Seit ein paar Jahren ist das schon so: Wenn man sich die Besetzungslisten schottischer Folkalben durchliest, taucht mit großer Regelmäßigkeit der Name Innes White auf, der meist die akustische Gitarre beisteuert. Was ist das eigentlich für ein Typ, der sich mit großer Konsequenz und Musikalität abseits des Scheinwerferlichts bewegt?
Text: Mike Kamp
Hin und wieder trifft der Spruch auch in der Musik zu: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. „Ich habe schon immer gesungen und mit Spielzeuginstrumenten rumgemacht. Meine ganze Familie ist ziemlich musikalisch und speziell in der älteren Generation gab es viele Sänger und Sängerinnen. Mein Großvater hat gälische Chöre dirigiert, und meine Tanten haben professionell gesungen. Die hatten sogar eine ziemlich bekannte gälische Vokalgruppe namens Mackenzie. Auch meine Mutter war eine tolle Sängerin, auch wenn sie damit sehr zurückhaltend war. Mein Vater ist generell ein riesiger Musikfan mit einer unglaublich vielfältigen CD- und Vinylsammlung. Bei irgendwelchen Familientreffen in den schottischen Highlands wurde auch ausgiebig auf Gälisch gesungen, und jeder in meiner Generation hatte sein Lieblingslied, das er dann vortrug. Und weil wir im Haus immer so eine riesige Auswahl an Musik hatten, hat mich das motiviert, so viel wie möglich über Musik zu lernen, nicht nur über traditionelle Musik oder Folk.“
Die persönliche Motivation ist neben einem kompetenten Lehrer die wichtigste Voraussetzung für erfolgreichen Musikunterricht. „Mit sieben Jahren begann ich, die Gitarre richtig zu erlernen, und zwar bei einem großartigen Lehrer namens Duncan Kennedy. Das war ein ziemlich konventioneller Unterricht, er hat mir beigebracht, Noten zu lesen, Fingerstyle zu picken, Flamenco zu spielen und so was. Gleichzeitig jedoch habe ich mich auch mit traditioneller Musik beschäftigt, mit fantastischen Organisationen wie Fèis Na h-Òige oder Fèis Rois, wo man unabhängig vom Alter traditionelle gälische Musik erlernen kann. Das sind Workshops oder Musikcamps [zur Unterrichtung gälischer Kunstformen; Anm. d. Red.], die teilweise über eine Woche gehen. Das hat mich richtig inspiriert und den Wunsch ausgelöst, eine Karriere in Sachen Musik anzustreben.“
Innes White spielt neben der Gitarre auch Mandoline und Piano. Wie wurde die Gitarre zum Hauptinstrument? White antwortet mit entwaffnender Offenheit, aber deutlichem Augenzwinkern: „Ich wollte Rockstar werden! In der Schule habe ich auch noch Dudelsack gelernt, aber die aufwendige Pflege des Instruments hat mich abgeschreckt. Meine erste Spielzeuggitarre bekam ich mit zwei Jahren, und es gibt tatsächlich noch Videos von mir auf einer Hochzeit, wo ich rumgelaufen bin und eine grausame Version von ‚Yellow Submarine‘ zum Besten gab. Danach hat sich alles natürlich entwickelt.“
Auf die Frage „Clapton oder Gaughan?“ kommt die Antwort pfeilschnell. „Definitiv war Eric Clapton mal ein Vorbild, speziell das bluesige Material oder das MTV-unplugged-Album, weniger die Arbeit mit Cream. Dick Gaughan hat mich auch inspiriert, und ich habe bis heute nicht herausgefunden, wie er manche Dinge gespielt hat.“
Apropos natürliche Entwicklung, der Job in der zweiten Reihe war mehr oder weniger das Resultat seiner Ambitionen: „Ich wollte eigentlich immer so viel arbeiten wie möglich. Plan war, in Richtung Sessionmusiker zu gehen, um mir auf diese Weise langsam eine Band oder eine Solokarriere zu erarbeiten, aber dann hat mir diese Sessionarbeit einfach richtig Spaß gemacht.“
