Maryam Akhondy

Kölns persische Pionierin

5. April 2024

Lesezeit: 6 Minute(n)

Seit fast vierzig Jahren lebt die iranische Sängerin Maryam Akhondy in Köln. In Deutschland ist sie bekannt dafür, dass sie persische Lieder nicht nur in klassischer Art vorträgt, sondern auch oft in ungewöhnlicheren Formen. Klassisch persisch singt sie aktuell mit ihrem Ensemble Barbad. Mit ihrem weltweit ersten iranischen Frauenchor Banu führt Maryam Akhondy dagegen traditionelle Lieder auf, die in verschiedenen Regionen des Iran von Frauen bei der alltäglichen Arbeit gesungen werden. Mit ihrer Gruppe Paaz kombiniert sie wiederum alte iranische Chansons mit Jazz. In den Neunzigerjahren schrieb Maryam Akhondy ein Stück weit deutsche Weltmusikgeschichte als erste Sängerin der Kölner Schäl Sick Brass Band. Im vergangenen Jahr erhielt die weltoffene Iranerin als erste Frau den WDR Jazzpreis in der Kategorie „Musikkulturen“.
Text: Antje Hollunder; Fotos: Bernd G. Schmitz

Seit der Auszeichnung mit dem WDR Jazzpreis fühlt sich Maryam Akhondy in Deutschland noch einmal ein bisschen mehr zu Hause. Die Anerkennung des Westdeutschen Rundfunks bedeutet ihr viel. Dabei hat die iranische Sängerin, Komponistin und Arrangeurin dessen Wertschätzung schon häufig erfahren. Mit ihren Gruppen und Projekten ist sie in den letzten drei Jahrzehnten mehrfach in den verschiedenen Radioprogrammen des Senders zu hören gewesen. Dazu ist sie bereits viele Male im WDR Funkhaus in Köln aufgetreten, unter anderem mit Banu und dem grenzüberschreitenden Jazzpianisten Mike Herting. Die Aufnahmen für ihr Album Maryam Akhondy’s Paaz Live At WDR stammen, wie der Titel schon sagt, ebenfalls aus einem Konzert beim WDR.

An all das erinnert die Künstlerin, die bei ihren Auftritten stets orientalische Kleidung trägt, bei unserem Treffen Anfang des Jahres in Köln in ihrem Lieblingscafé. Das persische Café Bahar ist ihr „Wohnzimmer“, wie sie sagt. Hier trinkt sie regelmäßig Rosentee mit Safran, isst gelegentlich iranische Speisen und spricht mit den Betreibenden in ihrer Muttersprache Farsi, in der sie üblicherweise auch singt. Mit ihrer humorvollen Art ist Maryam Akhondy im Rheinland bestens integriert. Den Iran vermisst sie aber naturgemäß trotzdem. Die persische Musik, die sie als ihre große Liebe bezeichnet, gibt der Iranerin indessen das Gefühl, zu Hause zu sein, ganz gleich wo auf der Welt sie sich gerade befindet.

Maryam Akhondy

R(h)einjazz, Rheinforum Wesseling 2017

 

Als Maryam Akhondy den WDR Jazzpreis erhält, nimmt sie ihn stellvertretend für alle Frauen im Iran entgegen, die dort zu diesem Zeitpunkt gerade unter Einsatz ihres Lebens für ihre Rechte kämpfen. Sie selbst verließ 1986 den Iran nicht nur wegen des Ersten Golfkriegs, sondern auch, um sich als Sängerin wieder frei entfalten zu können. Seit der iranischen Revolution 1979 dürfen Frauen im Iran öffentlich nur sehr eingeschränkt auftreten. Solistisch ist es ihnen nur vor Frauen gestattet zu singen, vor einem gemischten Publikum nur dann, wenn ihr Gesang von mehreren männlichen Gesangsstimmen überlagert wird.

