Säggs’sche Lieder für das Folk

Das Dresdner Duo Unfolkkommen

3. Oktober 2023

Lesezeit: 5 Minute(n)

Der sächsische Dialekt galt einst als vorbildlich, selbst Goethe soll von seinem Vater nach Leipzig geschickt worden sein, um neben dem Studieren dort die sächsische Art sprechen zu lernen. Lene Voigt verfasste ihre Bücher in Sächsisch, in der DDR wurde „Sing, mei Sachse, sing“ zum Hit, und auch nach der Wende hörte man im Kabarett den sächsischen Dialekt von Tom Pauls über Uwe Steimle bis Olaf Schubert. Andererseits sorgte SED-Chef Walter Ulbricht dafür, dass Sächsisch mit Spott und Häme als Synonym für den etwas trotteligen „Ossi“ galt – mitunter bis heute.
Text: Reinhard „Pfeffi“ Ständer

Sächsische Mundartlieder hatten zum Teil auch DDR-Folkgruppen wie Folkländer, Wacholder oder Arbeiterfolk im Programm, wie etwa „Heit gieht’s nach Sachsen naus“, und auch die schlagerhafte volkstümelnde Musik bediente sich daran. Aber erst nach vielen Jahren widmeten sich mit den Wahl-Dresdnern Micha Schaufuß (Gesang, Mandoline, Waldzither, Banjo) und Frank Menzer (Gesang, Gitarre) wieder einheimische Musiker konsequent dem sächsischen Dialekt. Beide lernten sich 2004 kennen, Schaufuß kommt aus dem Erzgebirge, Menzer aus dem nahen Freital. Beide arbeiten in Büroberufen und musizieren in ihrer Freizeit. Menzer bringt eine Ausbildung als Schlagzeuger mit, Schaufuß ist reiner Autodidakt und wurde vom Deutschfolkrevival angestiftet. Beim gemeinsamen Musizieren entdeckten sie die allseits beliebten Hits wie „Lustig, lustig, ihr lieben Brüder“ oder „Gesellenwoche“. Beide spielten meist Straßenmusik, 2009 auch schon beim damaligen TFF Rudolstadt, und empfanden sich anfangs als unvollkommen, daher das Wortspiel im Namen des Duos, das gelegentlich bei Albumaufnahmen durch musikalische Gäste zum Quartett erweitert wird.

2008 hörten sie von zwei Ur-Dresdnern drei alte Lieder in sächsischer Mundart, die bisher nur mündlich überliefert wurden. Sie erkannten, dass der sächsische Dialekt in Volksliedern etwas Besonderes ist, und entschieden sich dafür, neben Liedern auf Hochdeutsch vermehrt in Mundart zu singen, sofern sich ein Lied dafür eignet. Nun ist Sächsisch nicht gleich Sächsisch, es gibt feine Unterschiede – im Raum Dresden wird anders gesprochen als im Raum Leipzig oder in der Region Chemnitz-Erzgebirge. Hinzu kommt das Vogtland am südwestlichen Zipfel des Landes, das aber eher dem fränkischen Dialekt zugeordnet wird, sowie der Osten des Bundeslandes, dessen Oberlausitzer Mundart gar nicht sächsisch klingt.

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„Es kommt darauf an, mit der Mundart das Authentische auszudrücken.“

Unfolkkommen singen meist im Dresdner Dialekt, wobei das Erzgebirgische darin nicht zu überhören ist. Den beiden kommt es aber nicht auf Genauigkeit an, sondern dass sie mit der Mundart das Authentische, des Volkes Stimme ausdrücken. Dabei sind sie unermüdlich auf der Suche nach unbekannten Volksliedern, recherchieren in der Universitätsbibliothek oder in alten Liederbüchern wie Lustige Sächsische Lieder von Max Otto Paul oder vom Sächsischen Bergsteiger-Bund sowie Text- und Notenblättern, die sie geschenkt bekamen – bei der Straßenmusik, im Altenheim oder sogar von einem Dresdner Droschkenkutscher. Gibt es nur den Text, wird auch mal eine eigene Melodie dazu verfasst. Oder es werden Strophen und Refrain im Stil der Zeit dazugedichtet, wie man es von den DDR-Folkies kennt. Nicht einfach, denn der Zeitgeist wandelt sich schnell. Ein Beispiel ist das noch von Wacholder bekannte „De Dicke von Zwicke“ (womit Zwickau gemeint ist), in dem es heißt: „Nam nur du se, / Iech mog se fei net, / Nam nur du se, / Mir is se ze fett.“

