellen oder ihre Karriere intensivieren möchten.
Bei der Eröffnungsveranstaltung präsentieren sich immer eine Reihe von Acts, die aus dem Gastgeberland oder der spezifischen Region stammen. Beim Abschluss am Sonntag werden Awards verliehen – zum einen an Organisationen oder Einzelpersonen, die sich um die Musikszene allgemein oder um Einzelaspekte verdient gemacht haben, zum anderen an eine Band oder Musikschaffende, die besondere Bedeutung erlangt haben; 2018 zum Beispiel an das umtriebige Avantgarde-Ensemble Kronos Quartet, das sich nicht scheut, sich auch mit Weltmusik zu beschäftigen, 2021 die kurdische Vorzeigesängerin Aynur und 2024 den zum Zeitpunkt der Übergabe des Preises leider erkrankten Brasilianer Hermeto Pascoal. Ebenfalls werden die zwanzig erfolgreichsten Plattenlabel der abgedeckten Genres des Jahres vorgestellt, eine Auswahl, die sich auf deren Präsenz in den World Music Charts Europe und der Transglobal World Music Chart stützt.
Die Showcases und Konferenzen basieren auf der Auswahl durch eine jährlich wechselnde Jurygruppe, die sogenannten 7 Samurai. Infolgedessen ändern sich die stilistischen Schwerpunkte immer wieder etwas. Basis sollen aber stets die lokalen Wurzeln in den verschiedenen Regionen der Welt sein. Aus WOMEX-Kreisen ist zu hören, dass man verstärkt darauf setze, ein junges Publikum anzusprechen. So finden sich zunehmend jüngere Acts im Programm, die mit Elektronik arbeiten. Was bisweilen dazu führt, dass es solche „modernen“ Showcases gibt, bei denen eine Verwurzelung in Traditionen nicht zu erkennen ist. Unbestreitbar ist, dass Musik sich stetig weiterentwickelt und verändert. Bisher jedenfalls ist es der auswählenden Jury immer gelungen, eine spannende Mischung auf die Bühnen zu bringen, die moderne Strömungen und Fusion-Aspekte präsentiert, ohne auf die ganz ursprünglichen Musikstile zu verzichten, wie etwa 2023 mit der lauten Crossoverband Avalanche Kaito aus Burkina Faso und Belgien, aber eben auch mit Elshan Ghasimi, die klassische persische Musik auf ihrer Tar-Laute darbot.
Bestandsaufname und Perspektiven
Die WOMEX ist und bleibt in erster Linie eine Veranstaltung für das Fachpublikum, das hier Kontakte knüpft, sich austauscht und sich mit neuen Trends vertraut macht. Hier ergibt sich für Musikschaffende die Möglichkeit, einen Plattenvertrag zu bekommen, ihre Platten mithilfe eines Vertriebs erfolgreicher an Kaufinteressierte zu bringen, eine Agentur für sich zu begeistern oder gar einen Vertrag für eine Tour oder ein Festival zu bekommen. Hier wird also angebahnt, was Publikum und Fans in nächster Zeit an Neuem erwarten können. Bedauerlich ist allerdings, dass die Zahl derer, denen es ausschließlich um einen schnellen Vertrag für eine Tour oder ein Festival geht und die an Medienkontakten nicht interessiert sind, größer wird. Keine Frage, die Bedingungen sind schwieriger geworden, Labels und Magazine sind teilweise verschwunden und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten setzen den Trend, sich mehr auf den Mainstream zu konzentrieren, weiter fort. Aber die Weltmusikszene lebt und entwickelt sich – selbst wenn es Underground wäre … Na und?
Dafür, dass dies weiterbesteht und das vielfältige musikalische Erbe der Menschheit in seinen verschiedenen Formen auch in Zukunft präsent bleibt, ist die WOMEX unverzichtbar. Von daher: Auf die nächsten dreißig Jahre!
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