Das westafrikanische Land Senegal hat mehr berühmte Künstler pro Quadratkilometer hervorgebracht als die meisten anderen Staaten des Kontinents. Youssou N’Dour, Baaba Maal, Ismael Lô, Toure Kunda … Alles Männer, die international Karriere gemacht haben. Aber es gibt auch talentierte Künstlerinnen, die im Land erfolgreich sind. Und nicht nur dort, auch anderswo in Afrika tun sich weibliche Stimmen hervor. Ein Blick auf die afrikanischen Musikerinnen zwischen Paris, Abidjan und Dakar.
Text: Martina Zimmermann
Paris, Frankreich. „Sie sind Künstlerinnen, Frauen, Afrikanerinnen und … ergreifen auf der Bühne die Macht.“ Sébastien Lagrave, Direktor des Pariser Festivals Africolor, das seit über zwanzig Jahren die neuesten Trends afrikanischer Musik präsentiert, rückt immer wieder die „neuen Frauen“ in den Mittelpunkt: Rokia Traoré und Fatoumata Diawara aus Mali, Muthoni Drummer Queen aus Kenia oder die algerische Rockerin Hasna El Becharia. Alle Genannten sind auch Instrumentalistinnen und Unternehmerinnen, die ihre Karrieren selbst managen. „Wir brauchen diese Powerfrauen als Vorbilder für die jungen Generationen“, so Lagrave.
Eine eindeutige Tendenz der Weltmusikfestivals zu Frauen stellt auch Vladimir Cagnolari fest, Produzent und Moderator der erfolgreichen Radiosendung L’Afrique Enchantée. „Aber was kommt danach?“ Es bleibe zu hoffen, dass die Frauen im Musikgeschäft keine vorübergehende Mode sind, sondern dass Parität zur Normalität wird, meint Cagnolari.
Freilich gibt es auch auf dem afrikanischen Kontinent schon lange weibliche Stars. Wenn Oumou Sangaré, die weltbekannte malische Grande Dame der afrikanischen Musik, mit mitreißender Stimmgewalt auf äußerst moderne Art traditionelle Wassoulou-Klänge ihrer Heimat interpretiert, singen die afrikanischen Mädchen im Publikum die sich für Frauenrechte einsetzenden Songs auswendig mit. Afropop-Queen Chidinma aus Nigeria bringt auf jedem Konzert die Jugend bis in die frühen Morgenstunden zum Tanzen. Mani Bella aus Kamerun legt eine temperamentvolle Show im Bikutsi-Stil auf die Bühne. Allah Thérèse singt seit den Fünfzigerjahren Rhythmen der Baule-Ethnie der Elfenbeinküste – in einem ihrer Hits fordert sie, kinderlose Frauen nicht zu verurteilen. Ihre jüngere Kollegin Josey beschreibt in ihren vom RnB inspirierten Melodien Männer, die immer wieder Gründe finden, eine Heirat aufzuschieben, oder Gigolos, die sich unterhalten lassen.
„Wir brauchen Powerfrauen als Vorbilder für die jungen Generationen.“
Dakar, Senegal. „Dieser Song ist für alle Mütter“, sagt Mariaa Siga. Die aus der südlichen Provinz Casamance stammende Schönheit trägt ein eng anliegendes gelb-schwarzes Kleid mit afrikanischem Design. Eine Kaurischneckengehäuse hängt dekorativ mit einem Zöpfchen in ihre Stirn, die anderen Zöpfe sind am Kopf zu einer Frisur verschlungen. Die 30-jährige Senegalesin erinnert nicht nur dank ihrer Stimmgewalt an die berühmte „Mama Africa“ Miriam Makeba, die junge Komponistin vermischt auch südafrikanische Rhythmen mit einheimischen. Wichtig sei aber vor allem ihre Botschaft, meint Mariaa Siga. „Der Song ‚Asekaw‘ soll den Frauen ein Denkmal setzen.“ Es sei auch in Afrika ein Kampf, dass Frauen ihren Platz in der Gesellschaft bekommen. „Hier in Afrika ist die Lage der Frauen kompliziert“, stellt Siga fest. „Eine Frau darf dieses nicht und jenes nicht, sie soll zu Hause bleiben und darf sich nicht verwirklichen, wie sie es möchte.“
Sich als Musikerin, Sängerin, Komponistin in der Musikszene durchzusetzen, ist nicht leicht. Die 33-jährige Savana Soul machte sich zuerst in Dakar einen Namen als Rapperin in einer Band mit ihrem Bruder. Seit 2006 strebt sie eine Solokarriere mit Weltmusik an. Es dauerte, bis sie geeignete Musiker für ihre Band fand. „Eine Frau als Leaderin und die Männer dahinter, das akzeptieren nicht viele Männer“, stellt sie fest. „Selbst wenn sie hinter dir sitzen, glauben sie, kommandieren zu müssen.“ Es dauerte einige Zeit, bis sie Musiker traf, mit denen sie sich verstand. „Das sind reife Männer, nicht ganz jung, sie haben Erfahrung in der Musik“, so die Sängerin. „Mit denen geht es professionell zu.“
Wie alle jungen Menschen auf dem Kontinent sind auch die beiden senegalesischen Musikerinnen stolz auf ihre afrikanischen Wurzeln, beschränken sich nicht auf den einheimischen Mbalax und sind somit eine Besonderheit in der senegalesischen Musikszene. „Für mich ist Afrika eins, ob du Zulu bist oder aus Côte d’Ivoire, Gabun oder Senegal kommst“, so Savana Soul. „Weil ich Senegalesin bin, bleibe ich doch nicht nur in senegalesischen Rhythmen. Ich kann auch einen Beat aus Kamerun einsetzen.“ In ihren Clips trägt die sportliche 35-Jährige mit den kurzen Kraushaaren Zöpfe. Sie kleidet sich meist afrikanisch, mit einem Amulett um den Hals und bunt geflochtenen Armreifen.
