Gerade Folkmusikerinnen und -musiker profitieren beim Erzählen ihrer Geschichten oft von einer tiefen Verbundenheit mit dem Ort und den Traditionen, in die sie hineingeboren wurden. Andere finden sich auf ausgedehnten Reisen und verbinden sich dabei mit fremdartigen und doch vertrauten Klängen. Somi Kakoma lebt und arbeitet zurzeit in New York, wo sie während der letzten Woche ihrer Dreaming–Zenzile-Performance für ein Telefonat bereitsteht.
Text: Christoph Schumacher
„Ich bin sowohl Amerikanerin als auch Afrikanerin, da ich ja in einem afrikanischen Elternhaus aufgewachsen bin und die Hälfte meines Lebens auf dem afrikanischen Kontinent verbracht habe. Der größte Teil meiner Familie ist dort zu Hause, und ich besuche sie mindestens einmal im Jahr“, erzählt die 41-Jährige mit Wurzeln in Ruanda und Uganda. Das von Somi geschriebene und aufgeführte Musical Dreaming Zenzile, das auf Miriam Makebas Leben basiert, startete sein Off-Broadway-Debüt im New York Theatre Workshop im Mai 2022, koproduziert vom Apollo Theater, Octopus Theatricals und dem National Black Theatre. Das parallel dazu entstandene Album Zenzile: The Reimagination Of Miriam Makeba ist Somis fünftes Studiowerk und eine zutiefst persönliche Hommage an die afrikanische Musiklegende und Aktivistin.
„Bei diesem Projekt geht es darum, den enormen und unermesslichen Beitrag zu würdigen, den sie im Namen eines Volkes, eines ganzen Kontinents zur Pop-, Folk- und Jazzmusik geleistet hat. Dieses Projekt ist eine Reaktion darauf, dass sie auf die schwarze Liste gesetzt und ihre Stimme in den USA irgendwie anhaltend aus dem kollektiven Bewusstsein gelöscht wurde, als sie sich entschied, auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung den Black Panther Stokely Carmichael zu heiraten. Es soll ihren rechtmäßigen Platz im erweiterten Kulturarchiv der Vereinigten Staaten und der Welt im Allgemeinen einfordern.“ Fast ein bisschen bedauernd fügt Somi hinzu, dass wir dieses „Problem“ in Deutschland nicht hätten, da bei uns das Erbe Makebas auch aufgrund ihrer Popularität wohl mehr in Ehren gehalten würde.
In den siebzehn Songs des Albums erklingen eine Vielzahl von Stilen und Stimmungen, mit zahlreichen Instrumenten und Sprachen. „Seit ich denken kann, kenne ich Miriam Makebas Stimme. Dadurch habe ich das Gefühl, sie persönlich zu kennen. Sie ist vertraut und warmherzig, ein Kompass, eine Raumgestalterin und ein echter afrikanischer Superstar“, erklärt die Sängerin. Auf Zenzile fängt sie Makebas Geist und Überzeugung ein, während sie die Melodien für unsere Zeit modern überarbeitet. Es enthält Coverversionen charakteristischer Songs der Ikone aus Südafrika, etwa „Pata Pata“, „Hapo Zamani“, „Mbombela“ oder „Mabhongo“, sowie folkloristische Melodien von zeitloser Relevanz wie „Ring Bell, Ring Bell“, „A Piece Of Ground“ und „House Of The Rising Sun“. Somi wählte diesen Song aus, weil sie die Freundschaft zwischen Miriam Makeba und Nina Simone ehren wollte. Die beiden Sängerinnen waren eng verbunden und nahmen „House Of The Rising Sun“ unabhängig voneinander zur fast gleichen Zeit Anfang der Sechzigerjahre auf.
