Ian Hooper von den Indiefolk-Helden Mighty Oaks aus Berlin fühlt sich mit seiner Band immer schon ein wenig zwischen den Stühlen platziert – und dort aber durchaus sehr wohl.
Text: Wolfgang Weitzdörfer; Fotos: Studio Marco Fischer
Mit manchen Schlagworten, die selbst einmal zu Genres wurden, ist es mit der Definition so eine Sache. Was verbirgt sich wirklich dahinter? Was sind musikalische, was textliche Kriterien? Und welche Bands und Musikschaffenden sind Teil einer Szene? Nur wenig überraschend ist es so auch beim Indiefolk. Auf jeden Fall mit dazu gehören die Mighty Oaks, ein Trio bestehend aus Ian Hooper – Gesang, Mandoline, Tamburin, Akustikgitarre, große Trommel –, Claudio Donzelli –Gesang, Akustik- und E-Gitarre, Mandoline, Banjo, Keyboard – sowie Bassist und Sänger Craig Saunders. Und vielleicht verbirgt sich hinter dieser bei Wikipedia zu findenden Beschreibung der Mitglieder und ihrer Instrumente schon ein bisschen des Geheimnisses des Bandsounds und damit auch dieses großen Genres.
Fragt man allerdings Ian Hooper, den es vor knapp fünfzehn Jahren aus dem nordwestlichen US-amerikanischen Bundesstaat, Washington, mit seiner Sehnsuchtshauptstadt eines riesigen Teils der Generation X – der Grunge-Ursuppenstadt Seattle – aus Studienzwecken zunächst nach München, später nach Hamburg und dann schließlich nach Berlin verschlagen hat, wird man darauf jedoch keine wirklich befriedigende Antwort bekommen. „Damit tue ich mich eh schwer – was gehört denn schon zum Folk? Für mich ist Folk grundsätzlich handgemachte Musik mit echten Instrumenten. Akustikgitarre, Klavier, Banjo … Für mich sind aber auch Country und Americana Folk. Und dann, ja, dann gibt es auch noch den Indiefolk“, sagt der 37-jährige Musiker in nahezu perfektem Hochdeutsch und wirkt dabei beinahe ein wenig ratlos. Letztlich, so fährt er dann fort, sei der Indiefolk für ihn eine kleine, feine Szene, „vor allem hier in Deutschland“, in die seine Band gut reinpasse. Mit einer Einschränkung: „Wir haben immer schon ein wenig zwischen den Stühlen gesessen“, sagt er. Und spielt damit vor allem auf den Status der „mächtigen Eichen“ an. Denn die Band ist direkt mit dem ersten Album so richtig durchgestartet, Chartplatzierungen und Majorlabel im Rücken inklusive. Also nicht gerade das, was man landläufig mit Indiebands verbindet, ob nun Folk oder Rock.
„Folk ist grundsätzlich handgemachte Musik mit echten Instrumenten.“
Wenn man das Phänomen Mighty Oaks verstehen will, muss man die Uhr einige Jahre zurückdrehen. Seit 2008 lebt Ian Hooper in Deutschland, nach kurzem Zwischenstopp in der bayerischen Landeshauptstadt zunächst in Hamburg. Dort trifft er 2010 den Engländer Craig Saunders. „Wir haben uns bei einem Singer/Songwriter-Festival kennengelernt“, sagt Hooper. Auch dem Italiener Claudio Donzelli begegnen die beiden in der Elbmetropole. „Wir sind immer in Kontakt geblieben und haben irgendwann beschlossen, gemeinsam Musik zu machen.“ 2011 nahmen Hooper und Donzelli eine EP auf, die sie bei Soundcloud veröffentlichten, und konnten sich über den ersten Erfolg freuen. Da waren die beiden aber bereits eine Stadt weitergezogen, nach Berlin. „Verstärkt um Craig, haben wir unser Debütalbum aufgenommen, Howl, 2014, das dann auch direkt in die Top Ten einstieg“, erzählt der US-Amerikaner. Den Bandnamen gab es zu diesem Zeitpunkt schon, allerdings war der mehr aus der Not geboren. „Als Claudio und ich die EP hochladen wollten, brauchten wir natürlich einen Bandnamen. Im Englischen gibt es das Sprichwort ‚Mighty oaks from little acorns grow‘ – was so viel bedeutet wie: Nicht aufgeben, aus Kleinem kann ganz Großes entstehen“, sagt Ian Hooper. Ein beinahe prophetischer Name, wie sich dann mit dem Debüt zeigen sollte.