Soul ist geschieden und hat einen 14-jährigen Sohn. Musik und Ehe seien kaum miteinander in Einklang zu bringen, erklärt die Künstlerin. „Die Ehemänner akzeptieren hier nicht, dass ihre Frauen in Begleitung männlicher Kollegen reisen.“ Privat- und Berufsleben ließen sich nur verbinden, wenn man einen Produzenten oder Manager als Ehemann findet, sagt sie.
Savana Soul singt, komponiert und textet nicht nur, sie ist auch Unternehmerin ihres Musikgeschäfts. Allein vom CD-Verkauf können Künstler in Senegal kaum leben, die meisten verdienen mit Konzerten ihr Geld. Von den Einnahmen bezahlt die Musikerin Tonaufnahmen und den Dreh von Videoclips. „Internet rettet uns“, meint sie. Mit Youtube sei die Promo leichter.
Auch Mariaa Siga, die bürgerlich mit Vornamen Mariam heißt, hat ihren Bekanntheitsgrad durch ihre Onlineaktivität erlangt. Das zweite „a“ hat sie an ihren Künstlernamen angehängt, damit die Leute sie im Netz leichter finden. Trotz Corona geht ihre Karriere voran: 2021 trat sie bei dreißig Konzerten in sieben Ländern auf drei Kontinenten auf. „Für mich persönlich kam es nie in Frage, aus Senegal wegzugehen“, so die erfolgreiche Musikerin. „Eine Tournee im Ausland aber ist ein Plus, hat einen wichtigen Einfluss auf deine Karriere.“
„Selbst wenn man Talent hat, machen die Männer anzügliche Angebote.“
Abidjan, Côte d’Ivoire. Coupé Décalé heißt ein Musikgenre der Elfenbeinküste, das sich derzeit in ganz Afrika großer Beliebtheit erfreut. Claire Bahi machte sich einen Namen, als sie gegen das Ideal fülliger weiblicher Formen ansang. „Bobara Deni“ handelt davon, dass sich auch ein kleiner Po gut bewegen könne. Ein Hit. Seither gilt sie zwar als „First Lady des Coupé Décalé“, wird aber als Frau kritisiert. Die Medien schreiben mehr über ihr vermeintlich turbulentes Privatleben als über ihre zahlreichen Auszeichnungen. Coupé Décalé sei ein sehr sinnlicher Tanz, erklärt die Sängerin. „Die Leute denken, du tust das, um Männer zu verführen. Wenn ein Mann tanzt, ist es kein Problem, aber eine Frau muss leiden!“
„Selbst wenn man Talent hat, machen die Männer anzügliche Angebote“, erzählt auch Chantal Taïba, die auf neun Alben und eine stolze Karriere zurückblicken kann. „Da braucht es viel Diplomatie, um anhand der Qualität der eigenen Arbeit beurteilt zu werden.“
Mariah Bissongo stammt aus einer berühmten Künstlerfamilie in Burkina Faso. Alle ihre Brüder sind bekannte Musiker wie auch der Vater. Dennoch wollte der nicht, dass seine Tochter Sängerin wird. Heute wird sie als bedeutendste Stimme ihres Landes gefeiert. „Die Leute behaupten manchmal, ich sei eine Löwin“, so Bissongo. „Wenn ich die Krallen zeigen muss, dann tue ich das.“
Die prominente, für Africa24 und Canal+ arbeitende Fernsehjournalistin Hortense Assaga aus Kamerun bezeichnet die afrikanischen Künstlerinnen als „Kriegerinnen“ und stellt fest: „Unter dem Einfluss der Gesellschaft reagieren die Veranstalter von Film- und Musikfestivals.“ Aber das Musikgeschäft bleibe eine Männerdomäne. Gerade in Afrika werden Musiker gegenüber Musikerinnen oft bevorzugt, weil sie in gemeinsamen Zimmern unter schlechteren Bedingungen unterzubringen sind, weiß Assaga. Tänzerinnen und Choristinnen gelten noch als übliche Begleitung, aber eine Künstlerin, die selbst die Leadstimme singt, spielt und komponiert, hat es schwerer. „Es bleibt ein Kampf“, so Hortense Assaga. „Wenn wir nicht aufpassen, nehmen die Männer den ganzen Platz ein.“
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