Audio mp3: »Matthias Branschke«, 8:10 min
Es ist schon eine Anerkennung, die der junge Wittenberger Musiker und Dudelsackbauer Matthias „Mattis“ Branschke erfährt, als er 2007 in die Dudelsack-Big-Band La Société Fraternelle des cornemuses du Centre unter der musikalischen Leitung des französischen Multiinstrumentalisten und Cornemusevirtuosen Julien Barbances (La Machine) eingeladen wurde. „Gefragt zu werden war schon toll“, gesteht der 38-Jährige, „zumal es in der Band nur eine Handvoll Deutsche gibt. Durch die schiere Menge der Musiker, und dadurch, dass man statt mit technischer Raffinesse mit großen musikalischen Farben arbeiten kann, war das toll.“
Text: Ulrich Joosten; Aufmacherfoto: Gyorgyi Kovacs
Mattis Branschke wächst in der Lutherstadt Wittenberg auf. Musikalisch sozialisiert wird er mit den LPs seines Vaters, darunter die Alben des Liedermachers Gundermann ebenso wie die der US-Bluesrocker ZZ Top. Vor allem hat es ihm die britische Progressive-Rock-Band Jethro Tull mit ihrem Querflötensound angetan. Nach dem Schuleintritt lernt er Blockflöte, ehe er mit etwa acht oder neun Jahren zur Querflöte wechselt und bis zum Abi klassischen Unterricht darauf bekommt.
Schon im Teeniealter sieht der Wittenberger auf einem Mittelaltermarkt das erste Mal bewusst einen Dudelsack und ist beeindruckt. Genau das will er auch lernen! Seine Eltern warten erst einmal ab, „und als ich nach ein, zwei Jahren immer noch spielen wollte, bekam ich 1998 mit zwölf Jahren endlich meine erste Sackpfeife, eine Schäferpfeife von Bodo Schulz“. Der organisiert gemeinsam mit der Musikerin Andrea Hotzko den bis heute existierenden Spielkurs in Torgau. „Das ist von Wittenberg nur dreißig Kilometer entfernt“, erzählt Branschke, „somit hatte ich das Glück, sowohl einen Dudelsackbauer als auch einen Lehrgang in der Nähe zu haben.“
Vor dem Abitur zweifelt Branschke, ob sein Berufswunsch Musiker vom finanziellen Standpunkt her realistisch ist und überlegt, was ansonsten die Thematik berührt, und da liegt der Instrumentenbau nah. Noch während der Schulzeit absolviert er bei dem Dudelsackbauer Alban Faust in Schweden ein Praktikum und ist von dem Beruf begeistert. „Durch Glück gab es, als es bei mir ernst wurde, einen freien Praktikumsplatz bei Sackpfeifenbauer Andreas Rogge in Tübingen“, fährt er fort. „Nach drei Jahren hatte ich meinen Gesellenbrief für Holzblasinstrumentenbau in der Tasche. Im Grunde habe ich einen bürgerlichen Beruf – nur die Fachausrichtung ist ein wenig speziell.“
Nachdem er sich während der Lehre seine Dreadlocks abgeschnitten hat, weil sie sich mit der Arbeit an Maschinen nicht so recht vertragen wollen, legt sich Branschke 2007 sein Markenzeichenzeichen zu: Er tauscht die Glatze gegen einen eleganten Bowler. „Dass sich das dann so lange hält – damit hab ich damals nicht gerechnet“, grinst er.
„Im Grunde habe ich einen bürgerlichen Beruf.“
Heute zählt Branschke zu den international renommierten und anerkannten Dudelsackbauern. Er spielt und baut zwei Sackpfeifentypen. „Zum einen konische Dudelsäcke mit halbgeschlossener Griffweise, die sich im Zuge des Folkrevivals in den Siebzigern und Achtzigern in Zentraleuropa durchgesetzt haben. Vor allem getrieben von Remi Dubois aus Belgien und Bernard Blanc aus Frankreich haben viele andere angefangen, Spielpfeifen mit dieser Griffweise anzufertigen. Die zweite Dudelsackart, die ich baue, ist leichter zu benennen: die schwedische Säckpipa.“
Branschke verbessert seine Dudelsäcke kontinuierlich. In erster Linie geht es ihm darum, „sie immer zuverlässiger zu machen und die Möglichkeiten des Instruments zu erweitern. Im Laufe der Jahre sind so einige Klappenmechaniken und Abschalter hinzugekommen, sodass beim Spiel der Klang variiert – beziehungsweise im Fall der Klappen der Umfang erweitert wird.“
Die musikalische Karriere des jungen Dudelsackspielers startet in einem Duo. Mit Bruder Florian musiziert er zunächst mit Flöte und Gitarre, später mit Dudelsack und Trommel oder zwei Sackpfeifen. Nach Straßenmusikauftritten und einigen kleineren Gigs erhalten sie 2001 den Jugendfolkförderpreis beim Tanz&FolkFest Rudolstadt. Dann geht es weiter als Mitglied der Modern-Trad-Folk-Band Bilwesz, zusammen mit Merit Zloch an der Böhmischen Hakenharfe und dem österreichischen Drehleiervirtuosen Simon Wascher. Bilwesz spielten Musik aus Quellen des deutschsprachigen Raums, sagt Branschke, „für die damalige Zeit (und vielleicht noch für heute) sehr progressiv bearbeitet“.
