Dorothea „Doro“ Heckelsmüller, Musiktherapeutin, (Um-)Weltaktivistin und Künstlerin, lebt im bayerischen Landsberg am Lech. Ihr Musiktherapiestudium in Holland öffnete ihr die Tür zu Innen- und Außenwelten. Die exploriert sie und verändert sie mithilfe der Musik zu besseren Lebensräumen. Heckelsmüller spielt auch Solokonzerte, aber nur kleine. Sie hat kein Interesse daran, das Konsumverhalten zu unterstützen. „Menschen zusammenzubringen, Naturverbundenheit – das ist mein Job!“, sagt sie.
Text und Fotos: Kat Pfeiffer
Reisen
„Aber ich will mal die ganze Welt sehen!“, sagte sie als Kind bei einem Spaziergang zu ihrer Oma. Nach dem Abitur wollte sie nach Tibet, verbrachte ein halbes Jahr in Indien und Nepal – auf der Suche nach Spiritualität. „Ich war beim Dalai Lama, bei Mutter Teresa, bei Sathya Sai Baba und in einem Aschram. Nach dem Studium ging es um die Welt. Es startete bei meiner Schwester in Philadelphia. Von Indien hatte ich noch Kontakte nach Amerika, Kanada, Singapur. Asien interessiert mich sehr! Südamerika kommt erst. Ich wollte so viel es geht auf der Oberfläche reisen. Da die Schiffsreise nicht klappte, flog ich doch über die zwei Teiche: nach New York und dann von L.A. nach Singapur.“ Ihre kleine Tiroler Hakenharfe immer dabei.
„Je mehr und weiter man eigene Resonanzräume öffnet, desto resilienter wird man.“
Musiktherapie
„In der Musiktherapie geht es darum, dass die Menschen selbst Musik machen und dass die Instrumente schnell und einfach zu spielen sind. Mit bestimmten Klängen verbindet man Gefühle, und damit kann man in der Psychotherapie gut arbeiten. Dabei helfen Holz-, Metal-, Fell- und Saiteninstrumente. Auch die kleine Kalimba, bei der es kein Richtig-oder-falsch-Denken gibt, oder die Sansula, die beide einfach nur mit den Daumen spielbar sind. Ich arbeite Teilzeit in der Erwachsenenpsychiatrie – in der Ambulanz und auf der Akutstation. Manchmal kommt jemand mit einer immensen Traurigkeit und kann selbst nicht sagen, woher sie rührt. Ich begleite diese Menschen und helfe ihnen herauszufinden, womit es zusammenhängen und wie man es zum Ausdruck bringen könnte. Vielleicht mit einem tiefen Bassklang? Bei der Behandlung transgenerationaler Traumata muss man sehr vorsichtig sein. Hier kommen viele Dinge hoch, die über Generationen weitergetragen werden: Brutalität, Gewalt, Macht oder etwas aus der Kindheit, das man abgekoppelt hat.“
Wird an einer Veränderung gearbeitet, kann getrommelt werden. Bei der Suche nach Zartheit kann die Kantele helfen. Ein Gong kann Transformation begleiten, Rasseln wirken reinigend. Auch bei systemischer Arbeit lässt sich ein Dialog zum Beispiel zwischen Mutter und Tochter mit durch den Patienten zugeordneten Instrumenten nachstellen. Man kann auch ganze Familiensysteme betrachten. Afrikanisches Gruppentrommeln ermöglicht Doro Heckelsmüller Menschen zu erreichen, bei denen das auf andere Weise schwer ist oder die sich nicht entspannen können. Anderen wiederum spielt sie Entspannungsmusik vor – nur zum Lauschen. Wieder andere öffnen sich in einer Singgruppe.
