Mit der Fiddle nach Wacken

Alternative zur harten Schiene: Folk und Folkrock auf dem populären Metalfestival Festivalgelände, Wacken, 31.7.-3.8.2024

20. September 2024

Lesezeit: 4 Minute(n)

Wacken, Sommer 2024. Wie jedes Jahr rund um den 1. August pilgerten Tausende von Musikfans in das weltweit bekannte 2.100-Seelen-Dorf. 85.000 Eintrittskarten waren verkauft, auch Ausstellende und Mitarbeitende gehen zu den Konzerten. Manche Medien beschreiben das sechstägige musikalische Geschehen mit Worten wie „dröhnende Bässe, kreischende Gitarren und gewaltige Trommel-Einlagen“. So einseitig aber geht es dort gar nicht zu.
Text und Fotos: Harald Keller

Bei den Folk Dandies beispielsweise dröhnen weder das Banjo, die E-Gitarre mit Huckepackverstärker noch die Tuba oder das Arsenal an Percussioninstrumenten, das sich Fabian Beghin vor den Bauch geschnallt hat. Das belgische Steampunk-Folk-Quartett absolvierte auf dem diesjährigen Wacken Open Air (W:O:A) Bühnenauftritte und war als Walking Act unterwegs. Inzwischen kennen sie das W:O:A aus Erfahrung. Beim ersten Mal, so Trommler Beghin, „hatten wir ziemliche Angst … Wir dachten, dass das Publikum unsere Musik hassen und uns lächerlich finden würde. Aber weit gefehlt …“ Mittlerweile haben sie treue Fans, wurden sogar einmal unter die drei beliebtesten Bands des Festivals gewählt. Mit einer Musik, die ohne Verstärkertürme auskommt, mit irisch-schottischem Folk und Bluegrass. „Whiskey In The Jar“ oder „Dirty Old Town“ gehören zum Repertoire. Die Zuhörenden tanzen und singen mit.

Folk Dandies

Die Grevener Habenichtse in der Besetzung Gitarre, Bass, Schlagzeug, Akkordeon verstehen sich erklärtermaßen als Folkband, füllen aber nach eigener, schelmisch gefärbter Aussage „gerne die Schnittmenge aus Metal, Mittelalter, Folk und guter Stimmung“. Sie gaben in diesem Jahr ihr Wacken-Debüt. Das Publikum stand dicht an dicht, jubelte ab der ersten Note. Roderik Habenichts alias Uwe Höpner: „Wir waren völlig überwältigt … Das übertraf all unsere Erwartungen – so richtig verarbeitet haben wir das bis jetzt noch nicht. Das wird für immer ein besonderer Moment für uns sein.“

Musik dieser Art erfreut sich auf Mittelaltermärkten großer Beliebtheit und hat, wohl deshalb, das Etikett „Mittelalterfolk“ oder auch „Mittelalterrock“ abbekommen, obgleich viele musikalische Einflüsse aus ganz anderen Epochen stammen.

Auf dem W:O:A geht es ebenfalls mittelalterlich zu, im Wackinger Village mit der Wackinger Stage, einst speziell für dieses Genre eingerichtet, damals noch eine sehr kleine Plattform. Mittlerweile zählt sie zu den vier großen Bühnen, die Stile werden nicht mehr streng getrennt. In diesem Jahr konnte man hier auch die sinistre Death-Metal-Band Nachtblut hören.

Demgegenüber spielten Fiddler’s Green, seit 1990 zu einer der erfolgreichsten Bands des Folkpunkgenres aufgestiegen, auf der ausladenden Louder Stage vor großem Publikum, das den Geiger Tobias Heindl buchstäblich auf Händen trug – Heindl „surft“ im Greenpeace-Schlauchboot über die Köpfe der Menge, während er munter weiterfiedelt.

Besonders verbunden mit dem Schauplatz Wacken ist die Band Kupfergold, die ihre Musik augenzwinkernd als „Assi-Folk“ bezeichnet, mit dem „Gefühl von Lagerfeuer und Taverne“. Die Gründungsmitglieder Bonnie Banks und Eric Rhymes hatten sich 2010, noch als Teenager, im Wackinger Village kennengelernt. Vierzehn Jahre später wurden sie nur einen Steinwurf entfernt von dicht gedrängten Reihen erwartet. Sängerin Banks war erkennbar gerührt. „Das ist das Überwältigendste, was wir in unserer Bandgeschichte erleben durften.“ Ihr jüngstes Album haben sie Lichtermeer genannt, beim Titelstück gingen in Wacken Hunderte von Handylampen an. Ein emotionaler Moment, auch ein Kontrast zum Wesen der Musikerin, die zum Vergnügen des Publikums gern nach Art einer raubeinigen Schankwirtin auftritt.

Kupfergold

 

Eine Kreuzung aus Folklore und härterem Rock servierten die niederländischen Bands Vanaheim und Heidevolk, textlich wie inszenatorisch vorchristliche Motive aufgreifend. Besonders deutlich wird der Folkeinfluss auf Vanaheims Akustikalbum Vanacoustica 2020. Mit der energiegeladenen Rikke Linssen zählt eine Violinistin zur Stammbesetzung, im Studio kommen zudem Bodhrán, Akkordeon und Bouzouki zum Einsatz. Paarungen dieser Art erinnern mal mehr, mal weniger an frühere Bands wie Pentangle, Lindisfarne, Steeleye Span, die sich bereits in den Sechzigern an traditionellem Liedgut orientierten.

Vanaheim

 

Mitten im Wackinger Village befindet sich die sehr kleine oder besser intime Santa Promilla Stage. In Reichweite zum Met-Ausschank bekommt man lupenreine Folkmusik zu hören, in diesem Jahr unter anderem vom Celtic-Duo Tír Saor, von Whizbow oder den erwähnten Folk Dandies.

Folklore aus anderen Regionen präsentierte Tina Guo, wiederum auf der Louder Stage. Die Cellistin beherrscht von Klassik über Filmmusik bis Metal viele Spielarten. Für ihr aktuelles Projekt „The Water Phoenix“ besann sie sich auf ihre chinesisch-mongolischen Wurzeln, wechselte vom Cello zur Erhu, der ebenfalls mit einem Bogen gespielten Röhrenspießlaute, und studierte tribalistische Klänge aus Korea, Pakistan sowie dem indigenen Amerika. Ihren begeisternden Auftritt in Wacken ließ sie zünftig mit Nebelsäulen und lodernden Flammen umrahmen.

Feurig wurde es auch beim Auftritt der Schweizer Folkrocker Koenix. Siehe dazu das separate Interview mit Koenix-Leadsänger Jonas Schneider.

www.wacken.com

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