Nourat

Reggae für Kampf und Versöhnung

18. September 2023

Lesezeit: 6 Minute(n)

Zum ersten Mal trat die Reggaeformation Nourat et les Lions aus Burkina Faso dieses Jahr auf dem Festival des Musiques Urbaines d’Anoumabo (FEMUA) in Abidjan auf. Die Veranstaltung in der Republik Côte d’Ivoire ist eines der größten Festivals in Afrika mit Zehntausenden vor den Bühnen und Millionen Zuschauenden dank Übertragung in Fernsehen und Internet. Für Sängerin Nourat ein wichtiger Schritt zur internationalen Karriere. Die 38-Jährige lebt mit ihrer Tochter, ihrem Lebensgefährten und dessen beiden Kindern in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos. Das Land erlebte 2022 zwei Staatsstreiche und leidet seit 2010 unter Terrorattentaten islamistischer Dschihadisten. Die Fragen beantwortete die Künstlerin während des FEMUA.
Interview und Fotos: Martina Zimmermann

Dein wirklicher Name ist Honorine?

Ich heiße Wengouda Honorine Zoma. Als ich anfing, Musik zu machen, suchte ich nach einem Künstlernamen. Ein muslimischer Freund schlug Nourat vor, das bedeutet „Licht Gottes“ auf Arabisch. Das hat mir gefallen, und ich dachte, das Licht Gottes soll mich erleuchten. (lacht)

Spiritualität spielt bei deiner Musik eine Rolle, du hast den Song „Jah Grace“ auf deinem jüngsten Album Pectoral. Bist du selbst Rastafari?

Wir machen Reggae. Dieser Stil impliziert eine gewisse Spiritualität. Auch wir sprechen von Jah, meinen damit Gott und bitten um seine Gnade. Du kannst Gott Jah, Gott, Buddha oder Jesus nennen.

Du hast zunächst Popmusik gesungen, dann erst Reggae. War das auch eine Frage der Emanzipation? Beim Pop blickt man doch anders auf Frauen …

Bevor ich meinen ersten Produzenten traf, liebte ich Reggae. Ich sang sogar in einer Band. Der Produzent aber schlug vor, Popmusik zu singen, denn er fürchtete, dass Reggae in Burkina Faso nicht ankäme, schon gar nicht, wenn er von einer Frau gesungen wird. Ich wollte die Anerkennung des Publikums und akzeptierte den Vorschlag, aber letztendlich siegte meine Leidenschaft. Ich beendete den Vertrag 2014 und sang im späteren One Love Club in Ouagadougou Reggae. Das war meine Ausbildung. Im Popgeschäft musst du sexy sein und zeigen, was du an teuren Sachen hast. Der Reggae ist engagiert und spirituell und du musst eine respektable Person verkörpern. Wenn du nicht respektabel bist, kannst du keine Botschaft von Respekt weitergeben. Diese Seite des Reggae gefällt mir.

Reggae ist ein Genre, das stark strukturiert ist, wie macht man da etwas Eigenes?

Auf meinem ersten Album mit Popmusik war der Titel „Street Of Freedom“. Ich habe ihn für Pectoral mit den Lions noch einmal aufgenommen. Es war als Reggae gedacht, aber der Produzent wollte es damals als RnB arrangiert haben. Aber was auch immer ich singe, meine Musiker spielen dazu Reggae (lacht). Wenn ich komponiere, höre ich auch viel Joseph Hill von Culture, Peter Tosh und andere und versuche solche Kompositionen.

„Wenn du nicht respektabel bist, kannst du keine Botschaft von Respekt weitergeben.“

Also Old-School-Reggae. Wie arrangierst du deinen Hit „Burkina Soldats“ als Interpretation eines Bob-Marley-Songs? Du hast den Titel schon vor vier Jahren veröffentlicht und noch einmal auf das neue Album genommen.

Es ist eine Coverversion von Marleys „Buffalo Soldier“ und soll eine Hommage an die Soldaten Burkina Fasos sein. Unser Land ist seit mehreren Jahren in der Krise, Soldaten starben an der Front, und wir haben Brüder, die gefallen sind. Wir fragten uns mit der Band, was wir als Kulturschaffende tun können, um die Armee zu unterstützen. Ich hatte schon öfter Lieder aus dem Englischen in die Landessprache Mooré übersetzt, und der Orchesterchef schlug vor, „Buffalo Soldier“ zu nehmen mit einem Text, der das Herz unserer Soldaten berührt. Als wir es 2019 bei einer Preisverleihung zum ersten Mal sangen, kam es sofort gut an beim Publikum. Wir spielten den Song zuerst live, bevor wir ihn aufnahmen. Und bis heute ist er aktuell und die Leute mögen ihn. (singt und übersetzt den Text aus der Landessprache Mooré) „Wir grüßen die Soldaten, danken ihnen und sagen: Das Volk steht hinter euch. Ihr lasst eure Frauen und Kinder, eure Mütter zurück und geht in den Kampf, ohne zu wissen, ob ihr wiederkommt. Wir singen für euch.“

Ein patriotischer Gesang. Du hast auch die burkinische Nationalhymne auf dem Filmfestival FESPACO auf eine Art und Weise gesungen, dass viele noch heute davon reden.