„2007 bin ich dann bei Kwart eingestiegen“, fährt er fort. Er vervollständigt das Trio bestehend aus der Percussionistin Birgit Engel, der Geigerin Vivien Zeller und dem Dudelsackspieler Ralf Gehler zu einem Quartett, das größtenteils traditionelle Musik mit norddeutschem Schwerpunkt spielt. Kwart erringen 2010 den Weltmusikpreis Ruth in Rudolstadt. Zwischendurch musiziert der „junge Wilde an der Sackpfeife“ (folker 2/2011) immer mal wieder als „Aushilfe“ bei Malbrook. Außerdem konzertiert er mit Vivien Zeller als Duo T.K.P. (TanzKraft Pur), mit dem sie 2008 prompt Preisträger beim Duo-Contest des Festival Rencontres internationales de luthiers et maîtres sonneurs im französischen Saint-Chartier werden.
Das Duoformat scheint Branschke ohnehin zu liegen. 2015 gründet er ein Duo mit dem englischen Dudelsackspieler Callum Armstrong (Album Antithesis). Branschke: „Wir spielen Musikstücke, die Callum für meine D-Spielpfeifen komponiert hat, um die Grenzen des Instruments auszuloten. Vielleicht mit das Progressivste, was ich je gemacht habe.“ Seit 2018 spielt er im Duo Gällmo Branschke mit dem Riksspelman Olle Gällmo aus Schweden (Album Double Yolks). „Mit ihm unterrichte ich gemeinsam einmal im Jahr auf dem Spielkurs Pipenbock die Säckpipa. Das Album schöpft aus diesem Repertoire und besteht jeweils zur Hälfte aus deutschen und schwedischen Melodien. Dieses Duo ist im Grunde das genaue Gegenteil zu dem mit Callum Armstrong, alles in allem sehr traditionell!“
Aktuell, sagt er, spiele er am häufigsten im 2015 gegründeten Duo Solid Ghost mit der Harfenistin Merit Zloch (Album Sudden Need). „Wir spielen zu gleichen Anteilen Trad-Tunes von Merit und Tunes von mir in jeweils gemeinsamer Bearbeitung.“ In Arbeit ist zudem ein von Wolfgang Meyering angeschobenes Projekt als Duo zusammen mit einer Beatmaschine; mit Gällmo gibt es den Plan für ein zweites Album dieses oder nächstes Jahr – „und ich möchte gern mal probieren, ob es sich lohnt, tiefer in Loopmaschinen einzusteigen – das ist aber noch nicht spruchreif“.
In der deutschen Dudelsackszene – zumindest in dem Bereich, den er beurteilen kann, sagt Branschke – „geht es langsam, aber sicher vorwärts. Es werden einerseits immer mehr Leute, die Dudelsack spielen, andererseits bewegt sich das Repertoire allmählich von französischer traditioneller Musik weg. Es werden stetig mehr neu komponierte Stücke oder deutsche Tradmusik gespielt, was ich persönlich gut finde. Besser, man entwickelt etwas Eigenes, als einfach Traditionen der Nachbarn zu übernehmen. Außerdem ist es für mich spannend, eine eigene – vielleicht später mal ‚deutsche‘ – Stilistik zu entwickeln. Wenn man statt Altes nachzuspielen etwas Neues kreiert, gibt es weniger Regeln und mehr musikalische Freiheit – und das scheint langsam aber sicher in die Szene zu sickern.“
Auf der Defizitseite mangelt es aus Mattis Branschkes Sicht „an Auftrittsmöglichkeiten. Ich habe immer noch das Gefühl, dass in der deutschen Szene eher eine Band aus Frankreich gebucht wird als eine aus dem eigenen Land. Der Haken an der Sache ist: Wenn die eigenen Leute nicht gebucht werden, geht irgendwann die Motivation flöten, man übt nicht mehr, gründet keine Bands, damit fehlen musikalische Vorbilder, und die Entwicklung stagniert. Aber wer weiß, die Dinge sind immer in Bewegung, vielleicht geht ja auch hier etwas weiter.“








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