Keine Musikrichtung ist davor gefeit, in der rechten Szene Gefallen zu finden. Umso wichtiger ist es, hier als Musiker, Konsumentin oder Fan bei jeder Gelegenheit Haltung zu zeigen.
Text: Wolfgang Weitzdörfer
Manchmal ist man sich nicht ganz sicher, ob man wirklich in der Realität lebt oder doch in einer Matrix-ähnlichen Simulation selbiger. Alles scheint so schnell zu gehen, Gewissheiten sind alles andere als sicher, und die Frage, die sich nicht zuletzt in Folge der Europawahlen vom Juni dieses Jahres zu stellen hat, ist diese: Bewegt sich die Gesellschaft in eine Richtung, die die Welt schon einmal an den Rand des Abgrunds gebracht hat? Der europaweite Rechtsruck bei den Europawahlen hat deutlich gemacht, dass die politischen Vorstellungen der vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführten und in Teilen rechtsextremen Partei AfD kein deutsches Phänomen sind. Auch wenn zuletzt in Großbritannien die Tories abgewählt wurden und der französische Rassemblement National in den von Präsident Emmanuel Macron ausgelösten vorgezogenen Neuwahlen eine Niederlage erlitten hat – rechte Parteien, rechtsextremes Gedankengut und menschenverachtende politische Forderungen sind sozusagen en vogue. Und haben übrigens sowohl in Frankreich als auch in Großbritannien trotz allem erschreckend viele Stimmen bekommen.
Jeden aufrechten Demokraten müssen diese Entwicklungen in Angst und Schrecken versetzen. Und natürlich ist all dies auch kein rein politisches Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Insofern sollte man sich auch nicht der Illusion hingeben, dass mit einem Verbot etwa der AfD alle Probleme gelöst wären. Die Ideen, die Gedanken, sie sind in den Menschen, die rechte Parteien wählen, ob sie nun erlaubt oder verboten sind. Machen wir uns nichts vor: Sie sind ein Teil der Gesellschaft, in unterschiedlichem Ausmaß, aber doch durchgehend. In der Konsequenz ist auch die Musik – und hier natürlich genauso die Folkmusik – ihrerseits nicht vor der Vereinnahmung durch alte und neue Nazis gefeit. Dabei könnte man doch meinen, dass gerade der Folk mit seiner Kultur der Protestbewegungen und des Protestlieds immun sein müsste gegen nationalistische Tendenzen.
Rückblende, 1943. Woody Guthrie, Folklegende aus Oklahoma, dessen wohl größter Hit „This Land Is Your Land“ ist, hat sich mitten im Zweiten Weltkrieg den Spruch „This machine kills fascists“ auf seine Gitarre geschrieben. Abgesehen davon, dass der Spruch eingängig war und ist, spiegelt er natürlich eine entsprechende Geisteshaltung wider. Die übrigens unter anderem von den Dropkick Murphys, der Irish-Folkpunk-Band aus Boston in den USA, auf ihrem elften Studioalbum fortgeführt wurde. Das trägt den Titel This Machine Still Kills Fascists und enthält Vertonungen bislang unveröffentlichter Texte Guthries.
Und auch in Deutschland gibt es Singer und Songwriterinnen, die sich explizit gegen rechte Strömungen äußern. Etwa die Musikerin und selbst ernannte Vagabundin Pernilla Kannapinn, die in ihrem Lied „Fast das ganze Land“ mehr als deutliche Worte findet. „Wir haben wirklich keine Zeit / Für faschistische Idioten“, singt sie da mit zarter Stimme zur sanft gezupften Ukulele – und hat damit ausgerechnet auf Tiktok einen veritablen Hit gelandet.
Aber es würde nicht den Mechanismen der Menschheit entsprechen, gäbe es nicht auch in der großen, vielfältigen Welt der Folkmusik Nazis, Faschismus, Nationalismus – und den Hang, lieber dem dunkelbraunen Gestern zu frönen als einem bunten Heute oder Morgen. „Neofolk“ heißt hier das Stichwort, präziser: die rechtskonservative Auslegung des Neofolk. Denn das eigentliche Genre ist dem Post-Punk, dem Post-Industrial und dem ursprünglichen Folk entwachsen, mithin also, wenn nicht links, so doch zumindest unpolitisch. Als führende Protagonisten dieser Szene dürften die Briten Death in June gelten, bei denen es – wie so oft bei den Neuen Rechten – nie ganz eindeutig ist, was genau wie gemeint ist.
