Er ist der unmittelbarste, der komplexeste und der stärkste Sinn des Menschen. Keiner weiß das so gut wie der Klarinettist David Orlowsky. Der herausragende Musiker, der mit seinem Klezmer Trio bis 2019 mehr als zwanzig Jahre für Furore sorgte, verfügt über ein ausgeprägtes synästhetisches Wahrnehmen. Beim Komponieren kann er Klänge nicht nur mit Farben, sondern auch mit Gerüchen verbinden. Das hat er jetzt für sein zweites Solowerk genutzt. Auf Petrichor lässt er elf Düfte musikalisch aufsteigen und die Zuhörenden tatsächlich völlig einnehmen. Gleich beim Titelstück, das den Geruch beschreibt, wenn Regen auf trockenen Boden fällt, entführt Orlowskys einfühlsames Klarinettenspiel mühelos in die Natur. „Bei ‚Lisboa‘ denke ich zum Beispiel an einen bestimmten Platz in Lissabon, an dem ich oft saß, und bei ‚Gasoline‘ geht es um den typischen Tankstellengeruch, der für mich Freiheit und eine Prise Gefahr verheißt“, beschreibt der Musiker seine Lieder. Andere Stücke wie „Circus“, „Lavender“, „Magnolia“ oder „Marrakesh“ erzeugen ebenfalls bereits im Namen bestimmte Gerüche. Das ungewöhnlichste Stück ist jedoch seine Interpretation des Volksliedes „Hejo – spann den Wagen an“, mit dem Orlowsky den Duft frisch gemähter Felder vertont und er sich an seine Kindheit in einem Dorf in Süddeutschland erinnert. Begleitet wird er auf seinem eher ruhig gehaltenen Album von dem Gitarristen Daniel Stelter, dem Schlagzeuger Tommy Baldu und dem Tasteninstrumentalisten Lillo Scrimali. Melodische Weltmusik auf höchstem Niveau, ein Album bestens geeignet zum Aufwärmen und Träumen an dunklen Wintertagen.
Erik Prochnow
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