Nicht allzu viele Flamencosänger und -sängerinnen können sich derart gut und einfühlsam in (mindestens) zwei Musikwelten mit gleich starker, aber eben auch ungleicher gesanglicher Anmutung behaupten. Die Endfünfzigerin aus Barcelona gehört seit Langem zu den wichtigsten, fähigsten Vertreter:innen des Flamenco aus Katalonien. Auch schon sehr lange frönt sie immer wieder mal auf sehr gelungenen Alben ihrer Liebe für diverse Liedkulturen, vor allem dem Bolero. Wie „Tätowierungen“ ist mit ihr die vorliegende Liedsammlung verbunden, die mit Violeta Parras „Gracias A La vida“ beginnt und andere Kompositionen ihres Landsmannes Joan Manuel Serrat und des großen, 2022 verstorbenenen Barden Pablo Milanés enthält wie auch zwei nicht spanischsprachige Kompositionen: Brels „Ne Me Quitte Pas“ und „Eu Sei Que Vou Te Amar“ von Tom Jobim und Vinicius de Moraes. Angenehm schlicht und wohldosiert intoniert zusammen mit Piano, Kontrabass und Schlagzeug, setzen Martíns Interpretationen nicht auf Neues, unnötig Innovatives, sondern allein auf Ausdruckskraft und Gefühlsintensität. Nach 55 Minuten wird man entlassen mit der Erkenntnis, wie weltgewandt und über ihren regionalen und zeitlichen Kontext hinaus gewisse Lieder wirken und bestehen können.
Karin Wilke
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