Foto oben: Das Podium bei der Diskussion „Zustand und Perspektiven des Deutschfolk 2.0“ beim Rudolstadt-Festival 2022, v. l. n. r.: Ralf Gehler, Vivien Zeller, Harald Haugaard, Peggy Luck, Tim Liebert, Gudrun Walter, Mike Kamp_Foto: Wolfgang Leyn
Deutschfolk ist wieder da! Das ist die Botschaft, die die DeutschFolk-Initiative (DeFI) beim Rudolstadt-Festival propagierte. In einer Veranstaltung mit sechs zentralen Akteurinnen und Akteuren (von Tim Liebert über Gudrun Walther bis Vivien Zeller) wurde über „Zustand und Perspektiven“ von Deutschfolk diskutiert.
Text: Christian Rath
Die erste Deutschfolk-Welle wurde in den Siebzigerjahren verortet, mit Bands wie Fiedel Michel, Elster Silberflug, Zupfgeigenhansel und Liederjan im Westen oder Folkländer und Wacholder im Osten. Eine kleine zweite Welle (die in Rudolstadt „Revivalchen“ genannt wurde) gab es um 2006 herum mit Alben von Deitsch, Bobo und Schöneweile. Und nun baue sich die dritte Welle auf.
Als ein Auslöser gilt die Entdeckung der Tanzsammlung der Küsterfamilie Dahlhoff aus Westfalen vor einigen Jahren, wobei Vivien Zeller (TradTöchter) betonte, dass es zuvor schon rund fünfzig andere deutsche Notenhandschriften gab. „Die Dahlhoff-Sammlung ist aber die umfangreichste“, entgegnete Gudrun Walther (Deitsch).
Gudrun Walther_Frank Szafinski
Das neue deutsche Repertoire spiele bei jungen Folkmusikerinnen und -musikern bereits eine große Rolle, hat Zeller beobachtet. „Beim Windros-Festival in Schwerin gab es drei Tage lang Sessions, ausschließlich mit deutschem Repertoire“, so die Berufsmusikerin und Instrumental- und Tanzlehrerin.
Neu ist jedenfalls die organisatorische Vernetzung in der DeutschFolk-Initiative, die sich unter dem Dach des Lobbyverbandes PROFOLK gegründet hat. An einem digitalen Folkstammtisch können alle Interessierten teilnehmen. Im ersten Coronalockdown 2020 organisierten Gudrun Walther und andere das ebenfalls digitale Sang und Klang Festival. Inzwischen gibt es ein jährliches Deutschfolkfestival mit der nächsten Ausgabe vom 22. bis 24. September in Frankfurt/Oder.
Wichtig für das Selbstverständnis der dritten Deutschfolk-Welle ist vor allem ihre betont unpolitische Haltung. Während die erste Welle klar links beziehungsweise alternativ positioniert war, verzichten viele Aktive der dritten Welle ausdrücklich hierauf. „Ich habe keine große Botschaft, sondern nur ein ‚Ach, ist das schön!‘“, sagte Tim Liebert (Hüsch!). „Die Jugend unter dreißig geht unverkrampfter ran, weil sie in der Schule nicht mehr so doll mit der Schuldkeule bearbeitet wurde“, erklärte Vivien Zeller. „Die spielen, weil es schön ist, nicht, weil es politisch was bedeutet.“
Harald Haugaard _Frank Szafinski
„Ich habe keine große Botschaft, sondern nur ein ‚Ach, ist das schön!‘“
Nur die Liedermacherin Peggy Luck, die die Veranstaltung moderierte, versuchte eine neue politische Verortung. „In Zeiten der Klimakrise gehört Folkmusik als regional gewachsene Landschaftsmusik für mich ganz eng zum Thema Nachhaltigkeit, Stichwort Postwachstumsmusik.“ Sie stellte auch fest, dass die Szenen von Liedfolk und Instrumentalfolk noch wenig gemeinsam haben.
Natürlich forderten die zentralen Personen der neuen Welle mehr Unterstützung. Anders als etwa in Norwegen oder Schottland fördere der deutsche Staat die heimische Folkmusik überhaupt nicht, kritisierte folker-Herausgeber Mike Kamp. Nur Ralf Gehler, der für das Windros-Festival vom Land Mecklenburg-Vorpommern 20.000 Euro bekommt, zeigte sich zufrieden.
Gudrun Walther appellierte aber auch an die Folkszene: „Deutschland ist das einzige Land, in dem die Headliner von Folkfestivals nicht aus dem eigenen Land kommen.“ Vivien Zeller forderte zudem den folker auf, mehr über unbekanntere deutsche Bands zu berichten, um diese so zu „protegieren“.
