Hoffmann von Fallersleben

Zum 150. Todestag

2. Oktober 2024

Lesezeit: 6 Minute(n)

Fünfzig Menschen an seinem Grabe, ein fünfminütiges Kalenderblatt auf Deutschlandfunk und NDR sowie ein Agenturbericht, der in vielen kleineren Tageszeitungen gedruckt wurde – das war in etwa die Beachtung, die der 150. Todestag von Hoffmann von Fallersleben zu Beginn diesen Jahres fand. Nicht zu vergessen: sein „Deutschland, Deutschland über alles“ in großen Lettern neben seinem Bildnis auf dem Titelblatt vom Taschenkalender des nationalen Widerstandes 2024, erschienen im rechtsextremen Verlag Deutsche Stimme. Man konnte fast spüren, wie es rumorte unter seinem Grabstein in Corvey.

Text: Michael Zachcial

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Das Desinteresse an seiner Person und seinen Liedern sagt einiges aus über unser Land zu dieser Zeit: Wo bleibt der Kinofilm, wann kommt die Serie über sein Leben? Es ließe sich doch so vieles aufzeigen, was uns in der aktuellen Krise der Demokratie in Europa nützlich sein könnte. Wer war dieser Mann, dessen Lied während des letzten großen Fußballturniers wieder einmal die Nationalmannschaft in Großaufnahme mit Zehntausenden von Zuschauern im Stadion sang?

Man muss ein wenig ausholen und zurückkehren zu dem Deutschland, in das er hineingeboren wurde: ein Flickenteppich aus 37 kleinen und mittelgroßen feudalistischen Staaten, in denen Leibeigenschaft, Zensur und Willkür die Regel waren. Und kleinmütiger Untertanengeist.

August Heinrich Hoffmann, so der bürgerliche Name, wird im Frühjahr 1798 im zum englischen Königshaus gehörenden Fallersleben, heute ein Stadtteil von Wolfsburg, geboren. Er ist fünf, als es zum Krieg kommt zwischen dem monarchistischen England und der jungen Republik Frankreich.

„Junge Bauernkerle wurden nachts aus ihren Betten geholt und wenn sie nicht willig folgten, mit Gewalt fortgeschleppt. Mein Vater erhielt den Befehl […] diese gepressten Vaterlandsverteidiger nach Hannover zu geleiten.“ (Aus: Mein Leben – Aufzeichnungen und Erinnerungen)

Doch die Franzosen siegen, die Niederlage erweist sich als Glück, die Bevölkerung lernt die Demokratie kennen. Es gibt nun erstmals Gleichheit vor dem Gesetz, Religionsfreiheit, öffentliche Schwurgerichte, allgemeine Steuern, Trennung von Justiz und Verwaltung.

„So lernten sie allmählich ihre Würde als Menschen fühlen und ihre Stellung als Staatsbürger begreifen. Die hannoversche Junker- und Beamtenherrschaft war verschwunden mitsamt ihren langstieligen, groben, halblateinischen und eben deshalb unverständlichen Erlassen, ihren Bütteln und Hundelöchern, ihren Schandpfählen und Folterkammern, Galgen und Rad.“ (ebenda)

Hoffmann von Fallersleben im Alter

Doch die napoleonische Herrschaft wird repressiver, junge Männer werden zwangsrekrutiert, die politische Polizei verhaftet Oppositionelle. Die Jugend rebelliert, es kommt zu Aufständen. Ältere Mitschüler schließen sich „Freikorps“ (Freiwilligenverbänden) an, voller Hoffnung auf eine Verfassung und ein einiges Deutschland. Hoffmann ist um ein, zwei Jahre zu jung, um selbst mitzukämpfen.

Nach der Niederlage Napoleons tagen die Sieger beim Wiener Kongress, wo sich alle Hoffnungen auf eine Überwindung des Feudalismus in Luft auflösen. Bald darauf machen die „Karlsbader Beschlüsse“ aus halb Europa einen Polizeistaat. Hunderttausende wandern aus nach Übersee.

Es beginnt die Zeit des Biedermeier, man zieht sich zurück ins Private, das Bürgertum blättert in den neuen Massenmedien, den Illustrierten, die „höheren“ Töchter spielen Klavier im Salon, in den Bücherregalen stehen die Grimm’schen Märchen (1812) und die dreibändige erste große Volksliedersammlung Des Knaben Wunderhorn (1805-1808).

Es sind die Anfänge einer Nationalkultur, die auch die Grenzen der Kleinstaaten infrage stellt: Es gibt gemeinsame Lieder, Märchen, Sagen, eine gemeinsame Sprache, aber alle paar Kilometer müssen Reisende an einer innerdeutschen Grenze den Pass vorzeigen, das Gepäck durchsuchen lassen und Zölle bezahlen.

 

Ihr wilden Gänse habt es gut / Ihr ziehet frei und wohlgemuth

Von einem Strand zum andern Strand / Durch’s ganze liebe deutsche Land

Uns zahmen Menschen geht’s nicht so / Wir reisten gern auch frei und froh

Ununtersucht und unbekannt / Durch’s ganze liebe deutsche Land

Kaum sind wir aber fort von Haus / So muß auch schon der Paß heraus

Wir werden niemals sorgenfrei / Vor lauter Maut und Polizei …

 

Hoffmann wird neben Jacob und Wilhelm Grimm zu einem der führenden Köpfe in der jungen deutschen Kulturwissenschaft, der Germanistik. Mit Anfang zwanzig gelingt ihm noch während des Studiums in Bonn ein spektakulärer Fund, der erste von vielen, die folgen werden: Fragmente des ersten namentlich bekannten deutschsprachigen Dichters Otfried von Weißenburg aus dem 9. Jahrhundert, für die er auch gleich einen Verlag findet. Damit er nicht mit anderen „Hoffmännern“ verwechselt werden kann, unterschreibt er das Vorwort – mit leisem Spott auf den Adel – mit „Hoffmann von Fallersleben“.

