Das neue deutsche Tanzmusikrevival, Teil zwei

Musikerinnen und Musiker

20. September 2023

Lesezeit: 4 Minute(n)

Serie: Tanzmusik aus dem deutschsprachigen Raum (2)
Vielleicht haben sich nach Lektüre des ersten Beitrags in folker #1.23 einige gefragt, wer die Musikerinnen und Musiker sind, die Tanzmusik aus dem deutschsprachigen Raum auf die Bühnen und in die Kurse bringen. Ich habe drei Formationen ein paar Fragen gestellt. Mich interessierten der „zündende Funke“, eigene Quellenforschungen, die „Lieblingsquelle“ und was Wichtiges über den Zugang zu dieser Musik zu sagen wäre.
Text: Merit Zloch

Fangen wir mit dem Duo TradTöchter an. Vivien Zeller und Ursula Suchanek wirbeln in der traditionellen Besetzung Bratsche/Geige plus zwei Stimmen durch die Tanzmusikwelt. Die beiden lassen mich beim Tanzen und Zuhören jedes Mal vergessen, dass es zwei Musikerinnen sind und keine Großbesetzung, die da auf der Bühne spielen. Meine Fragen hat Vivien beantwortet.
Für sie war das Tanz- und Folkfest in Berlin 1993 das Initiationserlebnis in Sachen Tanzmusik. Sie begann, durch Europa zu reisen und Kurse und Folkcamps zu besuchen – und war immer wieder erschüttert, dass sie im Gegensatz zu allen anderen Teilnehmenden keine Musik aus ihrem Land vorstellen konnte. Vivien begann, nach dieser Musik zu forschen, und stieß zunächst auf das Deutschfolkrevival der Siebziger und Achtziger. In den frühen Nullerjahren kam sie mit Leuten wie Ralf Gehler und Simon Wascher in Kontakt, die schon länger erfolgreich alte Tanzmusik wieder „auswilderten“. Das öffnete den Weg zur eigenen Quellenforschung – meist gemeinsam mit Thomas Behr aus Berlin. Die beiden stecken übrigens hinter dem TradTanzMusik-Kanal auf Youtube, der Tanzmusikarchiv-Website und der Notenheftreihe Neues aus alten Büchern.
Eine Lieblingsquelle? Vivien kann sich nicht entscheiden. Unter ihren meistgenutzten sind das Arendseer Notenbuch und das Notenbuch Füllgraf. Wichtig zu sagen ist ihr auf jeden Fall, dass die vielen Melodieparallelen zwischen Quellen aus Deutschland und Handschriften anderer europäischer Länder für sie immer mehr „jegliche Idee einer Nationalität irgendeiner Musik im westeuropäischen Raum“ verwischen. Vivien betrachtet „diese Musik … vor allem als Gebrauchsmusik, in die moderne Tanzmusik der heutigen Zeit genauso hineingehört wie Neukompositionen und Bal Folk“.

Deitsch existieren in der Duobesetzung Gudrun Walther und Jürgen Treyz schon seit den Nullerjahren. Inzwischen hat sich die Band zum Quartett erweitert. Die Instrumentierung: Bratsche und Geige, Gitarre, Holzquerflöten und Schäferpfeife, diatonisches Akkordeon und Gesang. Deitsch stehen für feine, konzertante Arrangements und prägnanten Satzgesang. Meine Fragen haben die beiden Gründungsmitglieder beantwortet.

„Der heimischen Tanzmusik neuen Glanz geben.“

Gudrun hatte, seit sie mit fünf mit dem Geigenspiel begann, immer wieder auf verschiedensten Wegen Kontakt zu traditioneller Musik aus Deutschland. Jürgen hatte seine Tanzmusikinitiation beim Festival in Saint-Chartier in Zentralfrankreich und spielte zunächst viel Französisches, aber auch das eine oder andere deutsche Stück. „Vieles, was wir sichteten, war entweder sehr schlicht, zu ‚dreiklangselig‘ oder hat uns einfach nicht so angesprochen“, erklärt er. „Das ist auch der Grund, warum die Dahlhoff-Sammlung und die vielen kleineren Sammlungen, die in den letzten Jahren wieder aufgetaucht sind, so ein einschneidender Wendepunkt für mich sind. Plötzlich war da diese riesige Menge richtig toller Tunes auf dem Tisch …“