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„Die persische Musik gibt ihr das Gefühl, zu Hause zu sein.“

Maryam Akhondy, Jahrgang 1957, hat in ihrer alten Heimat auch andere Zeiten erlebt. In ihrer Geburtsstadt Teheran gewinnt sie als jugendliche Gymnasiastin mehrere schulische Gesangswettbewerbe und singt bei Veranstaltungen der Schule vor einem bis zu dreitausend Personen starken Publikum. Nach dem Abitur absolviert die künstlerisch begnadete junge Frau ein Studium der Theaterwissenschaft und nimmt zudem fast zehn Jahre Gesangsstunden bei Meistern des klassischen persischen Radifsystems wie Ostād Nasrollah Nasehpour. Als Maryam Akhondy mit ihrer Karriere als Sängerin gerade im Begriff ist, richtig durchzustarten, beginnen im Iran die islamischen Restriktionen gegen Frauen. Statt gemeinsam mit iranischen Meistersängern im Radio von Teheran zu singen, beginnt sie als Grundschullehrerin zu arbeiten. Doch auch in diesem Beruf werden ihr Grenzen aufgezeigt. Als sie den Kindern einmal etwas über die Methode des Singens beibringt, erhält sie prompt eine Abmahnung.

WDR-Sendesaal Köln 2010

„Sie reden mit ihren Instrumenten in meiner Sprache!“

Im Alter von 28 Jahren kommt Maryam Akhondy nach Deutschland und lässt sich gezielt in Köln nieder, wo sie bereits einige iranische Musikschaffende kennt. In ihren ersten Jahren in Deutschland singt sie in verschiedenen Formationen wie Nawa und Tschakawak ausschließlich klassische persische Kunstmusik. 1992 gründet die engagierte Musikerin ihre erste eigene Gruppe. Mit dem Ensemble Barbad singt Maryam Akhondy überwiegend Gedichte großer persischer Dichter, Mystiker und Philosophen aus dem Mittelalter wie Hāfez, Khayyām und Attār, während sie von klassischen persischen Instrumenten wie den Langhalslauten Tar oder Tanbur, der Kniegeige Kamantsche und der iranischen Bechertrommel Tombak begleitet wird. Die Begleitmusiker variieren bei den Konzerten des Ensemble Barbad, je nachdem welche iranischen Instrumentalisten gerade in ihrem Umfeld verfügbar sind. Immer aber bringt Maryam Akhondy gemeinsam mit ihren musikalischen Gefährten ihre Glücksgefühle zum Ausdruck, die sie empfindet, wenn sie die Poesie des alten Persiens liest, welche eng mit der klassischen persischen Musik verbunden ist.

„… den Menschen in ihrer neuen Heimat von ihrer alten Heimat erzählen.“

Seitdem Maryam Akhondy in Deutschland lebt, ist sie auf der Suche nach einem westlichen Sinfonie- oder Kammerorchester, mit dem sie Musik aus dem Iran in neuem Klanggewand aufführen kann. In Köln begegnet ihr Mitte der Neunziger dabei Raimund Kroboth. Der Gitarrist und Bandleader sucht gerade eine Sängerin für sein neu gegründetes Blasorchester, mit dem er multikulturelle Musik spielen will. Als Maryam Akhondy hört, wie mit Saxofonen, Trompete, Posaune, Tuba, Schlagzeug und Kroboth an der Waldzither ein iranisches Lied von der Schäl Sick Brass Band gespielt wird, welches sie bis dahin nur mit orientalischen Instrumenten kannte, denkt sie bewegt: „Sie reden mit ihren Instrumenten in meiner Sprache!“ Und steigt in die Band mit ein. Drei Alben nimmt die Iranerin bis 1999 gemeinsam mit der Schäl Sick Brass Band auf, zwei davon werden mit dem Vierteljahrespreis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Letztendlich singt Maryam Akhondy darauf nicht nur Lieder ihrer alten Heimat, sondern auch Songs afrikanischer und brasilianischer Herkunft und sogar nach bayerischer Art, der ursprünglichen Heimat Raimund Kroboths.

