Was ist denn da los? Eine der renommiertesten Institutionen für deutschsprachige Liedermacher und -macherinnen steht offenbar vor dem Aus. Auf der Startseite des Webauftritts der Liederbestenliste finden sich nach wie vor die Top 20 aus dem Dezember, wo sonst mit dem Monatswechsel immer bereits die aktuelle Wertung zu sehen war. Und unter dem Menüpunkt „Aktuelles/Neues aus der Liederszene“ findet sich als letzter Eintrag ein Statement mit dem Titel „Zur Lage der Liederbestenliste“, das bereits vom 27. September 2024 stammt. Darin heißt es, dass seit im Oktober 1983 die Liederbestenliste erstmals vom SWF (später SWR) ausgestrahlt, und von vielen anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern übernommen wurde, im Laufe der Jahre mehr und mehr Rundfunksender ihre vorgesehen Sendeplätze eingestellt hätten, zuletzt der WDR im Juli 2024.
„Im Raum Berlin/Brandenburg und im Raum Nordhessen“, heißt es in der Verlautbarung weiter, „werden die Ergebnisse der monatlichen Wertung auch weiterhin vorgestellt und sind weltweit per Livestream empfangbar. Von einer flächendeckenden Versorgung kann aber keine Rede mehr sein. Neue Sender zu finden gestaltet sich bislang schwierig. Zudem stellt sich die Frage, ob die Hörerschaft, aufgrund der sehr eingeschränkten Empfangsmöglichkeiten, noch Interesse an den Ergebnissen der Liederbestenliste hat und ob auch die einreichenden Musikschaffenden unter diesen schwierigen Umständen noch eine Bewertung wünschen. Die Jurymitglieder machen diese Arbeit ehrenamtlich (teilweise schon seit 1983). Da steckt eine Menge ‚Herzblut‘ drin. Neue Interessierte zu finden, die in der Jury mitarbeiten wollen und die das ‚nötige Rüstzeug‘ dafür haben, ist ebenso aufwendig wie die Suche nach neuen Radiosendern. Um es gerade heraus zu sagen, scheint eine Fortsetzung der Herausgabe der Liederbestenliste über den 31.12.2024 hinaus kaum noch möglich zu sein.“ Das Ganze schließt mit einem Aufruf, dass wer gegebenenfalls Anregungen im Hinblick auf die gestellten drängenden Fragen hat, sich gerne per E-Mail an kontakt@liederbestenliste.de wenden kann.
Seitdem sind fast vier Monate ins Land gegangen, und eine Januarwertung ist tatsächlich nicht erfolgt. Auf Nachfrage ließ uns der Koordinator der Liederbestenliste, Dieter Kindl, wissen, dass die Verantwortlichen sich „die Frage stellen mussten, ob die Fortsetzung der Wertungen überhaupt noch einen Sinn macht.“ Und weiter: „Die erforderliche Anzahl an Jurymitgliedern … ist … auch nicht mehr gewährleistet. Diese Umstände haben dazu geführt, dass der Vorstand des Trägervereins der Liederbestenliste, Deutschsprachige Musik e. V., den Entschluss gefasst hat, die Wertungen … ab 2025 einzustellen. Wir bedauern diesen Schritt. Mitte März werden wir uns bei der Jahreshauptversammlung … darüber unterhalten, und vielleicht findet sich bis dahin eine Lösung für das Problem.“ Man verspricht, zeitnah über die Ergebnisse zu informieren.
Schon einmal stand die Fortführung dieser Charts des anspruchsvollen deutschsprachigen Liedes in Frage. Als 2003 der SWR als Heimstätte der Liederbestenliste aus dem Projekt ausstieg, war es die Gründung des bis heute bestehenden Trägervereins, die den Fortbestand sicherte. 2014 startete man mit einem Crowdfunding, das eine neue, modernere Website hervorbrachte, den Versuch, das Projekt zu modernisieren und in die Zukunft zu transferieren. Das schien einige Jahre auch zu funktionieren, aber mit dem Verlust weiterer reichweitenstarker Sendeplätze und der wachsenden Schwierigkeit, Nachwuchs für die Juryarbeit zu begeistern, begann auch der Liederbestenliste die Luft auszugehen. Nun darf man gespannt sein, was die Mitgliederversammlung in zwei Monaten entscheidet.
Ironie des Schicksals dabei: Auf Platz eins der (vielleicht letzten) Liederbestenliste im Dezember 2024 stand der Wenzel-Song „Die Hoffnung ist im Eimer“ von seinem Album Strandgut der Zeiten. Das sollte hoffentlich kein Omen sein. Wir werden auf jeden Fall über die weitere Entwicklung berichten.
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