Ein Fest der Harmonie in Stimmen und Instrumenten gestaltet die walisische Band Pedair. Die All-Star-Women-Band besteht aus den vier renommierten Musikerinnen Gwenan Gibbard, Gwyneth Glyn, Siân James und Meinir Gwilym. Pedair bedeutet „vier“ auf Walisisch. Im Gegensatz zu dem schlichten Namen produziert das Quartett raffinierte Klänge mit größtem Können und von einer außerordentlichen Vielfalt.
Text: Imke Staats
Pedair konzentrieren sich auf Frauenthemen und den keltischen Folklorestil und kommen meist mit Harfen, Gitarre, Piano, Akkordeon und etwas Percussion aus. Ihre wichtigsten Instrumente sind ihre Stimmen. Gesungen wird dabei auf Walisisch. Da diese Sprache neben etwa einem Viertel der gut drei Millionen Cymry, wie sich die Menschen in Wales selbst nennen, nur wenige Weitere beherrschen, bleibt es Unkundigen nur möglich, sich über den Klang anzunähern.
Es gibt Menschen, die der Meinung sind, Walisisch sei die Sprache der Elfen. Der Autor und Philologe J. R. R. Tolkien, bekannt für seine unter anderem von Elfen bevölkerten Romane Der Herr der Ringe und Der kleine Hobbit, sagte einst: „Walisisch ist … die älteste Sprache der Menschen Großbritanniens; und Walisisch ist wunderschön.“
Die Musik von Pedair macht es leicht, das nachzuvollziehen. Die vier bieten eine variantenreiche Gesangsperformance, bei der jede Stimme zur Geltung kommt, einzeln oder in gemeinsamen Harmonien. Die Sprache haben die gebürtigen Waliserinnen bereits in ihrer Kindheit gelernt. Gwenan Gibbard, eine der beiden Harfenistinnen, sagt über die Inhalte: „Bei den Liedern handelt es sich um frauenzentrierte Volkslieder.“ Wobei der Begriff „Volkslied“ im Sinne von „Folksong“ hier auch eigene Werke miteinschließt. Sie lieben es, alte Werke wiederzuentdecken und neu zu interpretieren. In ihnen kann es um alles Mögliche gehen, von aberwitzigen Weisen über Hasen, die Jagdhunde jagen, und Schweine, die auf dem Meer Harfe spielen, bis hin zu ergreifenden Meditationen über Leben und Verlust. „Wir singen Lieder, die uns inspirieren und bewegen“, ergänzt Gibbard. „Unabhängig davon, ob andere den Text verstehen oder nicht, haben diese Lieder die Kraft, das Unaussprechliche auszudrücken.“ Damit ist nicht nur Magisches gemeint, sondern die vier möchten auch ihr Geschick als Songwriterinnen einsetzen, um auf den Zustand der Welt im ökologischen wie im gesellschaftlichen Sinn aufmerksam zu machen. Besonders wichtig ist es ihnen, Frauen eine Stimme zu geben.
„Diese Lieder haben die Kraft, das Unaussprechliche auszudrücken.“
Kennen lernten sie sich 2017 auf dem Eistedfodd, dem traditionellen Wettbewerb der walisischen Künste wie Literatur, Musik und Gesang. Dort trafen sie sich im Tŷ Gwerin, dem Zelt für Folktraditionen, um erstmalig gemeinsam ein Musikprogramm aufzuführen. Die Resonanz war überwältigend. Zwei Jahre später wiederholten sie die Performance – Gibbard beschreibt die Wirkung als „magisch“. Der Plan, gemeinsam weiterzumachen, wurde jedoch zunächst von der Coronapandemie durchkreuzt. Bis Meinir Gwilym eine Demo mit ihrer Idee eines „Cân Y Clo“ – eines „Lockdownliedes“ – in die Runde schickte. Aus den einzelnen Homestudioaufnahmen wurde ein Ganzes, das den aktuellen Zeitgeist traf- und 2020 die Gründung von Pedair auslöste. Der Song kam außerordentlich gut an.