Braucht man eigentlich als zweiter Mann oder Kollaborateur spezielle Talente? „Zeitmanagement ist das A und O, und das habe ich bislang noch nicht so richtig auf die Reihe bekommen. Aber ich habe Glück, eigentlich hatte ich anfänglich Sorge, ob genügend Arbeit reinkommt, aber die kam immer genau dann, wenn ich sie brauchte. Momentan ist der Kalender so voll wie noch nie, bis in den April. Und dann heirate ich erst mal.“
Muss man als Sessionmusiker nicht auch permanent Networking betreiben und generell gut in der Szene vernetzt sein? White: „Das ist wohl wahr, aber die Szene in Schottland macht es einem auch einfach. Ich kannte schon viele Musiker und Musikerinnen, weil sie mich bei den Féis-Wochen unterrichtet hatten. Und dann gab es ein Féis-Projekt mit dem Titel ‚Ceilidh Trail‘, bei dem ich Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel auf dem Cambridge Folk Festival und anderen Events weltweit getroffen habe. Außerdem bin ich nach Beendigung der Schule sofort nach Glasgow gezogen, wo es jede Menge Gleichgesinnte gab. Daher war die Vernetzung kein großer Aufwand für mich, ich hatte großes Glück.“
Tatsächlich braucht es noch einiges mehr, um ein begehrter Sessionmusiker zu werden, das weiß auch Innes White ganz genau. „Es kommt immer auf das Projekt an. Ich glaube, ich finde sehr schnell heraus, was meine Rolle ist und wie viel ich beitragen muss. Das ist jedes Mal unterschiedlich. Eine richtige Zusammenarbeit macht mir unheimlich Spaß, aber es kann auch eine erfüllende Herausforderung sein, in einem Projekt eine vordefinierte Rolle zu übernehmen und auszufüllen.“
Und dann geht es selbstverständlich darum, ganz bewusst in der zweiten Reihe zu stehen. „Du darfst einfach einem Projekt nicht deinen eigenen Stempel aufdrücken wollen, wenn das nicht gewollt ist. Meiner Ansicht nach bringt ein guter Sessionmusiker die perfekte Menge an Kreativität ein, ohne das Projekt zu sehr in seine Richtung zu lenken. Die verrückten, selbstverliebten Ideen kann ich mir ja für meine eigene Musik aufbewahren.“
Das ist ein interessantes Stichwort, ist denn irgendwann tatsächlich mal ein Innes-White-Soloalbum zu erwarten? Die Antwort fällt typisch vorsichtig aus. „Ich möchte so viel wie möglich über Produktionstechniken lernen, aber auch, wie man Musik am besten aufnimmt und abmischt, während ich gleichzeitig natürlich weiterhin so viel wie möglich musizieren will. Und tatsächlich warten demnächst ein paar sehr aufregende Jobs als Produzent auf mich. Also, irgendwann gibt es dann vielleicht tatsächlich ein Soloalbum, aber für den Moment habe ich noch keine Pläne in diese Richtung.“
Ach übrigens, Innes, deine Website ist nicht gerade sehr informativ, wenn man mal von der beeindruckenden Liste an Kooperationspartnern absieht. Ist das absichtlich so? „Absolut absichtlich, ich möchte mir so einige Geheimnisse bewahren. Daher ist dieses Interview auch ziemlich exklusiv!“ Da ist es wieder, das Augenzwinkern!
Videolinks:
Staran, „Balcarres“: www.youtube.com/watch?v=bkRZDn3oxPIAssynt, „Aidan Jack Jigs“: www.youtube.com/watch?v=zpJCJVB3Pmw
Siobhan Miller mit Innes White, „Mercury“ (Acoustic): www.youtube.com/watch?v=VteBjFuu7SI
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