Chico César
Vestido De Amor
(Zamora Label/ Good to go)
Brasilien/ MPB
Inzwischen muss man es wie gesagt schon als „erstaunlich“ bezeichnen, wenn ein großer brasilianischer Musikstar in Deutschland promotet wird. Aus Brasilien kamen zuletzt bei großen Namen meist nur noch Reissues. „Vestido De Amor“ – In Liebe gekleidet – nennt der Brasilianer Chico César sein Album als Antwort auf die in Hass gekleidete Politik des Bolsonaro-Systems. Entsprechend beschreibt er im Song „Bolsominions“ die evangelikalen Bolsonaro-Fans mit ihrem Hass gegen Arme, Schwarze, Indigene und Homosexuelle als „Dämonen, die aus der Hölle kommen“. Deutliche Worte, die ihm gewiss erneut Shitstorms und Morddrohungen einbringen werden. (Zur Erinnerung: „Minions“ sind Figuren aus Animationsfilmen mit dem Ziel, den schrecklichsten Schurken der Geschichte zu dienen. Passt doch!) Außerdem besticht dieser durchaus fröhliche Reggaesong mit einem irren Solo auf der Kora (von Sekou Kouyaté), womit wir beim zweiten Aspekt des Albums sind.
In Brasilien gibt es manchmal die Auffassung, die eigene Musik sei derart afrikanisch geprägt, dass es sich erübrige, mit afrikanischen Musikern zusammenzuspielen. Das macht César genau anders. Er lud Sänger Salif Keita und den Pianisten Ray Lema als Gäste ein und deren Beiträge sowie das Koraspiel färben die Musik auf eine Weise afrikanisch ein, die man in Brasilien kaum hört. Ansonsten glänzt das Album durch Abwechslungsreichtum von Synthiepop über Balladen zu Forró, Axé oder Reggae, immer mit afrikanischen Klängen verbunden.
Tiken Jah Fakoly
Braquage De Pouvoir
(Chapter Two Records/ Wagram Music)
Reggae/ Frankreich, Elfenbeinküste
Während der Lateinamerikaner Chico César afrikanische Klänge einbezieht, widmet sich der Afrikaner Tiken Jah Fakoly voll und ganz dem lateinamerikanischen Genre des Reggaes, und das seit drei Jahrzehnten. Fakolys Reggae ist straighter Roots Reggae ohne große Schnörkel. Das leichte Autotuning beim Gesang ist dabei der einzige, dennoch sehr verzichtbare Schnörkel. Mit César vereint Fakoly neben dem Einsatz der Kora, ebenfalls in Paris produziert zu haben. Gesungen wird auf Englisch und Französisch. Inhaltlich geht es um die obligatorische Anprangerung der Spätfolgen des Kolonialismus der Franzosen, was niemand allerdings daran hindern dürfte, ausgiebig dazu zu tanzen. Auch Fakoly bemüht sich um Abwechslung. „Cava Aller“ wirkt wie ein in Reggae verwandeltes Griotlied, „Farana“ zeigt Momente des Ska und der gelungenste Titel „Don’t Worry“ ist ein Calypso, bei dem Amadou & Mariam mitsingen. Man sollte in Sachen Reggae eben öfters mal nach Afrika schauen.
Joyce with Mauricio Maestro
Natureza
(Far Out Recordings)
Brasilien/ MPB
Stararrangeur Claus Ogerman produzierte 1977 für die damals noch junge brasilianische Sängerin Joyce dieses Album. Es hätte der Beginn einer Weltkarriere sein können, munkelt man, weil Ogerman schon Alben mit Tom Jobim und João Gilberto zu Klassikern machte. Auch die Besetzungsliste ist mit Nana Vasconcelos oder Michael Brecker vom Feinsten, aber Joyce‘ Album wurde nie veröffentlicht. Dazu gab es mehrere Gründe. Joyce wurde schwanger und konnte Brasilien für eine Endabmischung nicht verlassen. Ogerman wollte zudem alternative englische Texte für den US-amerikanischen und internationalen Markt aufnehmen und der damalige Brasilien-Hype war vorbei, bevor man wieder ins Gespräch kam. Das Stück „Feminina“ – ein Dialog zwischen Mutter und Tochter wurde dennoch bekannt und untermauerte Joyce‘ Ruf, als Erste in Brasilien weibliche Perspektiven in den Mittelpunkt der Texte gestellt zu haben.
Jetzt ist das Album nach 45 Jahren veröffentlicht worden. Man mag allerdings zweifeln, ob es je den anvisierten Effekt gehabt hätte. Es wirkt trotz der verdienstvollen Arrangements von Ogerman uneinheitlich und unfertig. Joyce‘ Kollege Mauricio Maestro hatte vier Titel komponiert und davon selbst zwei gesungen ohne große Beteiligung von Joyce. Da diese recht belanglos, ja sogar altbacken wirken, erweisen sie sich hier als Fremdkörper. Bei den meisten anderen Titeln, insbesondere aber auch „Feminina“, hätte man wesentlich früher ausblenden können. Es wird endlos improvisiert, ohne dass viel Neues passiert. Die durchaus lebendigen Titel wirken so irgendwann plattgewalzt. Vielleicht war es tatsächlich nicht ein unveröffentlichtes, sondern eher ein unfertiges Album.
Gerdo Sintrenza
Babuchas De Seda Granate
(Frau Batz Records/Indigo)
Hispano Pop
Was macht man, wenn man einen bekannten Namen hat und einmal ganz etwas anderes machen möchte? Man wechselt seinen Namen und singt, was einen eben auch noch so interessiert. So geschehen bei Gerd Knebel, den man gemeinhin als eine Hälfte des hessischen Comedy-Duos „Badesalz“ kennt. Knebel hat sich anscheinend so sehr in die spanische Sprache verliebt, dass er nicht anders konnte, als es selbst mit spanischem Pop und Rock zu versuchen. Und als Glatzkopf passt dann auch ein anderer Name besser: Gerdo Sintrenza – Der Gerd ohne Zopf. Herausgekommen ist eine Musik, die einerseits radiotauglich klingt, andererseits am besten wirkt, wenn Señor Gerdo auf sanft macht. Das passt am ehesten zu seiner Stimme. Wer Alex Cuba kennt, weiß ungefähr die Richtung. Dass hier kein Muttersprachler singt, spielt heutzutage keine Rolle mehr. Das Augenzwinkern hat Gerdo wohl auch nicht verlernt, wie der Titelsong vermittelt, in dem eine Dame lieber kastanienbraune Pantoffel als ein Luxusauto geschenkt bekommen möchte. Ei, so was awwer aach!
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