Vivien Zeller_Adam Berry
„Deutschland ist das einzige Land, in dem die Headliner von Folkfestivals nicht aus dem eigenen Land kommen.“
Mit auf dem Podium war der dänische Geiger Harald Haugaard, der in Rudolstadt ein umjubeltes Deutschfolkkonzert („Flug der Liebe“) mit sieben deutschen Musikerinnen und Musikern aus dem Folk- und Jazzbereich organisiert hatte. Er beschrieb, wie in Dänemark wichtige Folkimpulse „ganz anarchistisch“ von der Jugend kommen. „Seit 1996 gibt es jedes Jahr ein einwöchiges Happening, bei dem rund zweihundert junge Leute rund um die Uhr miteinander Musik machen“, sagte er. Die rund zwanzigköpfige Organisationsgruppe werde jeweils für das nächste Jahr neu gewählt.
Peggy Luck_Enna Bloom
Davon waren alle Teilnehmenden der Diskussion in Rudolstadt begeistert. Gudrun Walther warnte jedoch davor, sich zurückzulehnen und zu warten, bis sich die Jugend selbst organisiert. „Es reicht nicht zu sagen: Wir waren da, ihr hättet uns hören können.“ Es müsse zunächst auch Kurse geben, die sich gezielt an junge Folkmusiker und -musikerinnen wenden. „Das ist der Job, den wir zuerst noch erledigen müssen, bevor wir die Jugend machen lassen.“
Das Interesse der Jugend an der Veranstaltung im halb gefüllten Veranstaltungssaal der Rudolstädter Bibliothek war freilich noch sehr überschaubar.
Tim Liebert_Henryk Schmidt
Stellungnahme von Vivien Zeller zur Diskussion, die auf facebook entstanden ist:
Da der Begriff „Schuldkeule“ in den sozialen Medien zu Mißverständnissen geführt hat, möchte ich gerne kurz dazu Stellung nehmen.
Ich habe diesen Begriff nicht in der von rechts gerichteten Gruppen genutzten Bedeutung, nämlich, dem Wunsch die deutsche Verantwortung am Faschismus, Weltkrieg und Holocaust zu verharmlosen verwendet, und distanziere mich von dieser Bedeutung und denen, die sie verwenden. Ich kenne den Begriff nur aus dem Bereich der Psychologie.
Worum es mir geht ist, einen Teil der deutschen Kultur wieder lebbar zu machen, die nichts mit Faschismus und Krieg zu tun hatte.
Traditionelle Musik aus Deutschland geht Jahrhunderte weit zurück und gerade die Tanzmusik wurde wenig vom Hitler-Regime zur Deutschland-Verklärung genutzt, und so ideologiefrei sollte sie auch behandelt werden. Trotzdem haben etliche Menschen Sorge per se zu Nazis zu werden, wenn sie sich mit dieser Musik beschäftigen oder ein deutsches Volkslied singen.
In meinem Beitrag ging es mir darum, dass der Weg der neuen Musiker*innen-Generation, bei voller Geschichtsbewusstheit, heute unbeschwerter und unvoreingenommener ist und dadurch eine Beschäftigung mit unserer Jahrhunderte alten Kultur wieder möglich wird. Das sehe ich als Chance. Wir können das Deutschfolk Revival nutzen, um unbefangener unsere traditionelle Musik zu spielen und zu Unserem zu machen, anstelle sie den neuen rechten Bewegungen für ihre Zwecke zu überlassen.
Nichtsdestotrotz gibt es Tänze und Lieder, die während der Nazizeit dem damaligen deutschen Bild entsprechend genutzt, bearbeitet oder neu geschaffen wurden. Diese gilt es unbedingt kritisch zu betrachten und zu benennen.
Die Deutschfolkinitiative steht für eine weltoffene Gesellschaft und distanziert sich ausdrücklich von jeglichem rechten Gedankengut.
Vivien Zeller
„Ich habe keine große Botschaft, sondern nur ein ‚Ach, ist das schön!‘“
Gut so Tim, 👍dass lässt einen ja wieder Hoffnung schöpfen.
Fränker
Was ist politisch?
Wann ubd womit ist man politisch?
Was ist unpolitisch?
Wann und womit ist man unpolitisch?
Ist das die richtige Frage nach politisch oder unpolitisch?
Geht unpolitisch überhaupt und zwar zu jeder Zeit?
Nur einfach Musik machen und sich erfreuen. Dann sing ich alte und neue Lieder. Ob Mittelalter, waren die nicht politisch – zumindest gesellschaftsabbildend, witzig und kritisch. Es muss ja nicht gleich ne Botschaft werden. Ein Augenzwinkern würde mir reichen.
