Audio mp3: »Mit Herz und Struktur«, 8:30 min
Den Verlag der Spielleute kennt der Viersener Informatiker Jonas Böttcher schon in seiner Jugend, als er die dort verlegte Sackpfeifen-Fibel im Unterricht an der Dudelsack-Akademie in Hofheim am Taunus regelmäßig verwendet. Seine erste prägende Erfahrung mit traditioneller Musik hat er ebenfalls bereits als Kind, als er zwei Musiker auf Böhmischen Böcken spielen sieht und vor allem hört. Der sonore Klang beeindruckt ihn so tief, „dass der Dudelsack von diesem Moment an mein absolutes Lieblingsinstrument war“. Als Jugendlicher beginnt er mit einem Mittelalterdudelsack, lernt später autodidaktisch Schäferpfeife und Irish Flute (irische Holzquerflöte), außerdem gehören Tin Whistles zu seinem Instrumentarium. Darüber hinaus absolviert er seit einigen Jahren eine professionelle Great-Highland-Bagpipe-Ausbildung an der Dudelsackakademie, ebenfalls in Hofheim. Er spielt Bal-Folk-Musik in einem Duo und einem Trio.
Text: Ulrich Joosten; Fotos: Verlag der Spielleute
2013 stellt sich Böttcher die Sinnfrage: „Möchte ich ein Leben lang Informatiker bleiben oder meinen Lebensunterhalt mit dem verdienen, was mich wirklich leidenschaftlich bewegt – nämlich der traditionellen Musik?“
Zunächst gründet er die Internetplattform Folk.World, über die er Musikinstrumente und Publikationen aus dem Verlag der Spielleute verkauft. Fast zehn Jahre später kommt er über seinen Dudelsacklehrer Thomas Zöller mit dem damaligen Inhaber, Michael Hofmann, in Kontakt, der jemanden sucht, der den traditionsreichen Verlag übernimmt. Böttcher trifft sich mit diesem, der ihm den gesamten Verlag zeigt, „die Instrumente und die unzähligen Bücher, die in seinem Keller und in den Geschäftsräumen lagerten. Nachdem die logistischen und finanziellen Rahmenbedingungen geklärt waren“, erzählt Böttcher, „übernahm ich den Verlag – und damit rund fünf Tonnen Bücher und Instrumente, die ich von Reichelsheim nach Lörrach ins neue Verlagslager umziehen musste.“
„Ziel ist es, den Verlag als umfassende Plattform für traditionelle Musik weiterzuentwickeln.“
Seitdem habe sich, so der neue Besitzer, einiges verändert. Die Entwicklung geht wie der fortwährende Dauerton eines Borduns Tag für Tag weiter. „Ich denke ständig darüber nach, wo der Verlag aktuell steht und wohin er sich entwickeln soll. Im Austausch mit Musikern, Kunden, Freunden und Musikpartnern überprüfe ich regelmäßig, welche Richtung sinnvoll ist.“ Als gelernter Informatiker baut er die Infrastruktur komplett neu auf, gestaltet Abläufe effizienter, präsentiert den Onlineauftritt zeitgemäß, behält aber das bekannte Spielmann-Logo mit leicht modernisierter Schrift bei. Es gibt jetzt, erklärt er, „ein klares, papierweißes Layout mit Aquarellfarbakzenten als Wiedererkennungsmerkmal. Alle Produktbeschreibungen wurden überarbeitet, Buchcover sind jetzt in 3D-Ansicht im Shop dargestellt.“ Der junge Verleger verknüpft die erneuerten Systeme so, dass viele Prozesse – wie etwa die Buchhaltung und das Lager – automatisiert ablaufen. „Heute übernimmt ein Dienstleister den Versand, inklusive Sendungsverfolgung und E-Mail-Benachrichtigung.“
Ein weiterer wichtiger Schritt, so Böttcher, sei die Wiederbelebung des Verlags, um den es in den vergangenen Jahren still geworden war, „als eigenständige Marke mit eigenem Newsletter, der sowohl alte als auch neue Abonnenten erreicht. Seit Sommer 2024 ist der Verlag auch äußerst aktiv auf Social Media vertreten. Mit regelmäßigen Beiträgen zu Autoren, Musikern, Instrumentenbauern, Stimmen aus der traditionellen Musikszene sowie Neuigkeiten zu unseren Büchern und Ausstellungen ist der Verlag präsenter denn je.“
Böttcher hat eine Vision: Der Verlag der Spielleute soll eine zentrale Anlaufstelle für traditionelle Musik werden – eine Instanz, die Standards setzt und hochwertige Lehrwerke weiterentwickelt. Er komme aus einer Zeit, als das Folkrevival der Siebzigerjahre in seiner Blütezeit stand, sagt Böttcher. „Die Generation, die es trug, hat das Fundament für die heutige traditionelle Musikszene gelegt“, stellt er fest. „Jetzt geht es darum, den Fachverlag, der vor allem Lehrbücher und Noten zu Bordunmusik, Alter Musik und traditioneller Musik – wie die beliebten, jeweils dreibändigen Anthologien Schnurrpfeiffereyen, Ein gutter nerrisch Tantz und Der Tanzbär – veröffentlicht hat, für die Zukunft fit zu machen.“ Dazu, meint er, müsse sich dieser Fokus erweitern. Traditionelle Musik soll breiter abgebildet werden – mit einem besonderen Augenmerk auf europäische traditionelle Musik. Zwei Werke zur irischen Musik sind bereits hinzugekommen, und weitere Publikationen sollen folgen, etwa zu schwedischer oder spanischer Musik.
