Flor de Toloache

Mariachi – die nächste Generation ist weiblich

30. August 2022

Lesezeit: 4 Minute(n)

Als Musikerinnen in die Männerdomäne der mexikanischen Musik einzudringen, gelingt wohl am besten, wenn man gleich alles anders macht. Die vierköpfige New Yorker Frauenband Flor de Toloache verbindet Mariachi mit Latin Pop, RnB, Cumbia, Reggae, Bachata, Rock, Country oder Swing. Dafür gab es schon einen Grammy, und ihr Erfolg macht sie zum Vorbild vieler Chicanas.
Text: Hans-Jürgen Lenhart

Als die vielseitige Popsängerin Linda Ronstadt 1987 mit dem Ranchera-Album Canciones De Mi Padre einen unerwarteten Erfolg einheimste, sahen viele Chicana-Mädchen in Mexiko und den USA, dass man auch als Frau mit dieser Musik Riesenerfolg haben konnte. Kein Wunder, dass Ronstadt von Flor de Toloache heute verehrt und gewürdigt wird. Aber die vier Musikerinnen setzen noch etliches obendrauf. Als Instrumentalistinnen brillieren sie etwa mit für Frauen ungewöhnlichen Instrumenten wie der auf der gerade absolvierten Deutschlandtournee von Elena Lacayo gespielten riesigen Bassgitarre Guitarrón oder der in der Art von Dizzy Gillespie hochgebogenen Trompete, die auf der Tour Anna Garcia geblasen hat. Gegründet wurde die Gruppe von Shae Fiol (Gesang, fünfsaitige Vihuela-Gitarre) und Mireya Ramos (Gesang, Violine), die beide auch das Herz von Flor de Toloache sind. Beide verkörpern die unterschiedlichen Wurzeln der Band, die gar nicht in Mexiko liegen. Der Vater der dunkelhäutigen New Yorkerin Ramos war Mariachisänger und lehrte sie früh das Geigenspiel, die blonde Fiol kommt aus Portland, kannte Mariachi nur von Linda Ronstadts Alben, hat aber kubanische Wurzeln.

Die Gruppe hat sich nach der Toloacheblüte, der Hauptzutat eines mexikanischen Liebestrunks benannt und trägt selbstverständlich die edle Tracht der Mariachibands. Es wird Spanisch und Englisch gesungen und die Überdosis Inbrunst des Mariachi durch zeitgemäße Stilmixturen und zuweilen sanfte Töne entzerrt. Die Gruppe übernimmt Arrangements und Gesangsstile aus dem Popbereich oder arrangiert Latinhits auf Mariachi um, was nicht heißt, dass bei Flor de Toloache keine echten Mariachi zu hören wären. Traditioneller Mariachi ist jedoch kein einheitlicher Stil, sondern bezeichnet eigentlich eine Tanzmusikformation, die regionale Musik mit einem Wechsel aus Solostimme und mehrstimmigem Gesang spielt. Sie besteht aus bis zu zwanzig Mitgliedern, während Flor de Toloache sogar als Trio (Harfe, Violine, Vihuela) begannen. Kompensiert wird das auf den Alben mit etlichen Gästen, von den RnB-Sängern Miguel und John Legend bis Latin-Pop-Star Alex Cuba.

Foto: Kelvin Pagan

„Wir wollten Fusion machen, weil es so viel mehr gibt, was wir musikalisch ausdrücken können.“

Mit ihrem Album Las Caras Lindas gewannen Flor de Toloache 2017 den Latin Grammy. 2019 folgte Indestructible, wozu Shae Fiol meint: „Wir wollten Fusion machen, weil es so viel mehr gibt, was wir musikalisch ausdrücken können.“ So hört man darauf Reggaerhythmen, Cumbia mit RnB-Einflüssen, schmusigen Latin Pop, aber ebenso ein A-cappella-Stück. Andererseits haben die vier auf ihrem Debütalbum Mariachi Flor De Toloache 2014 auch den unverwüstlichen Ranchera „Cucurrucucu Palomá“ aufgenommen, bei dem man bei den lang angehaltenen Tönen bangen muss, dass die Sängerin Atemnot bekommt. Darin liegt so viel Gefühl und Inbrunst, dass man sich allein vom Hören der Ohnmacht nahe fühlt. Neben der schwülstigen Ranchera gibt es im Mariachi noch den Corrido mit dem Jauchzen der Sänger oder Sängerinnen, wirbelnden Geigen und schmetternden Trompeten, was die vier natürlich genauso perfekt beherrschen. Aber sie vermeiden das Überdramatisierende durch ihr stilistisches Crossover und indem die Streicher und Trompeten manchmal sanfter abgemischt sind. Auf diese Weise bringen sie das Genre einem neuen Publikum näher, was schon zu einem Auftritt in der renommierten TV-Show Later … with Jools Holland im britischen Fernsehen geführt hat.

Das neue Album Florecita Rock-ERA geht stilistisch noch einen Schritt weiter. Da ist ein Schlagzeug zu hören oder eine Cumbia, die aber von einer Percussion im brasilianischen Sambareggaestil begleitet wird. Gespielt werden viele, bei uns weniger bekannte Hits der lateinamerikanischen Rockmusik. Doch es gibt auch sanfte Balladen, wie „Penélope“ vom puerto-ricanischen Latinrocker Draco Rosa. Dem eher nuscheligen Original geben Flor de Toloache einen völlig anderen Charakter, indem sie ihm die Beseeltheit des Mariachi injizieren, dabei aber stilistisch eine Ballade erhalten. Im Übrigen arrangieren sie oft Erfolgsnummern aus dem Latin-Music-Bereich gänzlich um, jüngst coverten sie sogar eine AC/DC-Nummer. Entstanden ist das Album in der Pandemie in virtueller Kooperation, weil die Musikerinnen auf verschiedenen Erdteilen ausharren und daher lange getrennt sein mussten.

Natürlich war der Weg bis zum Grammy-Erfolg steinig, insbesondere in einer Musikszene voller Machismen. Aber Mireya Ramos meint: „Man wird zwar mit Argwohn betrachtet, jedoch weiß ich nie, ob es damit zu tun hat, dass ich eine Frau bin oder eine Afro-Latina, oder ob es mein Alter ist. Es gibt so viele Machismen, da ist das schon fast egal, es macht uns nur stärker.“ Das größere Problem scheint eher zu sein, dass das Mariachipublikum oft eine Art Wunschkonzert erwartet und man sich ein kluges Repertoire überlegen muss, um für die eigenen Stücke genauso Anerkennung zu bekommen wie für die Klassiker des Genres. Sich durchzusetzen lernte die Band früh, als sie anfangs ihren offiziell genehmigten Auftrittsplatz in der New Yorker U-Bahn gegen illegale Breakdancer verteidigen musste. Shae Fiol weist in einem Interview mit dem Magazin Hola! darauf hin, dass sich ihre weiblichen Fans durch ihre Gesamterscheinung gestärkt fühlen, indem sie sehen, dass Flor de Toloache eine Gruppe sehr unterschiedlicher Herkunft ist, die dennoch zusammen funktioniert. Die Frauen managen sich selbst, haben sich von Männern unabhängig gemacht und widersprechen damit auch all den Mythen, „… in Frauenbands gäbe es doch nur Zickenkrieg“.

Aufmacher Foto:

Flor de Toloache: Foto: Andrei Averbuch

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