Melodiva und das Frauen Musik Büro Frankfurt

Musikerinnen helfen Musikerinnen

10. Mai 2022

Lesezeit: 4 Minute(n)

Es ist kein Geheimnis, dass Frauen in der Musikszene unterrepräsentiert sind, insbesondere Instrumentalistinnen und Komponistinnen. Das Onlinemusikjournal Melodiva wirkt dem seit Jahrzehnten entgegen und wird vom Frauen Musik Büro Frankfurt herausgegeben. Dieses fördert, präsentiert und vernetzt Musikerinnen im Popularmusikbereich. Doch hinter beidem steckt mehr: Konzertveranstaltungen, Workshops und Nachwuchsarbeit.
Text: Hans-Jürgen Lenhart

Als es noch kaum Berichterstattung über Musikerinnen in den Medien gab, entwickelte der 1984 in Lüneburg gegründete Verein Frauen machen Musik einen regelmäßigen Rundbrief für seine Mitglieder. Den Verein und dessen Künstlerinnenkartei übernahmen 1989 befreundete Musikerinnen aus Frankfurt am Main. Insbesondere die Percussionistin Anne Breick von Deutschlands inzwischen bekanntester weiblicher Ethnopopband Kick La Luna, die 2022 ihr dreißigjähriges Bestehen feiert, konzipierte mit unermüdlichem ehrenamtlichem Einsatz den Rundbrief weiter. Sie organisierte Symposien und Konzertreihen wie die female concerts, bei denen zwei Bands aus konträren Musikrichtungen miteinander spielten. Der Zuspruch der Musikerinnen zeigte, dass Breick und ihre Vereinskolleginnen lange gehegten Bedürfnissen von Frauen in der Musikszene ein Forum gaben.

1990 entstand darüber das Frauen Musik Büro Frankfurt. Es gibt das Onlinemagazin Melodiva heraus, Deutschlands bislang einziges Musikjournal, das ausschließlich über Frauen im Musikgeschäft berichtet. Auf der Plattform gibt es Interviews mit Musikerinnen, Album- und Konzertkritiken, Tour- und Workshoptermine der Netzwerkmitglieder und viele nützliche Infos. Es werden die Melodiva Club Concerts in Kooperation mit Frankfurter Veranstaltern organisiert und so Künstlerinnen aus ganz Deutschland auf die Bühne gebracht. Hobby- und semiprofessionelle Musikerinnen können bei Wochenendworkshops gemeinsam jammen und von Dozentinnen lernen. Das Musikerinnenverzeichnis Bandindex ist in die Kategorien „Band/Solistin“, „DJane“, „Dozentin“, „Agentur“, „Label“ und „Technik/Sonstiges“ unterteilt. Das Team besteht inzwischen aus Mane Stelzer, Marie Koppel, Maria Bätzing und Hildegard Bernasconi.

 

„Ohne Frauen auf der Bühne verliert sich bei jungen Konzertbesucherinnen die Vorstellung, selbst Musikerin werden zu wollen.“

Das Frauen Musik Büro 1995 – Hildegard Bernasconi (v.), Anne Breick (re.).

Foto: Melodiva

 

Der Erfolg einiger weiblicher Superstars kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Anteil von Frauen in der Musikindustrie seit Jahren sogar sinkt. Da braucht es Talentförderung, wobei für Jugendliche die bekannteste Form die Castingshows im Fernsehen sind. Doch laut Bätzing „geht es in den Shows meistens nur darum, gewisse Stereotype auszufüllen, und dazu gehört, dass Frauen in der Musik ausführendes Organ sind, also keine Komponistinnen“. Kollegin Stelzer ergänzt: „Es wird zudem vermittelt, dass du als Sängerin im Mittelpunkt stehst, als Bassistin wirst du noch nicht mal von der Kamera gefilmt. Das merken wir dann beim Jazz Girls’ Day, wenn sich die Mehrheit zwar als Sängerin anmeldet, davon viele aber eigentlich auch ein Instrument spielen.“