Da die Schäl Sick Brass Band schlussendlich aber nicht wirklich die Musik spielt, die sie erfüllt, verlässt Maryam Akhondy das multikulturelle Blasorchester wieder. Kurz nach der Jahrtausendwende gründet sie dann den iranischen Frauenchor Banu, mit dem sie erneut für Aufsehen sorgt. Es ist nicht nur weltweit die erste Vokalgruppe aus Iranerinnen, sondern ungewöhnlich ist auch, dass es Laiensängerinnen sind, die darin erst einmal traditionelle Lieder aus verschiedenen Regionen des Iran singen, die dort üblicherweise von Frauen bei der Hausarbeit, beim Melken oder beim Teppichweben gesungen werden. In ihrer Heimat ist es nicht erlaubt, sie außerhalb der eigenen vier Wände anzustimmen. Maryam Akhondy bringt diese Lieder mit Banu an die Öffentlichkeit. A cappella oder lediglich von Percussion begleitet, führt sie sie in mehrstimmigen Arrangements mit bis zu dreißig Sängerinnen in zahlreichen Konzerten auf und veröffentlicht sie 2004 auch als Album. In ihrem neuen Programm singen Maryam Akhondy und Banu seit Februar auch Lieder des südiranischen Musikgenres Khayyam Khani, die poetische Texte von Khayyām enthalten, zum Teil beim Arbeiten gesungen werden und bei Konzerten im Wechsel mit dem Publikum. Für die iranische Musikerin ist Banu ein Herzensprojekt, denn mit ihm kann sie Frauen aus dem Iran eine Stimme geben und über die Lieder von sich, ihrem Herkunftsland und ihrer Kultur erzählen.

Maryam Akhondy's Paaz & Ensemble Barbad

WDR-Preisträgerkonzert, Theater Gütersloh 2023

 

Einen Teil der iranischen Kultur vermittelt Maryam Akhondy auch über ihre Gruppe Paaz. Deren Repertoire besteht seit der Gründung 2013 aus iranischen Chansons, die aus der Zeit vor der islamischen Revolution stammen. Diese populäreren persischen Songs gibt die Sängerin gemeinsam mit vier Musikern unterschiedlicher Herkunft in jazzigerer Art wieder. Zwischen Tasnif, Jazz und deutschem Volkslied wiederum bewegt sich die iranische Sängerin seit 2016, wenn sie mit dem gebürtigen Kölner Mike Herting auftritt. In der Zusammenarbeit mit dem kosmopolitischen Pianisten, Komponisten und Bandleader, der sich besonders für außereuropäische Musikkulturen begeistert, zeigt Maryam Akhondy nicht nur ihre Liebe zu einer balladenartigen Gesangsform der klassischen persischen Musik, sondern widmet sich zudem hingebungsvoll der Musikkultur Deutschlands. In ihrem gemeinsamen Programm singt die Iranerin unter anderem das traditionelle deutsche Liebeslied „Ich hab’ die Nacht geträumet“.

Maryam Akhondy & Banu

Rudolstadt-Festival 2019

 

Auch mit fast 67 Jahren ist Maryam Akhondy noch voller Tatendrang. Als Nächstes plant sie, eins ihrer bereits älteren Musikprogramme aus den Neunzigerjahren erneut auf die Bühne zu bringen. Darin singt sie zum einen sogenannte Küchenlieder, die Frauen im Iran singen, wenn sie unter sich sind und sich über jemanden beschweren oder lustig machen. Zum anderen enthält das Programm „Unwaghta“ („Damals“) regelrechte iranische Gassenhauer, sprich Lieder, die früher auf der Straße zu hören waren, wenn Händler ihre Waren und Handwerker ihre Dienste anpriesen. Auch mit diesen Stücken, die Maryam Akhondy 2021 auf dem gleichnamigen Album Unwaghta veröffentlicht hat, möchte sie den Menschen in ihrer neuen Heimat von ihrer alten Heimat erzählen.

www.maryamakhondy.com

Aktuelles Album:

Unwaghta/Damals – Iranische Küchenlieder und Gassenhauer (Eigenverlag, 2022)

Videos:

WDR-Jazzpreis Musikkulturen 2023: www.youtube.com/watch?v=FXSWlo1uuuw

„Ich hab die Nacht geträumet“ von Akhondy + Herting: www.youtube.com/watch?v=DiBAHYKJ84

Maryam Akhondy & Banu, Nouruz-Fest in Köln: www.youtube.com/watch?v=RcuC7hFrUD8

Maryam Akhondy’s Paaz & Ensemble Barbad, acht Musikbeispiele: www.youtube.com/watch?v=xj4DNVV9LnE

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Aufmacher:
Maryam Akhondy

Global Sounds of Cologne 2022

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