Marseille feierte vom 6. bis 8. Oktober 2022 den dreißigsten Geburtstag der Fiesta des Suds, mit afrikanischen Stars und kreolischem Electro, afrokubanischem Dancefloor oder Arabic Rock. Das Festival versteht sich als Fest, das den globalen Süden feiert.
Text: Martina Zimmermann
Stars aus Afrika gehörten von Anfang an zur Fiesta des Suds. Zum Jubiläum kamen sie wieder in die Hafenstadt am Mittelmeer. Der senegalesische Superstar Youssou N’Dour lieferte ein Potpourri seiner Hits, mal als Reggae-Mbalax, mal in moderner Afropopmanier. Aktuell verspricht N’Dour „einen oder mehrere Songs“ für die Fußball-WM. In Marseille trat die gesamte Band im T-Shirt der senegalesischen Nationalmannschaft an, die 2022 den Afrika-Cup gewann. Kritik am Austragungsort Katar versteht N’Dour, sagt aber: „Ich bleibe beim Sport.“ Der Sänger, der Präsidentenberater mit Ministerstatus ist, will also die senegalesische Elf anfeuern. In Marseille hat er damit begonnen.
Diva Oumou Sangaré aus Mali stellte ihr neues Album Timbuktu vor. „In Marseille fühle ich mich wie in Afrika“, so die Sängerin. Sie singe seit jeher für den Frieden, für die Rechte von Frauen und Kindern, sagte sie im Interview und appellierte an alle Verantwortlichen, Frieden zu schließen. Der achtzigjährige Bonga, bekanntester Sänger Angolas, erinnerte während der Show an seinen Kampf um die Unabhängigkeit seines Heimatlandes, kritisierte Korruption, Armut und Gewalt.
Unter den 36 Künstlerinnen und Künstlern, die auf drei verschiedenen Bühnen auftraten, waren auch Newcomer und Newcomerinnen wie Kutu (Ethio Trance mit Sängerinnen aus Äthiopien und französischen Jazzmusikern) oder Pongo (Electro-Afropop mit angolanischen und portugiesischen Rhythmen). Unter den Bands aus Marseille zauberten Temenik Electric mit ihrer arabischen Rockmusik eine Riesenstimmung. Die dreißigste Ausgabe der Fiesta des Suds konnte beweisen, dass Marseille ein Hotspot der Weltmusik ist.
1992 war die südfranzösische Metropole noch ein weißer Fleck in der musikalischen Landschaft. Kulturelle Ereignisse gab es kaum, Hip-Hop, Reggaeton oder okzitanische Gesänge aus der ältesten Stadt Frankreichs waren noch für Insider. Das änderte eine Clique junger Leute, darunter Bernard Aubert. „Wir wollten ein Festival wie andere Städte“, erinnert sich der langjährige künstlerische Direktor der Fiesta. „Aber wir tun alles, um nicht anderen Festivals zu ähneln!“ Die Musik soll zur Stadt und ihrer gemischten Bevölkerung passen. Marseille zählt 82 verschiedene Communities, von Menschen armenischer oder südeuropäischer Herkunft bis zu Immigrierten aus dem Maghreb oder von den Komoren aus dem Indischen Ozean. Und die haben jeweils ihre eigenen musikalischen und kulinarischen Köstlichkeiten. „Bei uns dauert die Nacht bis sechs Uhr morgens“, sagt Aubert stolz. „Es ist eine Mischung aus Karneval, einem südländischen Volksfest und einem Festival.“
Aubert lud als erster künstlerischer Leiter des Festivals neben Marseiller Bands Flamencogruppen aus Spanien ein oder die Kubanerin Omara Portuondo, die damals noch nicht mit dem Buena Vista Social Club weltberühmt war. Auch dreißig Jahre später gehört ein Mix aus Trad und Neotrad aus der Region mit neuen Musikstilen aus dem globalen Süden zum Erfolgskonzept.
Die Konzerte fanden über Jahrzehnte an untypischen und erstaunlichen Orten statt, in den früheren Docks am La-Joliette-Hafen, einer ehemaligen Zuckerfabrik, auf einem brachliegenden Gelände. Den Tiefpunkt erlebte die Fiesta vor neun Jahren, als die Konzerthallen vollständig abbrannten. Zwei Jahre lang mussten die Konzerte – unter anderem mit Patti Smith – unter einer Autobahnbrücke stattfinden. Zum dreißigsten Geburtstag performten DJs in dem wiederaufgebauten Venue in den Docks, und die Bands spielten auf drei Bühnen auf der Esplanade J4, einem riesigen Platz unweit des Hafens mit Blick aufs Meer sowie das Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers.
Unterstützt wurde die Fiesta von Anfang an vom Département des Bouches-du-Rhône, dessen Präfektur Marseille ist. Heute beträgt das Budget 1,3 Millionen Euro, es kommt zu einem Drittel aus dem Verkauf von Eintrittskarten, zu einem weiteren aus privatem Sponsoring zum Beispiel durch Brauereien, das restliche Drittel leisten das Département und andere Institutionen.
Bernard Aubert und die frühere Direktorin Florence Chastanier sind weiterhin im Aufsichtsrat des Vereins, die Leitung des Festivals haben sie an ein junges Team abgegeben. Die neue Direktorin, Nathalie Solia, kam als 22-jährige Studentin mit einem vom Staat unterstützten Emploi-Jeune-Vertrag zur Fiesta und möchte das Prinzip „einer Mischung von Sounds und Genres und Entdeckungen für alle“ bewahren. Es sei heute künstlerisch recht kompliziert, alle Generationen auf ein Festival zu locken, gibt Fréderic André zu. Der neue künstlerische Leiter will an jedem Abend „zwei Wege anbieten“: Die Leute kommen wegen eines bestimmten Künstlers und entdecken dabei Neues. „Das Neue muss eine starke Show bieten, damit die Leute sagen: Ich werde mich vor allem an eine Band erinnern, die ich noch nicht kannte.“
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