Und da ist sie dann wieder, die Frage: Dürfen die das als Indiefolkband? Auf die die Antwort natürlich lautet: Klar dürfen die das. Erfolg und die Attitüde der Indieband können sehr wohl miteinander funktionieren. Allerdings gilt eben auch: Erfolg verpflichtet. Zumindest zu einem gewissen Teil. Denn bei aller Euphorie über das erfolgreiche Erstlingswerk – die Band fühlt sich beim zweiten Album Dreamers ein wenig verloren und weiß nicht so genau, wohin es gehen soll. „Ja, das war insgesamt betrachtet keine so tolle Zeit“, erinnert sich Ian Hooper. Aber klar, selbst wenn man im Indiefolk zu Hause ist – der riesige Erfolg, der die Band aus dem Nichts überrollt hatte, war auch an Erwartungen der Plattenfirma geknüpft, und das sorgte für Irritationen im Bandlager. „Man muss das Spiel aber mitspielen – oder man ist schneller wieder in der Versenkung verschwunden, als man gucken kann“, sagt Hooper nachdenklich. Also spielen die Mighty Oaks das Spiel mit, strampeln sich aber nach und nach frei. Alle vier bisherigen Alben wurden auf Majorlabels veröffentlicht. Nach Dreamers 2017 kam 2020 All Things Go – und dann erst mal Corona.
„Die Zeiten für Musiker haben sich extrem geändert.“
Was die Pandemie für die Kunst- und Kulturszene bedeutete, wissen wohl viele noch aus schmerzhafter eigener Erfahrung und kann an dieser Stelle gar nicht aufgearbeitet werden. Sie war aber insofern für die Mighty Oaks von Bedeutung, weil sie zu einer Kurskorrektur führte, die in gewisser Weise auch die Zukunft der Band betrifft. Und ganz unmittelbar auch mit dem Thema Indie zusammenhängt. „Das vierte Album Mexico ist unser Covid-Album“, fasst Hooper es zusammen und meint das gar nicht irgendwie negativ. Er habe das Werk, das 2021 ebenfalls wieder in die Top Ten einstieg, alleine in seinem Berliner Wohnzimmer geschrieben. „Das war ein Schritt zurück zu unseren Anfängen, gerade was die Instrumentierung und das Songwriting angeht. Auch unser neues, noch unbetiteltes Album ist auf diese Weise entstanden, es wurde in nur zehn Tagen geschrieben“, erklärt der Musiker und ergänzt: „Die künftigen Mighty Oaks werden ebenfalls weiter in diese reduzierte Richtung gehen.“ Erscheinen wird die neue Platte diesen Herbst, noch vor der dann anstehenden Akustiktour der Formation. Einen Titel dafür gibt es noch nicht.
Das Bandleben ist durchgetaktet, sagt Ian Hooper. „Wir haben so eine Art Zwei-Jahres-Plan, wenn nicht gerade eine weltweite Pandemie alles lahmlegt. Manchmal dauert es etwas länger, wenn die Konzertreisen sich verlängern und es noch auf die Festivalbühnen geht. Aber es kommt schon ungefähr so hin“, sagt er. Deswegen will er auch nicht zu weit in die Zukunft blicken. „Was in zehn Jahren sein wird? Das weiß ich nicht, keine Ahnung, wirklich nicht.“ Viel mehr überrascht ihn da doch, dass die Mighty Oaks die ersten zehn Jahre schon hinter sich haben. Und kann sich einen kleinen Seitenhieb auf die Schnelllebigkeit der Zeit nicht verkneifen. „Die Zeiten für Musiker haben sich schon extrem geändert. Und das in nur zehn Jahren, das muss man sich mal vorstellen. Und natürlich, das hat mit Social Media zu tun – davon gibt es heute viel mehr, und das müssen wir als Band auch bedienen. Aber ehrlich, es ist doch absurd, was da abgeht!“ Hoopers Kopfschütteln ist durchs Telefon fast zu hören. Vielleicht gehört ja auch ein wenig Gesellschaftskritik zum Indiefolk dazu? Klar ist, dass sich die Mighty Oaks nichts mehr sagen oder vorschreiben lassen. Das wird deutlich, wenn man die Entwicklung der Band über die bisherigen vier Alben betrachtet – und sich insgeheim fragt, wie es nach Mexico mit seiner insgesamt schon sehr reduzierten Klangwelt weitergehen wird. Ein bisschen Geduld wird man hier jedoch noch haben müssen.
Und dann ist Ian Hooper doch noch so etwas wie eine Definition ihres Stils zu entlocken. „Indie ist jenseits von Perfektionismus. Da sind auch Fehler erlaubt, da ist Charakter drin. Die Nuancen in der Musik sind definierter. Das gehört auf jeden Fall zum Folk.“ Dass das neue Album komplett live aufgenommen wurde, sei übrigens auch als Statement zu verstehen. „Das macht es menschlich, gerade in Zeiten von künstlicher Intelligenz. Den wenn KI anfängt, Musik zu schreiben, dann wird es langweiliger Nullachtfünfzehn-Sound sein“, ist sich der Musiker sicher. Komplettiert wird der Indiefolk, wie ihn die Mighty Oaks verstehen, durch einen ganz wesentlichen Bestandteil. „Geschichten! Ich liebe gute Texte, die dem Hörer über Lebenserfahrungen erzählen, über die Dinge, die einem im Lauf des Lebens passieren, über den Tod, das Leben, die Liebe, Reisen, Fernweh und Beziehungen.“
Dann bleibt am Ende vielleicht doch die ganz simple, aber nachvollziehbare Erklärung dafür übrig, was Indiefolk nun wirklich ist: schlicht und ergreifend gute Musik.
Aktuelles Album:
Mexico (Howl/Sony, 2021)
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