„Folksmusik“, wie die beiden es nennen, ist schon immer auch mal derb und sorgt heute hin und wieder für Polarisierung beim Publikum. Dabei sind – wie Schaufuß sagt – die Lieder im Kontext der jeweiligen Zeit zu verstehen. Eine moralische Bewertung oder gar Verurteilung verbietet sich. Auch hat sich der Humor über Jahrzehnte grundhaft verändert. Und Unfolkkommen mögen witzige, ironische Lieder. Etwa: „Bei Bayrisch und bei Lagerbier, / Da löscht es sich famos. / Und wenn es ni richt’sch brennen wollt, / Nu, da war dor Deifel los“, wie es in „De Feuerwehr von Siebenlehn“ heißt. Viele Stücke sind in ihrer Art durchaus mit den berühmten Berliner Gassenhauern vergleichbar, die von den Alltagsfreuden der kleinen Leute handeln, zum Beispiel „Eene Landpartie“: „Matt sind de Oochenlieder, / Alle leechen sich nieder. / Träumen im Bedde von spät bis frieh / Von dr nächsten Landpartie.“ Besonders positiv fällt auf, dass manche Lieder so etwas wie nachträglicher Geschichtsunterricht sind, wie die hörenswerte „Elbereise“: „Hat mor Dresden und de Brücken hinterm Rücken, / Ei potz Blitz, fährt mor off dem Elbestrome bis hin nach Losch- und Blasewitz. / Wo der Schiller seinen Carlos hat ver-kom-bom-boniert / Und so nebenbei in Blasewitz de Gustel hat bussiert.“ Überhaupt sind in vielen Liedern witzige erotische Bezüge zu entdecken: „Mei Mann hat Nachtschicht, da kannste komm. / Wenn vorne zu is, komm hintenrum.“ Und manch altes Volkslied erinnert mit seinen Wortspielereien an das ebenfalls sächsische Duo Sonnenschirm, zum Beispiel „Das Warenhaus“: „Strumpfbandhalter, Tafelöl, Kalender, Schminke, Salz, / E Gummihütel, Bemmpapier, ne Boa für den Hals.“

Unfolkkommen beim Rudolstadt-Festival 2023

Foto: Michael A. Schmiedel

Dass es aber nicht damit getan ist, nur gute Laune zu verbreiten, zeigt ein Lied, welches Jürgen B. Wolff 1982 von Eric Bogle ins Vogtländische übertragen hat – „Waltzing Mathilda“ über die Schrecken des Ersten Weltkrieges. Unfolkkommen singen dieses Lied, das wohl jeden betroffen macht, seit Kurzem: „Iech entsinn miech noch wie in den schrecklichen Tag’n / Mor förmlich im Blut sei geschwomme, / Wie’s liebe Vieh sei mor ogschlacht worn, / Mit dor Höll hat sichs net viel genomme, […] / Se ham de Ledierten un de Krippel gesackt und aufs Schiff nach Australien verladen. / Die de Arm un de Baan un de Verstand verlorn hattn, bei ihren ach so glorreichen Taten.“ Gerade heute ist dieses beeindruckende Werk aktueller und wichtiger denn je. Wolff hat dafür, wie Schaufuß und Menzer das einschätzen, die Mundart gewählt, um das furchtbare Geschehen fern ihrer Heimat aus der Sicht einfacher, unschuldiger Menschen darzustellen.

Im Repertoire der beiden und bei ihren Auftritten sind etwa die Hälfte der Lieder im Dialekt. Einiges lässt sich aber nur im hochdeutschen Original singen, Songs von Wenzel, Scarlett O’ oder Stephan Krawczyk. Dazu kommen weithin bekannte Lieder wie der „Vugelbeerbaam“ oder „Auf der Festung Königstein“, die gern von alten – und jüngeren – Menschen mitgesungen werden. Das kommt auch am Rhein an oder beim Schrammel.Klang.Festival in Niederösterreich. Besonders gern treten die beiden dort auf, wo man sich mit dieser Art von Musik identifiziert: in Dörfern, Kneipen, Almhütten, Altenheimen beim gemeinsamen Musizieren oder beim Dresdner Elbhangfest. Oder in Rudolstadt jährlich am Brunnen in der Kirchgasse am Schlossaufgang VI. Das Ambiente ist wichtig.

Wer die Mundarttexte nachlesen möchte, sollte sich von den bisherigen fünf Alben besonders die Elbereise – Säggs’sche Folkslieder besorgen, auf der es neben den Texten ausführliche Anmerkungen gibt, wie man zu diesen Liedern gekommen ist. Originell sind auch die bisher vierzehn Miniaturen mit Liedern aus Sachsen: Mini-CDs, zum Teil als Postkarte mit Noten, liebevoll gestaltet vom Leipziger Grafiker Matthias Lehmann. Viel zu schade zum Verschicken.

Wie es mit der Mundart in Zukunft aussieht, ist ungewiss. Künstliche Intelligenz wird sie hoffentlich nicht verdrängen. Den Unfolkkommenen ist auf jeden Fall weiter ein treues, begeistertes Publikum zu wünschen.

www.unfolkkommen.de

 

Aktuelles Album:

Wintermond (Eigenverlag, 2022)

 

Videolink:

Youtube-Kanal: www.youtube.com/user/TheFraenker

 

Aufmacherfoto:

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