 

An meine Heimat dacht ich eben / da schrieb ich mich von Fallersleben

Ich schrieb’s und dachte nie dabei / an Staatszensur und Polizei

So schrieben sich viel Biederleute / nach ihrem Ort und tun’s noch heute

Und keiner dachte je daran / durch von würd er ein Edelmann

 

Er braucht Geld, und so findet er zunächst eine Anstellung als „Hilfsbibliothekar“ in Breslau, am Rande des Reichs. Dort ist mehr als unzufrieden und sucht seine Lage zu verbessern. Neben seinen Forschungen, die ihn durch halb Europa führen und für die er in Belgien und den Niederlanden ausgezeichnet wird, dichtet er eigene Texte, nicht selten auf die Melodie bekannter Volkslieder. Besonders seine Kinderlieder haben Erfolg. Zahlreiche seiner Neudichtungen sind bis heute bekannter als die Originale: „Alle Vögel sind schon da“, „Der Kuckuck und der Esel“, „Winter ade! Scheiden tut weh“, „Ein Männlein steht im Walde“, „Morgen kommt der Weihnachtsmann“, „Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald“ und viele mehr.

Den Traum von einem einigen Deutschland aber gibt er nicht auf. „Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald“ ist ein erstes Lied, mit dem er Erfolg hat: „Nur in Deutschland, da will ich ewig leben.“ Sein Patriotismus wirkt allerdings manchmal schon pathologisch: „Ich sing es hell und ruf es laut / Mein Vaterland ist meine Braut.“ Wie weit ist der Weg von „Deutschland, Deutschland über alles“ zu „Alles für Deutschland“, dem Leitspruch der SA, für dessen wiederholte Verwendung Björn Höcke zu Recht verurteilt wurde?

Respekt aber verdient Hoffmann von Fallersleben für seinen Mut vor und während der Revolution von 1848. Er ist schon weit über vierzig, als in tausendfacher Auflage der erste Band seiner Unpolitischen Lieder erscheint, voller Zorn über das Unrecht an den „Göttinger Sieben“, darunter Jacob und Wilhelm Grimm, seinen Vorbildern. Mit „Knüppel aus dem Sack“ beginnt der Band und liefert trotz Zensur und Verboten gemeinsam mit Heinrich Heine (Deutschland. Ein Wintermärchen) und Georg Herwegh (Lieder eines Lebendigen) quasi den Soundtrack für die kommende Revolution.

Das preußische Innenministerium reagiert mit Berufsverbot, Hoffmann wird staatenlos und zum Flüchtling im eigenen Land. In Mecklenburg findet er Asyl, der republikanisch gesinnte Gutsbesitzer Samuel Schnelle macht in quasi zum Leibeigenen, so ist er vor Verfolgung geschützt.

Nun beginnt seine Zeit als fahrender Sänger und revolutionärer Poet. Mehrere Jahre reist er durchs Land, besucht liberale und radikale Demokraten, spricht und singt seine Lieder auf öffentlichen Versammlungen. Überall wird er gefeiert, die Polizei schreibt mit.

Als die Revolution zu scheitern droht, ist er in Süddeutschland und ruft Anfang Mai 1849 vor zehntausend Menschen in Kaiserslautern zum bewaffneten Kampf auf:

 

Sollt’ in eueren Adern kreisen / noch ein Fünkchen Ehr und Mut

Greift zum Schwerte! Greift zum Eisen! / Tilgt die Not mit eurem Blut!

Brüder, Freiheit oder Tod! / Eisen, Eisen bricht die Not!

 

Die Revolution scheitert, viele Freunde sind tot, auf der Flucht oder im Gefängnis. Die Polizei hat ein Auge auf ihn. Er selbst hat jetzt Familie, findet letztlich eine Anstellung in Corvey, erneut als Bibliothekar. Bald darauf stirbt seine junge Frau im Kindbett, er bleibt alleine mit seinem Sohn Franz. Es wird einsam um ihn.

Einmal noch jubelt er. Nach der Reichsgründung 1871 wähnt er sich am Ziel, Deutschlands Einheit endlich erreicht. Doch schon bald sieht er klar, dass dies nicht das Land ist, für das er, seine Frau Ida und seine Freunde gekämpft haben. Am 19. Januar 1874 stirbt Hoffmann von Fallersleben in Corvey bei Höxter. Sein Sedanlied, das kurz vor seinem Tod entstand, wollte niemand drucken:

 

Viele Feinde sind erlegen / seit das Vaterland vereint
Und es wär ein Gottessegen / wärn wir uns nicht selber Feind

Freiheit von den fremden Ketten / mag uns ja gelungen sein
Von den eignen uns zu retten / fällt uns immer noch nicht ein

Immer führt am Gängelbande / uns die Überlieferung
Und zu sehn die eigne Schande / sind wir immer noch zu jung

Frei von Vorurteilen leben / frei von Satzungstyrannei
Morgenrot! Zu solchem Streben / Komm o komm und mach uns frei!

Viele weitere Gedichte und Infos über Hoffmann von Fallersleben mit allen Quellenangaben gibt es unter www.von-fallersleben.de.

Zum Autor: Michael Zachcial, Liedermacher und Liederforscher, mit Die Grenzgänger seit 1988 zahlreiche Projekte mit verschollenen Liedern, Touren im In- und Ausland. Seit 1993 mit Zaches & Zinnober Musik für Kinder. Mittlerweile 18 CDs, 5-mal Preis der deutschen Schallplattenkritik.

Hoffmann von Fallersleben, 1847

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