„Die Frage, was ist Überzeugung,
was Faszination,
kann nicht immer genau
geklärt werden.“
Und auch die Frage, was ist Überzeugung, was Faszination, kann hier nicht immer genau geklärt werden. So soll sich etwa der Bandname auf den sogenannten Röhm-Putsch vom 30. Juni 1934 beziehen, der „Nacht der langen Messer“, was einerseits bestritten, andererseits eingeräumt wird, aber „nicht so gemeint“ ist. Abgesehen davon kann man sich seine Fans natürlich nicht aussuchen, muss aber damit rechnen, dass einen die Falschen mögen könnten, wenn man mit entsprechenden Klischees spielt. Rammstein können hier sicherlich auf dem Rock-Superstar-Niveau ein Lied singen. Auf der anderen Seite: Wer Leni-Riefenstahl-Optik in Videoclips verwendet, braucht sich über Applaus aus der rechten Ecke sicherlich nicht wundern. Wenn es wie eine Ente quakt, sich wie eine Ente bewegt – ist es dann wirklich immer auch eine Ente? Man sollte sich fragen, warum man mit entsprechender Symbolik spielt und ob dies nicht ein Spiel mit dem Feuer ist.
Ein zentrales Element der Neuen Rechten ist der völkische Begriff. Das eigene „Volk“, das natürlich um alle fremden Elemente „bereinigt“ sein muss, steht über den anderen Völkern. Alles andere als unwichtig ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Identitäre Bewegung (IB) – in Deutschland als extremistische Bewegung vom Verfassungsschutz beobachtet –, deren Vordenker im deutschsprachigen Raum Martin Sellner ist, kurioserweise ein Österreicher. Der – nennen wir ihn einmal so – Aktivist, der vor allem das völkische Thema der Remigration auf seine Agenda gesetzt hat, steht einer Bewegung voran, die sich selbst hip gibt, allerdings stramm rechts und konservativ ist – und sich als Soundtrack für den Umsturz den Neofolk auserkoren hat. Auch hier gibt es eine Vereinnahmung bereits bestehender Bands durch die Neuen Rechten.
Es ist nie ganz eindeutig,
was genau wie gemeint ist.
Ein Beispiel für diese Tendenz sind die Österreicher von Jännerwein. Die Band ist 2007 gegründet worden und wird von IB-Chef Sellner Mitte der Zehnerjahre über den rechten grünen Klee gelobt – als „rechte Alternative“ und „Easy-Listening-Neofolk zum Einstieg“ bezeichnet dieser Jännerwein in einem Artikel im Rolling-Stone-Magazin im August 2016. Warum man den Identitären im Rolling Stone interviewen muss, steht auf einem anderen Blatt. Den Salzburgern ist das auf jeden Fall dann wiederum doch zu viel, man distanziert sich in einem offenen Brief an das Musikmagazin davon, „eine Vorzeigeband der neurechten Identitären“ zu sein. Warum besagte Neurechte die Band indes so abfeiern, wird klar, wenn man sich die Topoi ansieht. Eine Rückbesinnung auf Texte aus der deutschen Romantik, Instrumente wie Drehleier, Geige und Sackpfeife, dazu Gitarre und Bass, aber keine Schlaginstrumente oder Samples. Das alles passt natürlich in das rückwärtsgewandte Weltbild der völkisch-nationalistischen Neuen Rechten. Ist aber natürlich durchaus auch vollkommen neutral zu lesen – und betrachtet man die Reaktion der Band, ist man geneigt zu glauben, dass es auch so und nicht anders gemeint ist.
Jedenfalls: Hier gilt, was Jännerwein in ihrem offenen Brief an den Rolling Stone geschrieben haben: „Freilich kann sich keine Band ihre Fans aussuchen; was wir aber können, ist, vehement der politisch motivierten Nutzung unserer Musik zu widersprechen.“ Und hier schließt sich letztendlich der Kreis zurück zum Beginn und zur These, dass der Folk von rechten Umtrieben verschont bleiben müsste: Eine solche Hoffnung bleibt Illusion. Denn selbst wenn man schlimmstenfalls inhaltlich neutrale Musik schreibt, kann es sein, dass Rechte sie gut finden und sie sich zu eigen zu machen versuchen. Das sicherlich plakativste – und in seiner Simplizität wohl auch erschreckendste – Beispiel dafür ist der Dance-DJ Gigi D’Agostino beziehungsweise sein Liebeslied „L’Amour Toujours“. Das ist von enthemmten und ihrer selbst viel zu sicheren Wohlstandstouristen auf Sylt mit einem an dieser Stelle nicht zu wiederholenden rassistischen Text für sich vereinnahmt worden. So sehr vereinnahmt, dass es seitdem viel zu oft und von unterschiedlichen Menschengruppen wiederholt worden ist. D’Agostino hat sich schon oft – zugegebenermaßen, aber verständlicherweise etwas hilflos – von dem seinem harmlosen Song übergestülpten Rassismus zu distanzieren versucht. Mehr als entschiedener Widerspruch ist hier wohl leider nicht möglich.
Und das ist vielleicht auch die Lehre, die man daraus ziehen kann. Es bleibt nur, sich zu positionieren, immer wieder deutlich zu machen, wofür man steht und wofür nicht. Sei es nun als Musiker, als Konsumentin und – oft am schwierigsten – als Fan.
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