„Im deutschsprachigen Raum gibt es keinen anderen Verlag, der sich so konsequent auf traditionelle Musik spezialisiert“, resümiert Böttcher. Dieses Alleinstellungsmerkmal soll weiter ausgebaut werden, indem weitere hochwertige Lehrbücher veröffentlicht werden. Der Verlag soll sich wieder als etablierte Größe in der Volksmusik festigen. Deshalb will der neue Verleger auch keine Musikinstrumente verkaufen, sondern sich ausschließlich auf die Rolle des Unternehmens als Fachverlag konzentrieren.
Derzeit umfasst das Sortiment rund achtzig Bücher mit Schwerpunkt auf Lehrwerken für Instrumente wie Dudelsack, Nyckelharpa, Drehleier, diatonisches Akkordeon, Maultrommel und weitere. Außerdem gibt es Tanzanleitungen für traditionelle europäische Tänze sowie Notensammlungen zu den passenden Themen. Ergänzt wird das Angebot durch Sachbücher, die sich beispielsweise mit der Wartung von Instrumenten oder historischen Hintergründen befassen. Darüber hinaus sind sogar zwei Romane im Programm. Aktuell sind noch viele weitere Werke in der Pipeline, Neuauflagen, überarbeitete Ausgaben sowie neue Bücher mit ansprechendem Coverdesign.
Die Herausforderungen in der heutigen Musiklandschaft betreffen vor allem auch die Zukunft eines traditionellen Buchverlags, der bisher fast ausschließlich gedruckte Werke angeboten hat. Böttcher stellt sich die Frage, wie sich der Verlag in einer digitalen Welt weiterentwickeln kann. „Das Internet ist längst kein Neuland mehr, und es braucht Strategien, um gedruckte Bücher sinnvoll mit digitalen Angeboten zu ergänzen.“ Einen wichtigen Ansatz sieht er in der multimedialen Ergänzung der Lehrwerke. „QR-Codes oder Links zu Musikbeispielen, Videos und weiterem Bonusmaterial können dabei helfen, traditionelle Musik erlebbarer zu machen und junge Menschen besser abzuholen. Es gibt zwar unzählige kostenlose Videos zu fast jedem Instrument und gerade im Bereich der traditionellen Musik viele Selbstlernangebote, trotzdem bleibt das Lehrbuch ein unverzichtbares Medium, weil es geballte Kompetenz von professionellen Musikern und didaktisch aufbereitetes Material in strukturierter Form bietet – etwas, das Youtube-Tutorials in der Regel nicht leisten können.“
Ein weiteres Problem bei Onlinetutorials ist die fehlende Struktur, so Böttcher. „Ab einem bestimmten Punkt geht die Übersicht verloren. Welches Video ist das nächste? Wie messe ich meinen Lernfortschritt? Wie kann ich systematisch vorgehen, um wirklich fundierte Kenntnisse aufzubauen? Lehrbücher bieten hier einen klaren Vorteil: Sie sind durchdacht, strukturiert und von erfahrenen Musiklehrern entwickelt. Trotzdem bleibt es wichtig, den Dreiklang aus Lehrbuch, Musiklehrer und ergänzendem Material aus der Community oder Onlinevideos zu nutzen.“
Langfristig soll der Verlag der Spielleute selbst multimedialer werden, Jonas Böttcher denkt darüber nach, ergänzende Inhalte wie Videos, Musikaufnahmen oder Videotutorials zu den Lehrbüchern zu produzieren, „entweder als Bonusmaterial zu Büchern oder öffentlich zugänglich. Ziel ist es, den Verlag als umfassende Plattform für traditionelle Musik weiterzuentwickeln. Dafür wird es immer wichtiger, Noten nicht nur in gedruckter Form, sondern auch digitale anzubieten – sei es in Form klassischer E-Books oder über spezialisierte Notenplattformen, auf denen einzelne Stücke erworben werden können. Ein zentraler Punkt dabei ist die Lizenzierung: Es reicht nicht, einfach nur PDFs anzubieten. Es muss sichergestellt sein, dass Autorinnen und Autoren weiterhin faire Honorare erhalten.“









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