Die Viererbande hatte fortan Erfolg, bei Liveauftritten und mit Aufnahmen einzelner Songs. 2022 stellten sie ihr erstes gemeinsames Album, Mae ’Na Olau („Es gibt kein Licht“, siehe Rezension in folker #3.24), zusammen. Dieses belegte beim Eisteddfod 2023 prompt den ersten Platz als bestes walisisches Folkalbum. Im November 2024 erschien nun das neue Werk, Dadeni.
Es ist nicht übertrieben, Pedair eine All-Star-Band zu nennen. Alle vier verfügten bereits über eigene Karrieren als Musikerinnen mit internationaler Reichweite, als sie sich zusammenfanden. Abgesehen davon sind oder waren alle auch anderweitig berufstätig – als Musiklehrerin, Leiterin einer Plattenfirma, Drehbuchautorin für Seifenopern oder Moderatorin von Wales’ bekanntester Gartenfernsehsendung. Jede hat dabei immer ihre eigene Musik gespielt, arrangiert und komponiert. Die beiden Harfenistinnen Gwenan Gibbard und Siân James sind tief in der walisischen Folktradition verwurzelt. Zum Beispiel im Cerdd Dant, der typisch walisischen Art, Poesie in Harfenklänge zu übersetzen. Der Text wird improvisiert, die Form aber folgt den Regeln der Cynghanedd („Harmonie“), einer bestimmten walisischen Methode des Reimens, die sich im Mittelalter entwickelte. Diese Harmonien sind es, die „einen Song in Schwung bringen“, wie Gibbard es ausdrückt. Der Schaffensprozess ist offen, jedoch entwickeln die vier die Arrangements immer gemeinsam und lassen „das Lied bestimmen, welche Instrumente es braucht“. Gwyneth Glyn und Meinir Gwilym sind Singer/Songwriterinnen, die unter anderem auch Folk spielen, und begleiten sich üblicherweise auf der Gitarre. Für die gemeinsame Band lernte Gibbard noch das Mandolinenspiel und Gwilym wurde zu einer versierten Percussionistin an der Cajón.
Alle Bandmitglieder stammen aus verschiedenen Teilen von Nord- und Mittelwales, haben dort studiert und gelebt, sind also beeinflusst von keltischer Mystik, Tradition und Natur. Meinir Gwilym kommt von der Insel Anglesey im Nordwesten, der „Insel der Druiden“, auf der noch zahlreiche Monumente aus vorchristlicher Zeit stehen. Sie studierte unter anderem walisische Literatur. Gwenan Gibbards Heimatstadt ist Pwllheli, ein Hafen auf der Halbinsel Llŷn. Dort fand bereits 1875 ein offizielles National Eisteddfod statt, auch 1925, 1955 und 2023 wurde es hier ausgerichtet. Ebenfalls aus Nordwest-Wales ist Gwyneth Gwilym, nämlich „von den grünen Weiden von Eifionydd“ und Siân James aus Llanerfyl, „wo alle etwas leicht Magisches haben und mit einem wunderschönen, sanften Ton sprechen“, wie es Gwenan Gibbard beschreibt.
Die vier Musikerinnen von Pedair haben also alle die walisische Kultur im Blut und verstehen es als ihren Auftrag, der Tradition neues Leben einzuhauchen und sie auch für die Jüngeren interessant zu machen. Mit dem neuen Album könnten sie bald vielleicht auch weitere Kreise begeistern. Denn während sie als Solomusikerinnen auf der ganzen Welt unterwegs sind, erfreuen sie als Pedair – noch – überwiegend ein heimisches Publikum. Und da wäre es dann doch von Vorteil, die Sprache zu verstehen, denn zu Hause bringen sie ihre Gäste mit manchen Stücken zum Weinen, aber auch zum Tanzen.
Videolink:
Pedair live bei den Celtic Connections 2024: www.youtube.com/watch?v=RKl8M8fB-tU
Aktuelles Album: Dadeni (Sain, 2024)
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