Nach sechs Jahren Pause präsentiert sich die englische Indiefolkband Stornoway mit einem beeindruckend reifen Comebackalbum auf der Höhe ihres Könnens.
Text: Guido Diesing
Mit Rot geht es los. Dick aufgetragenes, tropfendes Rot für die Sonne, dazu Hellblau, um auf der Leinwand den Horizont vor dem Auge erstehen zu lassen. Reines Gold, nadelförmig, wird zu Sonnenstrahlen. Wenn es zu düster wird, kann immer noch Weiß für Aufhellung sorgen. „Trouble With The Green“, das Eröffnungsstück des neuen Stornoway-Albums, mit dem sechs Jahre nach dem letzten Lebenszeichen der Band wohl niemand mehr gerechnet hat, thematisiert das Malen und die Wirkung von Farbtönen auf Stimmung und Psyche. Die Verbindung von Musik und Malerei, Tönen und Farben könnte treffender nicht ausgewählt sein. Zählten abwechslungsreiche Arrangements zwischen Indie, Songwriterpop und Folk schon von 2010 bis 2015 auf den ersten drei Studioalben zu den großen Stärken des Oxforder Quartetts, erreicht das Malen mit Klangfarben auf Dig The Mountain ein neues Level. Es ist detailverliebte Musik, die vor Einfällen strotzt und die Freude der Bandmitglieder über den Neustart greifbar macht.
„Wir hatten wirklich Spaß daran, dieses Album zu machen“, bestätigt Sänger und Songwriter Brian Briggs den Höreindruck. „Da war kein Druck, da wir es nur aus der Freude am Kreieren heraus gemacht haben, ohne einen echten Plan.“ Nachdem die Band nach der Abschiedstour 2017 in Freundschaft auseinandergegangen war, hatte der studierte Ornithologe in einem Moorgebiet in Wales als Naturschützer gearbeitet und keine Musik mehr gemacht, bis in der Coronazeit das gewisse Kribbeln wieder da war. Er begann, in seinem Schuppen an neuen Songs zu arbeiten. „Ich war fast schockiert davon, wie kraftvoll die Erfahrung war, in den kreativen Prozess zurückgezogen zu werden“, erinnert er sich. „Ich konnte es nicht stoppen. Und als meine Bandkollegen Jon [Ouin, Keyboard] und Oli [Steadman, Bass] wieder dazukamen und ihre eigenen Ideen einbrachten, klang es schnell wieder nach Stornoway. Ich schätze, es war einfach immer noch in uns, auch wenn wir die Instrumente für eine lange Zeit weggelegt hatten. Wir haben uns sehr schnell wieder hineingefunden. Es ist vielleicht wie Fahrradfahren – etwas, das man nicht verlernt.“ Aus der Originalbesetzung fehlte lediglich Schlagzeuger Rob Steadman, Olis Bruder, der inzwischen in den USA lebt. Bei Konzerten wird er von einem Sessionmusiker ersetzt.
„Musik ist wie Fahrradfahren – etwas, das man nicht verlernt.“
Ein gutes Beispiel für die versponnenen Ideen auf Dig The Mountain ist „Bag In The Wind“, in dem das Sample eines südafrikanischen Chors in eine Art Reggaegroove mündet, bis der Rhythmus auf halbem Weg ins Stolpern und schließlich vorübergehend zum Stillstand kommt, garniert mit zahlreichen Gesangsspuren und altmodischen Keyboards. Oder das Titelstück, in dem nach einem trägen Boogie-Intro Hacke und Schaufel als Percussion zum Einsatz kommen und sich später Blechgebläse zu Wort meldet. Hochkarätige Gastsänger wie Sam Lee, Fyfe Dangerfield von den Guillemots und die Chinesin Yijia Tu (bei einem Björk-Cover!) schenken dem Album zusätzliche anregende Akzente. Dass es so viel zu entdecken gibt, ist auch ein Verdienst von Produzent und Toningenieur Mike Lindsay. „Er ist jemand, mit dem ich schon lange einmal arbeiten wollte, der an vielen Alternative-Folk-Alben mitgewirkt hat mit Leuten wie Laura Marling oder Tunng“, erklärt Briggs. „Er hatte großen Einfluss auf den Sound des Albums, hat beim Mischen mutige Entscheidungen getroffen und bestimmte Details viel stärker herausgestellt, als wir es uns wahrscheinlich getraut hätten. Damit hat er viel zur Verspieltheit des Albums beigetragen.“
Grundsätzlich hat Brian Briggs nichts dagegen, unter dem Genre Indiefolk einsortiert zu werden. „Es ist alternative Musik, definitiv kein Mainstream. Auf jedem Album versuchen wir, neue Dinge einzubauen und neue Richtungen einzuschlagen. Ich denke, das meiste fällt schon ins Indiefolkgebiet.“ Mit Folk aufgewachsen ist er nicht. „Erst später, an der Universität, habe ich Künstler wie Bert Jansch und Jackson C. Frank entdeckt. Diese Welt kennenzulernen, war eine großartige Erfahrung. Und es hat einen Einfluss auf unsere Musik, wenn auch wahrscheinlich noch mehr durch meine Bandkollegen, die größere Fans sind, als ich es bin. Es gab immer bestimmte Songs auf unseren Alben, die sich mehr an die Tradition anlehnen, aber es war nie der wichtigste Einfluss auf unsere Arbeit.“
Dass Stornoway trotzdem Folkflair ausstrahlen, liegt neben der prominent eingesetzten akustischen Gitarre zu einem großen Teil an ihrer Vorliebe und ihrem Talent für Harmoniegesang, der schon bei der Entstehung der Stücke eine wichtige Rolle spielt, wie Briggs seine Arbeitsweise erläutert. „Ohne die Bandkollegen benutze ich oft meine Stimme, um die Klänge zu erschaffen, die ich mir vorstelle, und gestalte so die Parts, die dann später die Instrumentalstimmen werden. An manchen Stellen haben wir am Ende die Vokaleffekte einfach behalten, weil sie interessant klangen. Ich habe Harmoniegesang und das Schreiben von Gesangssätzen immer genossen.“
Für die Zukunft arbeitet die Band an Konzepten, nachhaltiges Handeln in der Musikwelt voranzubringen. Merchandiseartikel aus recycelten Materialien und T-Shirts aus biologisch angebauten Stoffen sind ein Anfang. Touren mit Elektrofahrzeugen ein Ziel. „Wir denken viel darüber nach. Wir sprechen mit unserem Publikum über die Natur und versuchen, die Kraft der Musik dazu zu nutzen, Interesse daran zu wecken.“ Die Rückkehr zum Profitum ist dagegen kein Thema: „Wir haben alle unsere anderen Aktivitäten, die wir lieben, und haben uns bewusst dafür entschieden, zu diesem Zeitpunkt keine Vollzeitmusiker sein zu wollen. Wir wollen nicht, dass die Band etwas wird, bei dem es in erster Linie ums Geld geht. Ich denke, das ist genau die Freiheit: keine andere Motivation zu haben als die Freude daran, wieder zusammen Musik zu machen. Ich hoffe, wir können uns das bewahren.“
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Aktuelles Album:
Dig The Mountain (Cooking Vinyl, 2023)
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