Nördlich des Weißwurstäquators ist bairische* Volksmusik vielen weniger bekannt als irische, obwohl sie geografisch deutlich näher liegt. Sicher haben viele nicht aus Bayern stammende Menschen auch eine stereotype Vorstellung von ihr, geprägt durch die volkstümliche Musik. Möglicherweise deswegen war die Harmonie in Bonn-Endenich mit etwa 150 Personen nur ganz locker gefüllt. Auch der vielleicht die Erwartungen steigernde Begriff der „Alpinen Volxmusik“ mit eben dem modernisierenden x im Namen der Veranstaltung änderte daran nichts. Ungeachtet dieser innerdeutschen gegenseitigen Unbekanntheit, wagte es Organisator Wolfgang Koll, drei sehr unterschiedliche Acts aus Oberbayern und der Oberpfalz zu einem gemeinsamen Konzert ins Rheinland einzuladen.
Text und Fotos: Michael A. Schmiedel; Aufmacherfoto zeigt Maxi Pongratz
Das Konzert begann ganz leise, indem auf der Bühne ein Mann mit Wollmütze eine Gitarre stimmte, die er dann wieder zur Seite stellte. Es war aber kein Roadie, sondern bereits der erste Künstler des Abends, der sich mit leiser Stimme und ein wenig stotternd – wenn er aufgeregt ist, „verhaschpelt“ er sich oft, wie er erklärte – als Maxi Pongratz vorstellte und dann statt zur Gitarre zum Akkordeon griff. Das Mitglied der derzeit inaktiven Kultformation Kofelgschroa kündigte sich selbst als „Einmannband“ an, der eine „Dreimann-“ und eine „Sechsmannband“ folgen sollten, verglich das mit der exponentiellen Steigerung bei der Coronaansteckung, erklärte aber auch, dass Zahlen nicht so seine Welt seien. „I fang jetzt o“, sagte er schließlich, und begann mit seinem Lied „Des wos war“, in welchem er darüber sinnierte, dass Erinnerungen oft so viel schöner seien als die Gegenwart.
Die Fexer
Fünfzig Minuten lang gab er weitere Lieder zum Besten, kritische, liebevolle, skurrile Geschichten vom Leben, vom Alltag, von Religion, von der Endlichkeit – und „verhaschpelte“ sich dabei gar nicht, sondern zeigte sich gar als Wortakrobat. So erklärte er anhand eines Zollstocks, wie hoch die Lebenserwartung bei regelmäßiger Wartung sei, dass er selbst „a gschlamperts Lem“ habe ohne Ordnung und System und sang zungenbrecherisch „Bladl vom Bam, Madl im Bam, Bladl vom Bam, Madl im Bam“ in Erinnerung an eine Liebschaft im Herbst. Zwischendurch wechselte er mal zur Gitarre oder spielte auf dem Akkordeon ohne Gesang einen Walzer, der einem Bal Folk zur Ehre gereicht hätte. Kaum weniger wichtig als die Musik waren die Erklärungen zwischendurch, wie die, dass er aus Oberammergau stamme, wo er als Vier-, Zwölf- und Zwanzigjähriger bei den Passionsspielen mitgemacht habe und sie als Kinder todernst auf dem Schulhof die Geißelung Jesu nachgespielt hätten. Oder die, dass er in Altötting auf die Musikschule gegangen und lieber krank gewesen sei, als den Chor zu dirigieren.
War dieser erste Act immerhin aus dem Voralpenland, kam der zweite aus Berngau in der Oberpfalz: die Fexer. Als Ableger – denn das bedeutet das mundartliche Wort „Fechser“, das sie, „weil es cooler ausschaut“, mit x schreiben –, der Berngauer Blaskapelle hatten sie standesgemäß Blechblasinstrumente dabei, und zwar Alex Schumann eine Trompete, Sophie Barth – „die Rose zwischen den Dornen“, wie ihr Bruder Daniel sie vorstellte – ein Flügelhorn und besagter Daniel Barth eine Tuba. Bekleidet waren die Burschen mit Hosenträgern, Fliegen und Schieberkappen, das Madl mit kurzem Kleid. Zum ersten Mal in der bereits neunzehnjährigen (!) Bandgeschichte der Mittzwanziger spielte das Trio in Nordrhein-Westfalen, und die drei bliesen dem Publikum ordentlich ein. Vor allem die Trompete klang oft schneidend grell wie bei südosteuropäischer oder mexikanischer Musik, die sanften Töne des Flügelhorns und die tiefen der Tuba wirkten dem aber immer wieder besänftigend entgegen. Das Repertoire reichte von Boarischen über Balkanpolkas und „Kalinka“ bis zu modernen Popsongs etwa von Abba oder Sting, deren Refrains sie auch auf Englisch sangen, um dadurch zum Mitsingen zu animieren. Das Bonner Publikum wurde von dieser Mischung gut abgeholt und wippte und sang kräftig mit.
Heischneida
Um schließlich bei Heischneida aus Traunreut im oberbayerischen Chiemgau – also wieder näher an den Alpen – regelrecht zu eskalieren. Die sechs Musiker begannen mit dem Rücken zum Publikum und harten Drumbeats ein Lied über sich selbst – Vali Thanbichler an Gitarre und Gesang, Simon Pfäb an der Trompete, Frontsänger Wenz Kargen, Tobi Geschka am Schlagzeug, Chris Maier an Gitarre und Akkordeon und Julian Wittek am Bass. Ihr Repertoire aus Rap, Hip-Hop, Ska und Rock hat mit bairischer Volksmusik im engeren Sinne weitgehend gar nichts zu tun, mit „Volxmusik“ aber vielleicht schon. Die Trompete spielte immer wieder ruhige Töne in die heißen Rhythmen, und vor allem sang und rappte Wenz in mal tiefstem, mal schrillstem Bairisch und moderierte ebenso ihre Show. Indes war sein schneller Gesang für rheinische Ohren schwer verständlich, außer beim Lied über die „Busheisljugnd“, das Jugendliche besingt, die sich an der Bushaltestelle zum Hip-Hop-Hören treffen. Nachdem er darüber lamentiert hatte, dass es auch nach dem Faschingsdienstag (er lernte dabei das für ihn neue Wort „Veilchendienstag“ kennen) noch Krapfen (Berliner) zu kaufen gebe – „Des hot’s frier net gebn!“ –, meinte er, könne man auch nach Aschermittwoch noch eine Polonaise tanzen. Und schon zog er fast das ganze Publikum hinter sich her durch den Saal. Die Leute hätten sicher noch die ganze Nacht durchgemacht!
Gruppenfoto mit Maxi Pongratz, Die Fexer, Heischneida
Auf den Hinweis, es gebe doch noch mehr alpine Länder als nur Bayern, meinte Wolfgang Koll: „Das kann man ja noch ausbauen.“ Ja, gerne!
* Dialekt in Altbayern (Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz) und großen Teilen Österreichs sowie in Teilen Tschechiens, Italiens und der Schweiz.
www.maxipongratz.com
www.die-fexer.de
www.heischneida.de
www.harmonie-bonn.de
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