Deitsch

Foto: Claus Jahn

Anlass für Quellenforschung in Archiven war die Materialsuche für das erste Album der beiden. Lieblingsquellen sind die Wittenberger Apothekerhandschrift, die Tanzsammlung Dreyßer und das Notenbuch des Heinrich Nicol Philipp.
Was möchten die zwei den Lesern mit auf den Weg geben? Gudrun: „Wenn man ein Stück aus einer Notensammlung vom Blatt spielt, kann es absolut tagesformabhängig sein, ob es einen packt oder nicht. Es lohnt sich also immer, Stücken mehr als eine Chance zu geben. […] Für diesen Zweck sowie für Musiker, die nicht so gut vom Blatt spielen können, sind die Videos auf dem TradTanzMusik-Kanal eine große Bereicherung!“ Jürgen: „Volksmusik … war noch nie eine festgeschriebene Stilistik mit klar definierten Regeln und Vorgaben. Immer schon waren Tanzmusiker … experimentierfreudig und haben versucht, aktuelle … Vorlieben in ihr Spiel zu integrieren – und damit letzten Endes die Tradition aufzubrechen […] Der … heimischen Tanzmusik neuen Glanz zu geben und vielleicht … die ein oder andere Wendung hinzuzufügen … das sollte unsere Herausforderung als Tradmusiker sein.“

 

So ungewöhnlich die Besetzung eines Harfenduos scheint – Derartiges war im 19. und frühen 20. Jahrhundert in unseren Breiten keine Seltenheit. Das Harfenduo Zirla besteht aus Daniela Heiderich, die in Frankreich traditionelle Musik studiert hat, und mir, Merit Zloch, die ich mich seit über dreißig Jahren für Musik aus meiner Heimat interessiere. Wir zwei modernen „Wanderharfenmädchen“ haben Spaß daran, die große Viel-Saitigkeit unserer Instrumente zu nutzen und dichte, spannungsvolle und groovige Arrangements von Melodien aus Handschriften zu schaffen. Ich habe meine Kollegin ausgefragt: Was hat Danielas Interesse geweckt?

Zirla

Foto: Jan Kristof Schliep
„… im Studium und grundsätzlich in der Zeit in Frankreich, als ich mich auf französische Musik spezialisierte und dann ganz oft gefragt wurde – und mich auch selbst fragte –, was eigentlich bei uns so gespielt wurde. Und auch sehr stark durch … die Berliner/norddeutsche Clique und ein paar Leute in Österreich wie Simon Wascher … Ich konnte am Anfang alleine mit den Noten noch nicht viel anfangen … Und wenn ich das dann von Musikern wie euch gehört habe, fetzte es plötzlich total und gab Lust da auch tiefer einzusteigen.“
Zwar fühlt sich Daniela mehr als Interpretin als als Forscherin in Sachen Quellen. Für ihre Abschlussarbeit in Frankreich hat sie allerdings über Wandermusiker und sogenannte Harfenmädchen in Hessen geforscht. Ihre Lieblingsquellen sind ebenfalls die Wittenberger Apothekerhandschrift sowie das Tanzbüchlein des Johann Friedrich Dreyßer.

Autorinneninfo: Merit Zloch spielt, arrangiert und unterrichtet seit 25 Jahren einheimische Musik solo und im Ensemble auf der böhmischen Hakenharfe. Sie organisiert außerdem Musikertreffen und Kurswochenenden.
www.meritzloch.net

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Zu Abschriften oder Digitalisaten aller erwähnten Quellen sind Links hier zu finden:
www.bit.ly/4478sSj

 

www.tradtoechter.com
www.deitsch.de
www.meritzloch.net/zirla

 

Videolinks:
www.youtube.com/@VivienZellerGeigenmusik
www.youtube.com/@MeritZlochHarp

Aufmacherfoto:

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