Eigentlich war es eine kleine Sensation, dass Marcos Valle, der große brasilianische Sänger und Pianist, mehrere Termine in Deutschland wahrnahm, denn nach der Pandemie mit katastrophalen Folgen für den lateinamerikanischen Musikmarkt war kaum damit zu rechnen, dass überhaupt jemand aus Brasiliens Musikszene so schnell wieder in Deutschland auftauchen würde. Zu spärlich waren schon in den letzten Jahren vor dieser schwierigen Zeit Abstecher Musikschaffender des Landes nach Deutschland gewesen, das bei Tourneen zumeist ausgelassen worden war.
Text und Fotos: Hans-Jürgen Lenhart
Gründe für Valles Kommen waren einmal sein achtzigster Geburtstag und zum anderen sein sechzigjähriges Bühnenjubiläum. Da wollte er es wohl noch einmal wissen. Und vorneweg gesagt: Musik scheint jung zu halten – der Musiker wirkte eher wie ein Mittvierziger. Einen weiteren Grund gab es noch: Valle hat deutsche Wurzeln und daher einen stärkeren Bezug zu Deutschland als andere brasilianische Stars. Des Weiteren veröffentlichte das Label Far Out Recordings gerade sein wegweisendes Album Nova Bossa Nova von 1998 neu, das mit dem Einsatz von programmierten Beats zum Vorbild für Brazilectro und zeitgemäßen Brazil Jazz wurde.
Marcos Valle gehört zur zweiten Generation der Bossa Nova mit Kollegen wie Eumir Deodato oder Airto Moreira. Im Konzert machte der Meister das, wofür er bekannt ist, mischte brasilianische Rhythmik mit Jazzimprovisationen, Funk- und Discorhythmen. Während die Melodik in ihrer Coolness hörbar aus der Bossa Nova kommt, macht Valle daraus eine tanzbare Musik. Natürlich bot er eine Best-of-Show, inklusive seines Megahits „Summer Samba“, den auch Leute kennen, die nichts mit brasilianischer Musik am Hut haben.
Seine Musik vereinnahmt einen erst allmählich. Sie ist weit entfernt von Sambachören und Trommelorgien, lässt einen aber trotz aller Relaxtheit zunehmend den Rhythmus spüren. Werden die Stücke funkiger, schleicht sich ein Discobeat ein oder tobt sich Valle an den Fender Rhodes aus, dann steigert sich die Wirkung. Auch die synchronen, textlosen Gesänge mit seiner italienischen Frau Patricia Alvi offenbaren genau die Charakteristik brasilianischer Musik: Es gibt nicht den eindeutigen Unterschied zwischen traditionellem Stil, Jazz und Pop.
Aufgrund der Tatsache, dass die Liebhaber der Música Popular Brasileira mit ihren Stars hierzulande alles andere als verwöhnt sind, bekommen solche Konzerte leider nicht die gebührende Aufmerksamkeit. Insofern hätte es mehr Publikum sein können. Die Stimmung war dennoch allein schon wegen der vielen brasilianischen Fans im Publikum mitreißend.
Brazilectro, die Verbindung von brasilianischer mit Clubmusik, machte vor rund fünfzehn Jahren eine jüngere Generation wieder auf die fast vergessene Bossa Nova aufmerksam. Marcos Valle kann als ein Vorläufer dieses Stils betrachtet werden. 1994 hatte Joe Davis, Chef des englischen Far-Out-Labels, Valle zu sich und ihn damit aus der Versenkung geholt. Es war genau der richtige Moment gewesen, als die Acid-Jazz-Bewegung in London zu einer neuen Nachfrage nach brasilianischer Musik auf den Tanzflächen geführt hatte. Und dass die auf Brasilien spezialisierte Plattenfirma sich mit Valle endlich auch in die deutsche Konzertszene gewagt hat, war schon lange überfällig gewesen.
www.faroutrecordings.com/collections/marcos-valle
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