1997 unternahm der jugendliche Martin Schröder mit seinen Eltern eine Reise durch Schottland, die ihn so sehr beeindruckte, dass er etwa ein Vierteljahrhundert später seine Doktorarbeit über zwei eminent wichtige schottische Bands schrieb – und die liegt jetzt in gedruckter Form vor. Ein wichtiger Einstieg, denn obwohl dieses Buch ein hieb- und stichfest wissenschaftliches und – zumindest in den musiktheoretischen Teilen – nicht einfach zu lesendes ist, scheint immer wieder die Liebe und Faszination des Autors zu seinem Forschungsgegenstand durch. Wie es sich gehört, kümmert sich Schröder zuerst um die Definitionen („Folk“, „Trad“, „Revival“) und seine Quellen, sehr häufig die (ehemaligen) Zeitschriften fRoots oder Living Tradition, aber leider nur einmal den folker. Da wäre mehr zu finden gewesen, wenn auch zugegebenermaßen die britischen Kollegen näher an der Quelle saßen. Es folgt eine Schilderung des ersten Folkrevivals (bis Ende des Zweiten Weltkriegs) und des zweiten inklusive der „Gaelic Renaissance“ sowie die Geschichte von Runrig und die von Capercaillie. Interessant ist die Unterscheidung zwischen „Folkrock“ (Runrig) und „Electric Folk“ (Capercaillie). Spannend auch das ewig junge Thema Authentizität, wobei Julie Fowlis auf Seite 323 im Zusammenhang gälischer Lieder anmerkt: „Du musst die Lieder verstehen, bevor du mit ihnen herumspielen kannst“, und das betrifft die Sprache ebenso wie den Song selbst. Auch die Rolle der Fèis-Bewegung seit 1981 (Unterricht in traditionellen gälischen Künsten – inklusive Musik – hauptsächlich für Jugendliche), der Festivals wie Celtic Connections, der Labels sowie von Rundfunk und Fernsehen kann bei der Verbreitung gälischer Musik nicht überschätzt werden. Sehr viel ist eine unglaublich info- und faktenreiche Bestandsaufnahme dessen, was war und ist in der gälischen Szene. Dazu hat Schröder viele interessante Interviews geführt (im englischen Original abgedruckt), natürlich auf Runrig-Seite mit den Macdonald-Brüdern und Donnie Munro, aber auch mit Künstlerinnen wie Rachel Walker oder Mary Ann Kennedy. Neue gälische Bands wie Mànran, Dàimh oder Skipinnish werden nicht vergessen, aber selbstverständlich zieht sich die Analyse der Arbeit ganz speziell von Runrig, häufig auch von Capercaillie durch alle Kapitel. Und kulminiert in der Frage: Können die beiden Bands als traditionell oder zumindest als Teil der Tradition bezeichnet werden? Schröder tendiert dazu, das zu bejahen, weil besonders die Songs von Runrig bereits in das Repertoire von Künstlerinnen und Künstlern, speziell Chören eingegangen sind. Capercaillie und Runrig fußen in der gälischen Tradition (gerade bei Letzteren, wo es vielleicht weniger offensichtlich ist, hat Schröder das musikwissenschaftlich sehr einleuchtend herausgearbeitet) und haben das gälische Revival maßgeblich mitgestaltet. Das haben Schottlandfans vielleicht schon immer vermutet, Schröder hat es nun nachgewiesen. Nicht nur deshalb ist das Buch absolut lesenswert und seinen Preis wert!
Mike Kamp
Martin Schröder:
Das Revival der traditionellen gälischen Musik Schottlands : d. Bands Runrig u. Capercaillie. – Bielefeld : transcript-Verl., 2024. – 516 S. : mit Notenbeisp., Fotos u. Abb.
ISBN 978-3-8376-7268-8 – 67,00 EUR
Bezug: www.transcript-verlag.de
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