Abgesehen vom klassischen Blues in den 1920er- und 1930er-Jahren, als Sängerinnen wie Ma Rainey, Bessie Smith und Memphis Minnie die Frontfiguren der Szene waren, gilt der Blues nach wie vor als Männerdomäne, in der Frauen wie Koko Taylor oder Katie Webster allenfalls als Ausnahme die Regel bestätigen. Dass diese Sicht grundfalsch ist, belegt die Hannoveraner Bluessängerin und Saxofonistin Haide Manns eindrucksvoll mit ihrem auf gründlichen Recherchen beruhenden Buch. Nach einer historischen und musikologischen Einführung beleuchtet sie das Thema erst soziologisch und chronologisch, bevor sie sich intensiv den Texten widmet. Denn Frauen haben nicht nur eine andere Sicht als Männer auf die klassischen Bluesthemen, sie werfen auch durchaus eigene Sujets auf, wie zum Beispiel das Recht auf Rausch – Männern schon immer als völlig normal zugestanden, Frauen aber nicht. Manns untersucht auch die Verbindungen zwischen Blues und Folk, die einflussreiche britische Bluesszene und auch das American Folk Blues Festival, mit dem von 1962 bis 1969 Bluesgrößen aus den USA durch Westeuropa und sogar in der DDR tourten. Ein eigener Abschnitt ist den Bluesinstrumentalistinnen gewidmet, die noch stärker im Schatten stehen als ihre singenden Kolleginnen. Schade, dass die großartige Barbara Dane, eine der besten weißen Bluesmusikerinnen, nur mit zwei kurzen Erwähnungen bedacht wird. Aber natürlich muss für ein solches Buch immer eine – zwangsläufig subjektive – Auswahl getroffen werden. Wer sich für das Thema interessiert, dem sei Bluesfrauen wärmstens empfohlen.
Wolfgang König
Haide Manns: Bluesfrauen : Starke Stimmen und ihre Geschichten.
– Dreieich : Heupferd Musik-Verl., 2022. – 308 S. – (Song Bücherei)
ISBN 978-3-923445-51-6 – 24,80 EUR
Bezug: heupferd-musik.de
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