Gälisches Geflüster

Gabriele Haefs im Interview

21. März 2023

Lesezeit: 6 Minute(n)

Gabriele Haefs ist erfolgreiche Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin unter anderem für irisches Gälisch und Norwegisch. Sie wurde im Rheinland geboren, studierte Volkskunde, Sprachwissenschaft, Keltologie und Nordistik an den Universitäten in Bonn und Hamburg, wo sie 1982 promovierte. Bekannt wurde sie 1999 mit der Übersetzung des Buches Sofies Welt von Jostein Gaarder aus dem Norwegischen. Sie übersetzte Der Irrläufer von Gudmund Vindland, Romane von Anne Holt und Kristin Valla sowie den weltweit bekannten Fantasyautor Rick Riordan. 2013 erschien ihre Übertragung von Grabgeflüster des irischen Schriftstellers Máirtín Ó Cadhain aus dem Gälischen. Außerdem schrieb sie Reiseführer zu Oslo und Wales. Wenn die Zeit es ihr erlaubt, verfasst sie Rezensionen für den folker, natürlich über nordische Musik oder Irischsprachiges. Für ihre Arbeiten wurde Gabriele Haefs mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt in Hamburg, wo der folker sie zum Interview getroffen hat.
Interview: Petra Rieß

An welchem Buch arbeitest du gerade als Übersetzerin?

An einem des Norwegers und Literaturnobelpreisträgers Knut Hamsun. Seit dem 1. Januar sind die Rechte frei, und damit kommt jetzt einiges auf uns zu, neue Übersetzungen und alte Ausgaben, die neu herausgebracht werden. Es ist nicht so, dass man die alten Übersetzungen nicht lesen kann, aber es wirkt schon sehr angestaubt, und manchmal denkst du: „Was bedeutet der Satz?“ Das ist dann wortwörtlich übersetzt.

Wie kommst du an ein neues Buch? Als Auftrag?

Unterschiedlich. Zum einen passiert es, dass ein Verlag ein Buch einkauft und mich fragt, ob ich es übersetzen möchte, andererseits lese ich irgendwas und denke, das müsste man herausbringen, und kontaktiere dann selbst Verlage. Ich habe zum Beispiel eine Autorin gefunden, Kristin Valla, die ist jetzt bei Mare. Und bei Ó Cadhains Grabgeflüster war es so, dass es das lange nur auf Irisch gab. Die Rechte lagen bei Cló Iar-Chonnacht, einem kleinen irischen Verlag in Connemara, und die zuständige Frau vom Kröner Verlag war im Urlaub in Irland und hatte sich die ganz frisch erschienene englische Übersetzung gekauft, gelesen und meinte, das sei ein ideales Buch für Kröner. Sie fragte, ob die denn bei Cló Iar-Chonnacht niemanden wüssten, der aus dem Irischen übersetzt. Sie wussten jemanden, und damit kam es an meine Adresse.

„Die Behauptung, die irische Sprache sei der Moderne nicht gewachsen, ist ignorant.“

Was macht Máirtín Ó Cadhain (sprich: „Martin O Kaïn“) so wichtig für die irische Literatur? Neben James Joyce.

Er war der große Modernist. Er hat in den Dreißiger-, Vierzigerjahren Einflüsse aus Frankreich übernommen, schreibt über Großstadtleben. In einem Roman, der auf Deutsch Der Schlüssel heißt, schreibt er über einen Dubliner Beamten, der in einem Ministerium arbeitet und ein wichtiges Papier verlegt hat. Was sich dann am Ende daraus ergibt, dass dieses Papier nicht da ist, ist eine so wunderbare Verarschung der Bürokratie! Immer wieder wird behauptet, dass die irische Sprache dem zwanzigsten Jahrhundert nicht gewachsen sei. Dem „Bauernkram“ ja, aber nicht der Moderne.

Ist das so? Was genau heißt das?