Bei einigen Titeln wird Somi von einer Reihe berühmter Kolleginnen und Kollegen aus der Diaspora begleitet. Mit den meisten ist sie auch freundschaftlich verbunden. „Nonqonqo“ präsentiert den Zulu-Gospelchor Ladysmith Black Mambazo, während „Jike’lemaweni“ gemeinsam mit Angelique Kidjo aus Benin eingespielt wurde, die ebenfalls für ihre anhaltende Verehrung Miriam Makebas bekannt ist. „Mabhongo“ enthält einen Gastauftritt des südafrikanischen Pianisten Nduduzo Makhathini, und „Khuluma“ lebt unter anderem vom Beitrag des ebenfalls südafrikanischen Singer/Songwriters Msaki. In „Milele“ erhält Somi gleich zweifache Unterstützung: einmal vom nigerianischen Star Seun Kuti, Sohn des großen Fela Kuti, und zum anderen von der südafrikanischen Dance-Music-Queen Thandiswa Mazwai. „Love Tastes Like Strawberries“ ist ein Duett mit dem Jazz- und Soulsänger Gregory Porter, einem ihrer Mentoren, auch um die vielen Duette zu ehren, die Makeba mit Harry Belafonte aufgenommen hat.
Somi gibt selbst zu, dass sie sich bei der Aufnahme des Albums damit konfrontiert sah, „die Unsicherheiten zu überwinden, dieses Projekt als Nicht-Südafrikanerin anzugehen, die kein Xhosa und keine der vielen anderen Sprachen spricht, in denen Mama Miriam sang“. Außerdem bestand die Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen der Ehrung der Ausnahmekünstlerin durch die Musik und dem Freiraum für ihren eigenen Sound zu finden, sowie die Notwendigkeit, die ausgewählten Lieder für eine Welt zu aktualisieren, in der sich seit Makebas Tod 2008 viele neue klangliche Dimensionen und Ideen entwickelt haben. „Dies ist mein erstes Album mit so vielen Songs, die von jemand anderem geschrieben wurden. Deshalb bezeichne ich das Ganze als eine Neuinterpretation ihrer Arbeit“, sagt Somi. „Unser Prozess erforderte, dass ich aus den Liedern heraustrat und mein Bestes gab, um sie zu meinen eigenen zu machen.“
Der Titel Zenzile bezieht sich auf Miriam Makebas wahren Vornamen und bedeutet auf Xhosa „du hast es dir selbst angetan“. Gelungen ist hier weit mehr als nur ein Zeugnis der umfassenden Kunst der verstorbenen Sängerin und Aktivistin. Somis tiefes Eintauchen in die Geschichte einer ihrer musikalischen Heldinnen führte schließlich zu einer intensiven fünfjährigen künstlerischen Auseinandersetzung mit interdisziplinärer Kreativität, während der sie mehrere Stipendien erhielt und zum Sundance Institute Theater Fellow ernannt wurde.
„Was von mir bei einem Studioalbum oder bei einem Theaterstück abverlangt und erwartet wird, ist sehr unterschiedlich und sehr spezifisch. Ich bin sehr stolz auf beide Projekte [Album und Musical; Anm. d. Red.] und die Gelegenheit, einer Frau Respekt zu zollen, die den Mut hatte, den Erwartungen der Menschen an eine afrikanische Frau entgegenzutreten und sich neu vorzustellen, wie wir in der Welt erscheinen sollen. Die Entstehung von Zenzile hat mir in vielerlei Hinsicht geholfen, als Künstlerin und als afrikanische Frau – besonders in diesen außergewöhnlichen Zeiten, in denen der Mut, unsere Geschichten zu erzählen, von größter Bedeutung ist.“
Videolinks:
- Trailer zu Dreaming Zenzile: www.youtube.com/watch?v=quh-iSnEtvc
- Somi mit der HR-Big-Band, 2020: www.youtube.com/watch?v=pBE9pU-mJwI
- Somi im Lincoln Center, New York, 2018: www.youtube.com/watch?v=rxFEu-lpvcQ
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