Serie: Tanzmusik aus dem deutschsprachigen Raum (3)
Neidvoll blicke ich aus dem Norden Deutschlands nach Bayern, Franken und Schwaben, auf deren Volksmusikpflegestellen, Volksmusikvereine sowie Förder- und Beratungsangebote für Volksmusik und -tanz. Diese sind Anlaufstellen für alle, die sich für traditionelle Musik der jeweiligen Region interessieren, diese spielen oder dazu tanzen. In diesen Institutionen arbeiten Menschen, die diese Musik lieben und praktizieren und dazu oft einen wissenschaftlichen Hintergrund haben. Aber auch im Süden Deutschlands gibt es in dieser Hinsicht ein paar weiße Flecken auf der Landkarte, beispielsweise die Region um Freiburg im Breisgau und den Schwarzwald.
Text: Merit Zloch
Durch einen von einem lokalen Bierhersteller ausgeschriebenen Wettbewerb wurde ich auf die Badische Bråtwurschtmusig aufmerksam. Die Musikerinnen und Musiker schreiben über sich: „Im Mittelpunkt des Ensembles stehen die Streichinstrumente, dazu gesellen sich Harmonika, Harfe, Hackbrett und Tuba – je nach Anlass in größerer oder kleinerer Besetzung. Mit unserem Namen beziehen wir uns auf Musikanten, die man ‚Bråtwurschtmusig‘ nannte, weil sie immer dann auftauchten, wenn sie für ihre Musik eine (essbare) Gegenleistung erwarten konnten.“
Ich habe mich mit Ines, Benjamin und Paul Barth unterhalten, drei der Musikerinnen und Musiker des bis zu elf Menschen zählenden Ensembles. Dabei habe ich viel gelernt und zu meinem Erstaunen einige Gemeinsamkeiten zur tradmusikalischen Situation im Norden entdeckt.
Angefangen hat alles als „Wohnzimmermusik“ vor bereits zwanzig Jahren. Zwei Familien hatten sich bei einem Volksmusikkurs kennengelernt und wollten gern gemeinsam spielen. Bald traf man sich im zum Musizieren mit Kind und Kegel im Wohnzimmer bei gutem Essen und Gemütlichkeit. Inzwischen sind elf Leute im Bandpool der Badischen Bråtwurschtmusig. Das jüngste Mitglied ist sieben, die Ältesten gehen auf die siebzig zu. Die Kinder wachsen auf selbstverständliche Art und Weise in traditionelle Musik hinein. Es ist ganz normal, dass fast ausschließlich nach Gehör gelernt und dabei genau abgehört wird, wie man eine Tanzmelodie so spielt, dass sie in die Beine geht.
Für den siebzehnjährigen Benni Barth ist Volksmusik nicht nur Familiensache, sondern eindeutig „seine“ Musik. Dabei spielen sicher Erlebnisse wie das Spielen auf dem legendären niederbayerischen Musikertreffen Drumherum (in Regen, alle zwei Jahre zu Pfingsten) eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dort trifft man viele junge Leute, die für Volksmusik brennen, sich ansonsten aber nicht von ihren Altersgenossen unterscheiden. Festivals wie dieses machen durch ihre ausgelassene, entspannte Grundstimmung und ihr Publikum die Identifikation mit traditioneller Musik zu einer ganz normalen Sache.
„Kinder wachsen auf selbstverständliche Art und Weise in traditionelle Musik hinein.“
Das Tanzmusikrepertoire der Bråtwurschtmusig besteht aus Walzer, Polka, Mazurka, Rheinländer, Ländler und Zwiefachem. Paul Barth spielte 2004 schon länger gemeinsam mit seinen Adoptivgeschwistern als Ensemble Kompromissbachmusikanten Musik aus Baden-Württemberg und brachte diese in die Band ein. Durch Kontakte nach Bayern, Schwaben und in die Oberpfalz kam Musik aus diesen Regionen hinzu.