Das ist natürlich ignorant! Die Vorstellung ist, dass es eine Bauernsprache ist – romantisch, geeignet für Märchen, Mythen und Sagen, aber nicht für den städtischen, den urbanen Alltag. Diese Behauptung wird vor allen Dingen von Leuten aufgestellt, die selbst keine Ahnung haben. Selbst Heinrich Böll hat das mal behauptet! Der konnte auch kein Irisch.

Gälisch gilt also nicht als urbane Sprache. Teilst du diese Ansicht?

Nein, absolut nicht. Gälisch ist wie jede andere Sprache, sie ist anpassungsfähig. Sie kann Wörter übernehmen oder neue Wörter schaffen. Fachbegriffe sind ohnehin meist aus anderen Sprachen, aus dem Lateinischen zum Beispiel oder dem Griechischen. Da gibt es so eine Anekdote. Bei den Verhandlungen 1920 um die irische Unabhängigkeit meinte der damalige britische Premierminister David Lloyd George zu dem irischen Unterhändler Michael Collins: „Ihr könnt doch gar nicht unabhängig sein, es gibt auf Irisch doch gar kein Wort für ‚Republik‘.“ Collins hat dann darauf hingewiesen, dass es durchaus schon seit dem Mittelalter das Wort poblacht gäbe, seit alte Texte übersetzt worden seien, von Platon zum Beispiel. Und das gäbe es im Englischen nicht, da gäbe es nur republic, und das sei doch sehr viel fremder.

Ist Ó Cadhain jemand, der irischen Humor besonders gut einfangen konnte?

Ich finde, ja!

Wie kann man diesen Humor beschreiben?

Sehr trocken. Sehr scharf beobachtend. Menschliche Schwächen werden sehr stark aufs Korn genommen. Das ganze Buch Grabgeflüster handelt davon, dass die Toten auf dem Friedhof landen, aber sie sind erst mal noch wach und bei Bewusstsein. Das Bewusstsein bröckelt aber immer weiter ab. Es geht damit los, dass eine Frau zu sich kommt. Sie ist beerdigt und weiß nicht, ob sie in einem teuren Grab liegt oder einem, dass man für sieben Schilling kriegt. Diese Vorstellung, dass ihre Schwiegertochter ihren Sohn möglicherweise dazu überredet hat, sie in ein billiges Grab zu legen, diese Geltungssucht, immer noch ein bisschen besser zu sein als die anderen, egal wie dreckig es dir geht und wie arm du bist – ein bisschen besser muss man doch sein –, das ist sehr irisch!

Irisch ist Gälisch …

Ja, schon. Irisch heißt auf Gälisch ja auch Gaeilge. Gälisch ist eigentlich ein Oberbegriff für drei Sprachen. Das Irische, das Schottische und das Manx von der Isle of Man. Aber man muss immer dazu sagen, dass Irisch auch Gälisch ist. Irgendwie hat es sich eingebürgert, dass man Irisch sagt, und Gälisch ist Schottisch und Manx läuft irgendwie unter „ferner liefen“ mit. Die Sprache galt schon mal als ausgestorben, doch jetzt gibt es Schulen, an denen auf Manx unterrichtet wird. Ganz ausgestorben kann sie also nicht gewesen sein.

Die gälische Sprache hat ja einen sehr schönen Klang. Wie ist sie denn grammatikalisch strukturiert? Im Unterschied etwa zu den romanischen Sprachen.

Vom Satzbau her ist sie wie alle keltischen Sprachen aufgebaut: Das Verb steht immer am Satzanfang. Man gewöhnt sich daran. Es ist nicht logischer als das Subjekt am Anfang zu haben wie in unserer Subjekt-Prädikat-Objekt-Regel. Dann gibt es eine Verlaufsform. Beispiel: „ich bin am Rennen …“ Die Sprechenden sind dauernd „am irgendwas …“ – für eine Rheinländerin ist das natürlich sehr leicht zu lernen (grinst). Du kannst sehen, dass sehr viel indogermanisches Wortmaterial vorhanden ist. Zum Beispiel fear für „Mann“, das ist vir auf Latein oder vyras auf Litauisch.