„Ach, ist das schön“?
Und ihr meint das reicht.
Na wenn ihr meint.
Mir reichts nicht.
Was ich an einer Folkszene vermisse ist musikalische Kreativität. Ständig werden alte Noten herausgekramt, alte Muster zum tausendsten Male wiederholt. Das nennt man im Popbereich Covermusik. Muss Folk unbedingt traditionell sein? Sicher kann. Was würde denn deutsche Folkmusik kennzeichnen? Das angloamerikanische Element, dass ja bewusst aufgenommen wurde, um sich von Volksmusik abzugrenzen? Mittelalterliche Elemente, die bilden ja inzwischen ein eigenes Genre ab? Muss es unbedingt tanzbar sein, oder der Schwerpunkt auf einem Text liegen, sei ernst oder leicht? Spielt das Volkstümliche eine Rolle? Da sind wir wieder bei Tradition. Innovative Bands haben es schwer, wollen sie sich nicht gängigen Hörmustern anbiedern. Ich rede beispielhaft von unserer eigenen Band. Man höre sich nur zum Vergleich mal, die Gedichtvertonung zu „Neue Liebe, neues Leben“ von Zupfgeigenhansel und Goldvogel an. Ich möchte hier keinen qualitativen Vergleich anstreben. Sondern nur auf die angesprochenen Merkmale beispielhaft hinweisen…😉 Dennoch gibt es Hoffnung, das zeigen Bands wie: Bube Dame König, Dhalias Lane oder Fior!
https://open.spotify.com/track/4EsEbFamp6Ymzh5h7q3M9e?si=uu_lEBw1RbqViEgy6hrYhw
https://open.spotify.com/track/2uQ9V5spOcy2YkMtQqQAzz?si=8OqDehdlRwGHk1rBru0F8g
Ich kann das sehr gut nachempfinden und möchte zu den genannten Bands noch (völlig uneigennützig) meine Band ZiRP hinzufügen 😉 Wir lassen uns zwar von traditioneller Tanzmusik inspirieren, schreiben aber eigene Kompositionen und mischen das mit unterschiedlichsten Elementen und Stilen – heraus kommt „Fusion Folk“. Leider sitzt man hierzulande mit solcher Instrumentalmusik so ziemlich zwischen allen Stühlen. Für die Folkies und zum Tanz ist das dann oft schon zu laut und „experimentell“, für alle anderen Bereiche fehlt der Gesang und die „Geradlinigkeit“.
Ich bin großer Fan von traditioneller Musik aus alten Quellen und schätze die Aufarbeitung sehr, die hierzulande in den letzten Jahren von sehr engagierten Leuten nachgeholt wurde. Trotzdem wäre es schön, wenn auch andere Ansätze ein Podium oder eine Förderung finden würden und das sehe ich z.B. beim Folker oder auch in Rudolstadt nicht so sehr. Liebe Grüße, Stephan
ZiRP – Circle Divine:
https://open.spotify.com/album/2ij2IH2oZhOspvu36QJdin
Ein Aspekt an der Diskussion zur Neubelebung des Deutschfolks scheint seltsamerweise bisher niemandem aufgefallen zu sein: das eklatante Nord-Süd-Gefälle. Alle mir bekannten Initiativen finden im Norden und in der Mitte statt. Hier dürfte auch der Bedarf bzw. die Not am größten sein. Dagegen gibt es im Süden, insbesondere in Bayern und Österreich eine sehr vitale Musikszene, die die ganze Bandbreite von traditioneller Volksmusik bis zu experimentellem Tradimix abdeckt. Das hat sicherlich mit kontinuierlicher staatlicher Förderung seit dem 19. Jahrhundert zu tun. Insofern kann ich die angesprochenen Forderungen für die nördlichen Länder nur unterstreichen. Das Problem dürfte allerdings das fehlende politische Bewusstsein sein. Die momentanen Aktivitäten stellen aber sicherlich schon mal einen guten Einstieg dar und auch das Argument der (kulturellen) Nachhaltigkeit könnten ja vielleicht auch manche Grünenpolitiker interessant finden…
Abschließend möchte ich aber darauf hinweisen, dass es zwischen Nord und Süd auch zwei geniale Brückenbauerinnen gibt (ich hoffe natürlich, dass es noch viel mehr davon gibt): Vivien Zeller und Gudrun Walther (mit ihrer Gruppe Deitsch), die fleißig zwischen den beiden Welten pendeln und so Musik und Menschen miteinander vernetzen.
Pardon, natürlich ist auch Jan Budweis ein Brückenbauer mit seinen Workshops in Oberbayern und Tirol!