Für regionale Tanzmusik mit einer traditionellen Streicherbesetzung als Kern ist die Bråtwurschtmusig in der Gegend die einzige Kapelle. Eine Volksmusikszene wie in Franken oder Bayern gibt es in Baden nicht.
Aber es gibt das, was für „Laienmusizieren“ andernorts häufig fehlt: Spielgelegenheiten. Zu nennen sind beispielsweise das Freiburger Mitmachfestival Freiburg stimmt ein und der Volksmusiktag Baden-Württemberg im Freilichtmuseum Neuhaus ob Eck. Die Badische Bråtwurschtmusig ist in weiteren Freilichtmuseen im Umkreis gern gesehener musikalischer Gast bei Museumsfesten und Co. bis in den Elsass hinein.
Eigeninitiative ist natürlich trotzdem da, so schafft man sich auch selbst Musiziermöglichkeiten. Zweimal im Jahr organisiert die Bråtwurschtmusig im Freiburger Traditionsgasthaus Schützen einen Wirtshaustanz. Das Publikum kennt die Tänze, Tanzerklärungen gibt es nicht. Der Tanzabend wird finanziell vom Landesmusikrat unterstützt und gesponsert, was seit der Pandemie besonders nötig ist. Der Saal, der vorher für Gruppen umsonst nutzbar war, wenn diese Speisen und Getränke aus dem Wirtshaus bezogen, kostet nun nämlich Miete – ein Phänomen, das man vielerorts beobachten kann. Ohne die Unterstützung des Landes gäbe es den Tanzabend nicht mehr.
Ein schönes Beispiel für Impulse der Volksmusikpflege an traditionelle Musikschaffende ist außerdem ein Gemeinschaftsprojekt mit der AG der Sing-, Tanz- und Spielkreise zu Aufnahmen von traditioneller Musik. In diesem Rahmen hat die Bråtwurschtmusig sieben Zwiefache aus dem Schwarzwald und dem schwäbischen Ried arrangiert und für einen Sampler mit dem Titel Zählnomol aufgenommen.
Am wichtigsten für die Musikerinnen und Musiker der Badischen Bråtwurschtmusig war aber ein Wettbewerb für Folk und Weltmusik des Landes Baden-Württemberg, bei dem sie vor zwei Jahren den ersten Preis gewannen. Sie setzten sich mit ihrer bodenständigen, regionalen Musik gegen zahlreiche Fusionprojekte und Experimentelles durch. Für sie war das eine „Anerkennung, dass wir solide Arbeit machen und richtig gute Musik, Anerkennung für die ganze Arbeit von über einem Jahrzehnt“.
Aber was hat es nun eigentlich mit dem Wettbewerb des lokalen Bierherstellers auf sich? Die Badische Bråtwurschtmusig möchte gern Tanzmusik aus einem Klarinettenmanuskript aus dem Schwarzwald von circa 1885 aufnehmen und nutzte die Gelegenheit des Wettbewerbs unter dem Titel „Euren Einsatz für eure Region“, sich zu bewerben und Publikumsstimmen zu sammeln. Das Manuskript kommt von einem Bekannten der schon erwähnten Kompromissbachmusikanten. Paul Barth musste die ersten Stimmen der Tanzmelodien teilweise erst rekonstruieren, denn oft waren nur die zweiten Stimmen aufgeschrieben – die ersten brauchten damals nicht notiert zu werden, die kannte „man“ ja. Mit 906 Publikumsstimmen gewann die Bråtwurschtmusig den „Bronze Award“ für dieses Projekt.
Autorinneninfo: Merit Zloch spielt, arrangiert und unterrichtet seit 25 Jahren einheimische Musik solo und im Ensemble auf der böhmischen Hakenharfe. Sie organisiert außerdem Musikertreffen und Kurswochenenden.
www.meritzloch.net
Videos:
Onlinebenefizkonzert zu Dreikönig 2021: www.youtube.com/watch?v=mvs2aqNsCPk
Badische Bråtwurschtmusig mit Kolo aus Serbien bei „Freiburg stimmt ein“ 2021: www.youtube.com/watch?v=cMaBHR7pNk0
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