Das war 2018. Wenn wir Kulturschaffenden etwas machen, wissen wir nicht, ob es ein Erfolg wird oder nicht. Als ich sang, sagten viele, sie hätten Gänsehaut bekommen. Die Nationalhymne eines Landes ist bedeutend.

Nourat ist also eine Stimme, Nourat macht Reggae, und sie ist eine Frau im Kulturbetrieb. Dein Orchester nennt sich „die Löwen“. Lassen die sich dressieren?

(lacht) Mit den Lions habe ich Glück. Der Orchesterchef ist ruhig. Wenn wir reden, hören wir einander zu. Wenn es Probleme gibt, wie es sie in jeder Band geben kann, dann setzen wir uns hin und reden darüber. Wir sagen uns: Es gibt eine Zukunft für die Band. Und die Musiker sagen von mir, ich sei eher wie ein Mann. Kein „Frauengetue“, ich mag gut gemachte Arbeit, und wir haben dasselbe Ziel. Davor habe ich gelitten, bis ich gute Musiker fand. Nun gehen wir in dieselbe Richtung. Manchmal machen wir auch Fusionen mit traditioneller Musik oder ein bisschen Pop, damit die Botschaft genauso bei den jungen Leuten ankommt. Manche empfinden Reggae als zu engagiert oder als altmodisch, bei Fusionen nimmst du auch die jungen Leute mit.

Was kannst du über die Lage in Burkina Faso sagen, und was bedeutet das für die Situation der Kulturschaffenden?

Es gab zwei Staatsstreiche, und das war ein großer Schock für das Land. Die Wirtschaft, alles bricht zusammen. Mit der aktuellen Regierung haben wir einen Schimmer Hoffnung, was das Besiegen der Dschihadisten auf dem Schlachtfeld angeht. Aber für uns Künstlerinnen und Künstler ist es wirklich hart. Weil unsere Kunst als Vergnügung gesehen wird, als ob wir es uns gut gehen lassen, während Krieg herrscht. Aber wir ermutigen die Menschen, machen Musik, die Hoffnung macht. Es ist schade, dass in meinem Land die Kulturschaffenden an letzter Stelle stehen. Solange es Krieg gibt, können wir keine Konzerte spielen. Wir könnten in Kasernen auftreten. Wenn wir so etwas tun wollen, betrachtet man es auch da so, als ginge es darum, uns zu amüsieren. Aber wir möchten unsere Stimme einbringen, auch in Kriegszeiten. Kultur fördert die Entwicklung eines Landes, kann Spannungen lindern und zum Frieden beitragen.

Als Künstler und Künstlerinnen habt ihr vielleicht auch ein Problem auf dem internationalen Markt. Probleme mit Visa sind nichts Neues, aber wenn die Beziehungen zu Frankreich abgebrochen werden, werdet ihr womöglich auch nicht auf Festivals dort eingeladen …

Genau das ist das Problem. Türen schließen sich. Wenn unsere Regierungen sich nicht einigen, stagnieren die Dinge auch für die Kunsttreibenden und für das Volk.

„Wir müssen Frieden und Liebe fördern.“

Du singst auch über Waisen, hast selbst mit sieben deine Eltern verloren …

Wir singen über das, was wir erleben. Der aktuelle Krieg bringt viele Waisen hervor, und wir fragen uns, was aus ihnen wird? Sie können sogar eine Gefahr für die Gesellschaft werden, wenn man sich nicht um sie kümmert. Wenn man diesen Personen und den Flüchtenden keine Hoffnung gibt, werden sie zu Gesetzlosen und schaffen weitere Probleme.

Nourat singt also für Witwen und Waisen?

Wir spenden auch an Waisenhäuser, singen allein genügt nicht. Taten haben mehr Wirkung. Und andere können diesem Beispiel folgen.

Beim Soundcheck war zu hören, dass deine Musik für Stimmung sorgt, sie Mut macht, für eine bessere Welt zu kämpfen.

Ich möchte der Welt sagen, Ungleichheiten und Unterschiede, Spannungen und Streitereien beiseite zu lassen und sich zu einen. Ohne Frieden gibt es keine Entwicklung. Wir müssen Frieden und Liebe fördern.

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Aktuelles Album:

Pectoral (Eigenverlag, 2023)

 

Videolink:

www.youtube.com/@nouratetleslions3047

Aufmacherfoto:

1 Kommentar

  1. Wow, Martina, ich habe Dein Interview mit Nourat gelesen, und ich bin begeistert! Ich erlebe Euch Beiden als starke Frauen, die ihren Beitrag leisten, mit Bedacht die Missverständnisse der Welt zu ändern, kulturell, emanzipatorisch und politisch. Du, weil Du ohne ein ausgiebiges Wissen nicht diese Fragen hättest stellen können und so gut hättest aufbauen können. Genial, wie Du an ihre Antworten anknüpftest! Und Nourat, weil sie mit Mut, Zurückhaltung und Geduld ihren Weg ging, ohne sich selbst dabei zu verlieren. Dieser Weg ist noch nicht abgeschlossen und wird es sicherlich niemals sein, aber mit Frauen wie Euch wird uns Kultur, Spiritualität erhalten bleiben und politische Veränderungen hoffentlich in die richtige Richtung möglich machen. Ich danke Dir/Euch sehr!

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