„Das Gälische war immer eine eigene Sprache.“

Ist das Gälische ein keltischer Dialekt oder eine eigene Sprache?

Das Gälische war immer eine eigene Sprache, die in verschiedene Dialekte zerfiel. Als es im Mittelalter noch die einzige Sprache auf der Insel war – so ganz genau weiß man das natürlich nicht –, gab es noch einen Zipfel in Wexford, wo Normannisch gesprochen wurde, da muss es Dialekte gegeben haben. Durch das Vordringen des Englischen und die Unterdrückung des Gälischen war der Zusammenhalt schwierig, und die Sprache zerfiel in Dialekte. Es gab zwei, drei Jahrhunderte lang keine Hochsprache für das ganze Land. Da haben sich Dialekte stark entwickelt. Daraus jetzt wieder eine gälische Hochsprache zu formen, ist noch nicht gelungen, das ist eine große Aufgabe.

Das passiert gerade?

Ja, natürlich. Das passiert schon länger. Das Problem ist nur, dass jede Dialektgruppe denkt, ihr Dialekt sei besser als ein anderer.

Die Verbreitung einer Sprache hält sich nicht zwangsläufig an politische Grenzen. Wie ist das mit dem Gälischen?

Dieser typische Singsang, bei dem du auch schottische Einschläge hast, reicht auch bis nach Donegal im Nordwesten und ragt in noch andere, ursprünglich nordirische Regionen rein. Das Irisch-Gälische war in Nordirland so ziemlich ausgerottet worden. Da gibt’s jetzt aber wieder. In Belfast zum Beispiel gibt es ganze Viertel, in denen nur Irisch gesprochen wird. Die orientieren sich dann am Donegal-Irisch, und das hat durch die gezielte Ansiedlung protestantischer Schotten im siebzehnten Jahrhundert, wie gesagt, starke schottisch-gälische Einschläge. Das ist schon ein Unterschied, aber nun auch nicht so groß, dass man darüber streiten müsste, wenn man nicht will.

Wie siehst du denn die gälische Liederszene vor allem in der jungen Generation?

Ich glaube, heute ist es leichter, Gälisch zu singen. Es gibt auch nicht mehr den Druck, auswandern zu müssen für junge Menschen. Es gibt auch wieder Schulen, die Irisch unterrichten. Das gab es ewig lange nur in offiziell irischsprachigen Gebieten. Es gab vor gut zwanzig Jahren auch eine Welle, dass Lyriker und Lyrikerinnen, die auf Englisch schrieben, sich ihre Texte ins Irische haben übersetzen lassen, weil das beliebter war. Damit wurden sie eher zu Festivals eingeladen. Und natürlich, was man gerne vergisst: Wichtig ist die wunderbare Rolle der EU, in der kleine Sprachen eben gefördert werden.

Aktuelles Album:

Nine Waves (River Lea Recordings, 2022)
Linktipps zu gälischsprachiger Musik:

Cló Iar-Chonnacht

Verlag für irischsprachige Bücher und traditionelle irische Musik mit über 150 Musikveröffentlichungen, insbesondere aus dem Sean-Nós-Bereich

www.youtube.com/@TradTG4

Youtube-Kanal des irischsprachigen Fernsehsenders TG4 mit Videos von traditioneller und Folkmusik, einiges davon auf Irisch

www.bit.ly/3Ysgbrx

Playlist von Folksongs in Irisch des Musikers John Spillane für RTÉ

www.bit.ly/3JMvuHB

Infos zu irischsprachiger Musik des National Museum of Ireland

www.comhaltas.ie

Comhaltas Ceoltóirí Éireann, Institut zur Bewahrung und Förderung traditioneller irischer Musik, mit Audio- und Videodateien, Terminkalender, einem Blog, Infos zu Sommerschulen, Workshops und vielem mehr

 

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