Talentförderung sieht bei Melodiva daher so aus, dass sich junge Musikerinnen beim Jazz Girls’ Day ausprobieren oder beim jährlich stattfindenden Miezenabend Bühnenluft schnuppern können. Mit Melodita gibt es sogar eine Nachwuchsredaktion, die zum Beispiel mit Videoclips Berufe aus der Musikbranche wie Veranstaltungstechnikerin vorstellt. Das Team will Vorbilder für jüngere, angehende Musikerinnen schaffen. Bätzing dazu: „Frauen werden zwar inzwischen auf Festivals mehr gebucht, aber weiteren Musikerinnen wird dann gesagt, man habe schon eine Frau im Programm. Ohne Frauen auf der Bühne verliert sich allerdings bei jungen Konzertbesucherinnen die Vorstellung, selbst Musikerin werden zu wollen.“

Seit Gründung des Vereins hat sich für Musikerinnen durchaus einiges positiv geändert. Stelzer betont vor allem „die gesteigerten Möglichkeiten, sich selbst zu produzieren und zu vermarkten. Frauen sind nicht mehr so abhängig von Machtstrukturen. Es gibt die Keychange-Initiative, bei der sich Veranstalter verpflichten, ihr Angebot zu fünfzig Prozent mit Frauen zu besetzen. In Umfragen wünscht sich das Publikum zunehmend Diversität im Programmangebot von Festivals. Auch Förderprogramme machen das verstärkt zur Bedingung.“

Anfang der Neunzigerjahre gründeten sich viele Frauenbands, die oft feministisch geprägt waren. Die Gefahr für Musikerinnen, in einer reinen Frauenmusikszene hängenzubleiben, schätzen die beiden Redakteurinnen aber als weniger wichtig ein als die Rolle der Safe Spaces. Mane Stelzer: „Es gibt keine abgeschottete Frauenmusikszene mehr, eher eine feministische Musikszene parallel zu Musikerinnen, die ihren persönlichen Stil im Fokus haben. Da hat ein Generationenwechsel stattgefunden. Es existieren aber viele Mädchen, die ein Instrument lernen, jedoch damit alleine bleiben. Sie brauchen ein Einstiegstor, so wie unser Coachingprojekt Bandfieber, um Spaß zu gewinnen, in einer Band und vor Publikum zu spielen. Und sie benötigen Vorbilder auf der Bühne am Instrument, sonst wird der Frauenanteil in der Musikszene immer gering bleiben – eine Sängerin und vier Begleitmusiker.“

Zum Alltag der Melodiva-Macherinnen gehört ebenso, sich gegen zu geringe Gagen für Musikerinnen einzusetzen. Für Bätzing hängt dies damit zusammen, „dass Musik immer mehr zu einer Dienstleistung gemacht wird, die als kostenlos angesehen wird. Deshalb verbreiten wir Broschüren zur Berechnung fairer Honorare für Auftritte und Musikunterricht“.*

Und wenn für Frauen der Traumberuf Musikerin ist, stehen sie immer vor der Frage, ob sie dafür auf Familie und Kinder verzichten müssen, weshalb viele den Beruf erst gar nicht ergreifen. „Musikerinnen brauchen deshalb ein besseres Netzwerk für die Kinderbetreuung. Auch Veranstalter sollten über so etwas nachdenken.“ Es gibt also noch viele offene Baustellen für Melodiva und das Frauen Musik Büro.

* Siehe www.koalition-freieszeneffm.de.

 

melodiva.de, melodita.de, frauenmusikbuero.de

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Dir hat der Artikel gefallen?

Dieser Artikel ist für Dich kostenlos. Wenn Du unsere Arbeit unterstützenswert findest, magst Du unserem Team vielleicht mit einem einmaligen Betrag oder mit einer regelmäßigen Spende über Steady supporten. Das Wichtigste ist: Danke, dass Ihr uns lest!"

Unterstütze uns einmalig mit Paypal (an unseren Verlag: Fortes Medien GmbH)

Werbung

L