Nicht nur Musik- und Kulturbegeisterten wird längst klar sein: Ohne Musik und vor allem Liveauftritte wäre das Leben nur halb so lebenswert. Entscheidender aber ist, dass es ohne Kultur keine kritische Auseinandersetzung mit wichtigen gesellschaftlichen Themen gäbe und es schwer wäre, notwendige finanzielle Mittel für Bedürftige aufzubringen.
Text: Rüdiger Helbig
Die Musikshow mit vielen prominenten Menschen, Künstlerinnen und Künstlern aus der Ukraine Ende Mai vor dem Brandenburger Tor ist ein gutes Beispiel für die Bedeutung von Kultur. Doch dabei wird leicht vergessen, dass der staatliche Tritt in den Hintern, den wir Kulturschaffende als Folge der Pandemie erfahren mussten, noch immer seine volle Wirkung zeigt. Laut einer Studie der europäischen NGO Live DMA, die Veranstaltende unterstützt, hat die Musikbranche in der EU in den Jahren 2020 und 2021 einen Verlust von 3,1 Milliarden Euro mit vielen Pleiten und Arbeitslosigkeit erlebt. Und das Musikmagazin NME berichtete in einem Artikel über die amerikanische Kulturszene Ende Februar, dass es in Zukunft ohne Regierungsunterstützung keine unabhängigen Veranstaltungsorte mehr in den USA geben werde.
Kritisch ist die Situation besonders für das große Heer nicht berühmter Berufsmusiker und -musikerinnen, die schon vor Corona um ihr Überleben kämpfen mussten, und Genres außerhalb des Mainstreams wie etwa Bluegrass. Für uns Selbständige gab es durch Auftrittsverbote und fehlende staatliche Zuwendungen nur einen sich auftuenden Abgrund, wenn wir nicht über ausreichend Reserven verfügten. Nicht nur kenne ich durch meine Tätigkeit als Konzertveranstalter viele Bands, die daran gescheitert sind. Es ist vor allem eine Schande, dass viele Kulturschaffende in den USA oder auch in Deutschland nun ihren Lebensunterhalt bei der Müllabfuhr, auf dem Bau, im Supermarkt oder bei der Post verdienen müssen, obwohl sie ihr Leben dem Auf-der-Bühne-Stehen widmeten. Daran ändert auch nichts, dass es hierzulande im Vergleich zu den USA ein soziales Netz gibt, denn viele Betroffene erfüllen die Kriterien nicht. Außerdem wollen sie ihre Würde wahren und weiterarbeiten. Und wer sich mit Reserven über Wasser hält wie ich, muss damit leben, dass seine Rente dahinschwindet. Wenn jemand nicht Pleite ging, wie etwa in einem mir bekannten Fall eines Bühnentechnikers, dann hat der Staat Veranstaltende mit Techniksubventionen unterstützt, sodass diese Unternehmen keine Freischaffenden mehr engagieren müssen.
Das Ende der Pandemiemaßnahmen und die Möglichkeit, wieder aufzutreten, hat die Situation nicht wirklich entschärft. Zu tief ist die Szene getroffen, und das Publikum kehrt nur zögerlich zurück. Das zeigt, wie hoch der Stellenwert der Kunst überhaupt bei der Politik ist. Entweder sind ihnen Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit Musik verdienen, egal oder sie verstehen Selbständigkeit in diesem Bereich mit dem typischen saisonalen Geschäft nicht. Stimmen, die dies öffentlich kritisieren, werden nach wie vor ignoriert.
Uns als Musikmenschen aus dem Bereich von Bluegrass und Folk in den USA und Europa, die mit dieser von Herzen kommenden, ehrlichen und handgemachten Musik die Seele der Menschen erreichen, wurde der Boden unter den Füßen förmlich weggezogen. Ich selbst war in den vergangenen drei Jahren gezwungen, das internationale Bluegrass Camp Germany abzusagen. Das hat in der Politik niemanden interessiert, und Hilfen gab es bis heute nicht! Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich dieses Blatt in den kommenden Jahren zum Positiven wendet. Wir als Musikschaffende können nur hoffen, dass wir zumindest vom Publikum in Zukunft wieder mehr Unterstützung erhalten, damit unsere geliebten Musikrichtungen Folk und Bluegrass ihren angemessenen Stellenwert behalten.
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