„In der Psychiatrie beobachte ich, wie wir Menschen funktionieren. Je kreativer man sein kann, je weiter das gewohnte Handlungsspektrum geöffnet wird, je mehr und weiter man eigene Resonanzräume öffnet, desto resilienter wird man.“
Gemeinschaft
„Musik als Dynamik zu erleben ist wichtig. Beim Trommeln sind wir im Rhythmus zusammen. Sich mit der Gruppe zu bewegen, ist eine ganz ursprüngliche Erfahrung. Beim gemeinsamen Musizieren sind wir ein großes Ganzes. Wenn wir uns drauf einlassen können und in dieses Gespür eintauchen, werden wir friedlicher und kommen einander näher – ein gutes Antidot gegen Isolationstendenzen. Uns verbinden die Schwingung und unsere Ohren. Über das Hören sind wir viel mehr miteinander verbunden als über das Sehen, auf das wir in unserer visuellen Welt so sehr ausgerichtet sind. Musik kann uns da rausholen und helfen, uns selbst näherzukommen.“
Stimme
„Es ist genial, dass das Instrument des Jahres 2025 die Stimme ist! Die meisten von uns haben eine Stimme, können sprechen, singen. Leute, die zu mir jede Woche zum Singen kommen, sagen oft, dass ihnen das Singen fehlt. Es steigert die Lebensqualität. Auch schwerkranke Menschen bitten darum, zusammen zu singen. Das verändert die Stimmung und man braucht nicht viel dazu. Oft ist uns die Stimme jedoch viel zu nah und oft zu sehr mental besetzt. Es gibt Menschen, die durch eine schulische Beurteilung entmutigt worden sind. Deshalb ist es oft einfacher, mit Instrumenten zu beginnen und die Stimme zwischendurch einzusetzen.“
„Weltweit singen die Menschen so unterschiedlich. In der chinesischen Oper wird in einer Höhe und Lautstärke gesungen, die nicht wirklich meinem Schönheitsideal entsprechen, aber es ist unglaublich! In der Mongolei verwendet man Ober- und Untertöne oder singt ganz tief. Dort werden ganz andere Resonanzräume genutzt als bei uns hier. Dennoch können auch wir ja üben, um andere Resonanzräume in uns zu öffnen und ebenfalls Obertöne zu singen. Beim Jodeln mache ich etwas Ähnliches, um in diese Kraft, diese Freudeschreie, in Kraftgesang hineinzukommen.“
Singing Planet
Doro Heckelsmüller betrachtet sich als Teil der Natur und erinnert mit ihrer Arbeit daran, dass das für alle Menschen gilt. Aus ihr sprechen Intuition, Wildnis, Spiritualität und die Weisheit ferner Vergangenheit. Ihre Augen glänzen, wenn sie von Bergen spricht. Ihr Projekt „Singing Planet“ stützt sich auf die Freude am Singen und Verbundenheit. Es vermittelt ethische Werte, indem es für ein „wohlklingendes“ Leben, Solidarität und gegenseitige Resonanz auf unserem Planeten eintritt.
„Vor sieben Jahren hat sich ‚Singing Planet‘ aus dem weltbewussten Singen entwickelt. Ich wollte darüber nicht mehr nur singen, sondern es auch leben und tun. Ich wollte, dass wir, wenn wir uns zum Singen treffen, auch faire Schokolade essen und andere faire Produkte um uns haben. Daraus entstand die Idee des ‚singenden Planeten‘, auf dem Vögel, Bäume, Flüsse, Menschen singen. Ich wollte das Gefühl haben, dass wir das, was uns guttut, nicht aus Pflichtbewusstsein tun, sondern dass das ökologische, faire Leben zu einem Bedürfnis wird.“
Heckelsmüller arbeitet in Vernetzung mit den Singenden Krankenhäusern, dem und.Institut für Kunst, Kultur und Zukunftsfähigkeit, dem Naturschutz- und dem Vogelschutzbund. Mit einer Ornithologin, die Vogelstimmen aufnahm, hat sie sogar Konzerte gespielt.
Wasser
Schon zum dritten Mal veranstaltet Doro Heckelsmüller 2025 anlässlich des Welttags des Wassers ab dem 22. März in Landsberg mit ihrem Projekt „Singing Planet“ das länderübergreifende FlussSingen. Im Rahmen der Veranstaltung – in Zusammenarbeit mit der Blue Community und der Stadt Landsberg – wird ein Wassersymposium abgehalten, das sich mit dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung von Gewässern – einschließlich Wildflüssen, Grundwasser, Seen und Trinkwasser – im Zusammenhang mit Gesundheit und dem Gemeinwohl befasst. Das Programm wird von Musik, Kunst und Diskussionen begleitet.
„Ich denke, wenn wir uns fürs Wasser verbinden, brauchen wir keine Religion. So viel können wir von ihm lernen! Je mehr Raum wir unseren Flüssen geben, desto besser wird die Wasserqualität und Freude der Fische. Ein Fluss will mäandern, er braucht seinen Raum, dann ist es ein funktionierender Fluss. Wir Menschen selbst bestehen zu zwei Dritteln aus Wasser, für die Bäume oder die Erde gilt das genauso. Wasser ist Bewusstsein, Gefühlsqualität. Unser Gebirgsfluss Lech innerhalb Landsbergs fließt noch, ansonsten ist das aber der ‚Cyborg-Lech‘ – der am meisten aufgestaute und verbaute Fluss Deutschlands. Jedes Gefälle wird für eine Staustufe ausgenutzt – das ist ziemlich grausam. Man sagt, dass die Wasserenergie eine grüne Energie ist, aber ist sie das wirklich?“
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