Ich kann nur immer wieder bei mir bleiben und mich dem hingeben, was mich selbst berührt und erfüllt. Somit ist das künstlerische Schaffen eine Art Selbstzweck. Der Weg ist das Ziel.
Gleichzeitig kann ich durch das kreative Schaffen viel über mich selbst erfahren. Es kann dabei helfen, den eigenen Zustand, die eigene Stimmung zu begreifen und tiefere Einsicht zu erlangen. Es hat also mitunter etwas sehr Heilsames, gar Therapeutisches. Und es kann dir vielleicht sogar neue Lösungen aufzeigen, denn es schafft einen Zugang zu deinem Unterbewusstsein.
Wo fange ich an? – Die passende Umgebung schaffen
Suche dir einen Ort, an dem du dich wohlfühlst, du ungestört bist, dich möglichst nichts ablenkt. Einen Ort, an dem du nur mit und bei dir sein kannst. Ich selbst habe ein kleines Ritual. Ich zünde mir vor jeder Session eine Kerze an und sitze erst einmal ein paar Minuten in Stille, ehe ich zu schreiben oder komponieren beginne. Das hilft mir dabei, einen Fokus zu finden und mich zu konzentrieren. Vielleicht geht es dir ähnlich?
Grundsätzlich laufen kreative Prozesse bei jedem Menschen anders ab. Auch hierfür ist das Schreiben eine gute Möglichkeit, dich selbst besser kennenzulernen. Probiere zum Beispiel unterschiedliche Tageszeiten aus für eine Session.
Ich weiß von einer befreundeten Liedermacherin, Laura Braun, dass ihr die besten Songideen beim Autofahren kommen. Für sie ist eine leichte Beschäftigung, die ihr nicht zu viel abverlangt, in Verbindung mit einem bewegten Äußeren offensichtlich sehr anregend. Und nicht ohne Grund ist das Spazierengehen ein typisches Bild von Dichtern und Denkern.
Der innere Kritiker – Bewertung rauslassen
Es gibt in einem kreativen, künstlerischen Prozess kein „richtig“ oder „falsch“, kein „gut“ oder „schlecht“. Ganz im Gegenteil. Alles ist willkommen. Das ist ja das Befreiende daran! Und auch hoch spannend! Scham ist beispielsweise ein sehr beachtenswertes Gefühl. Sich damit, wie mit allen anderen Emotionen, die möglicherweise unerwartet, gar ungewünscht auftauchen, auseinanderzusetzen, kann sehr spannend und inspirierend sein. Erinnere dich stets daran, dass gerade das Unperfekte, das Eigensinnige, Individuelle, Persönliche dich als Mensch und damit auch dein Kunstwerk, dein Lied ausmachen. Keine KI der Welt kann das ersetzen. Versuche also, so schwer es vielleicht auch sein mag, deinen inneren Kritiker, der immerzu bewerten möchte, auszuschalten. Und lass den Anspruch fallen, dass du etwas Großartiges, Vollkommenes erschaffen willst. Das nimmt den Druck raus.
Mindset – Unendliche Möglichkeiten
Der Musikproduzent Rick Rubin hat es einmal die „Mentalität der Fülle“ genannt. Vertraue darauf, dass dir Dinge in den Sinn kommen werden, über die du schreiben kannst, und darauf, dass du inspiriert sein kannst, wenn du magst, dass du Melodie und Text finden wirst und sich auch die passende Harmonie dazugesellen wird. Es ist alles schon da.
Vertraue dir und deiner Stimme, deinem Ausdruck. Wenn dir gerade so gar nichts passend erscheinen mag, kannst du zum Beispiel auch einfach mit Fragmenten arbeiten, spielerisch Wortketten bilden. Versuche, den Kopf auszustellen und einfach draufloszuschreiben, ins Machen zu kommen, Seiten zu füllen. Dadaismus olé! Deine kreative Schaffenskraft ins Fließen zu bringen, bedeutet auch, dich von deiner Intuition leiten zu lassen. Schreibe aus dem Bauch heraus.
Über Herbert Grönemeyer habe ich einmal gelesen, dass er Sätze, die er als stark empfindet, immer direkt in sein Handy tippt und diese Fragmente später zu Liedtexten zusammenpuzzelt. Auch ich habe immer ein Schreibheft bei mir, in das ich im Alltag Gedankenfetzen notiere. Dieser Fundus dient mir später oft als Grundlage für Lieder.
Inspiration/Flow
Meine Inspiration ziehe ich aus allem Möglichen. Entscheidend dabei ist für mich, dass mich etwas tief berührt und nachhaltig beschäftigt, mir also länger präsent bleibt oder es mir als sinnvoll und wichtig erscheint, etwas Bestimmtes zu thematisieren.
Auch du findest bestimmt etwas, das dich berührt und bewegt. Vielleicht ist es ein Gespräch, das du kürzlich geführt hast, oder eine besondere Begegnung. Etwas Schönes, etwas Trauriges oder sonst ein Thema, das dir am Herzen liegt. Nutze den Text und die Musik als Ventil. Auch Wut kann ein guter Motor sein. Vielleicht möchtest du auch jemandem ganz konkret eine Botschaft senden mit deinem Lied? Fragen wie „Für wen schreibst du?“, „Was ist dein Anliegen?“ können dir Impulse geben. Manchmal entwickeln sich die Geschichten und auch die Essenz von dem, was erzählt werden will, erst beim Tun. Versuche, die Kontrolle abzugeben, dich dem kreativen Flow hinzugeben. Vielleicht hilft es dir auch, die Idee loszulassen, dass du alles sofort intellektuell begreifen musst.
Ich selbst übe mich darin, das Schreiben und Komponieren nicht zu forcieren im Sinne von „Ich muss dieses Lied fertigkriegen“ oder „Ich muss produktiv sein“. Wenn ich merke, dass es so gar nicht fließen will, versuche ich eher loszulassen. Ich spiele stattdessen zum Beispiel ein paar Lieder von Künstlerinnen und Künstlern, die mir gefallen, oder ich improvisiere mit Text und Melodie.
Dass ich nichts abliefern muss, mir keine Plattenfirma im Nacken sitzt, die mir Deadlines diktiert, empfinde ich als großes Glück und Freiheit. Dem Druck des Musikgeschäfts zu trotzen und mir meine innere Freiheit zu behalten, mein eigenes Tempo zu wahren und immer wieder neu auszuloten, was gerade für mich dran ist, empfinde ich als Teil meines künstlerischen Weges. Es ist herausfordernd, vor allem auch das Aushalten, wenn gerade mal nichts passiert, der schöpferische Prozess (gefühlt) stagniert, aber er ist eben immer wieder auch zutiefst erfüllend.
Anfängergeist wahren – achtsam bleiben
Mir hilft es enorm, mich beim Schreiben von der Idee eines kindlichen, grundoffenen Entdeckermodus leiten zu lassen. Damit versuche ich, die Idee vom Anfängergeist zu wahren und das Ganze stets als ein Experiment zu verstehen und Freude daran zu entwickeln, dass ich während des Tuns noch nicht weiß, wohin mich der Schreibprozess am Ende führen wird. Lass auch du dich von deiner eigenen Neugierde auf das, was sich zeigen mag, leiten. Lass dich überraschen! Und vertraue auf deine Intuition, die Eigendynamik, die sich beim Tun entwickeln wird. Eine Essenz von dir fließt unweigerlich in dein Lied ein. Nimm es nicht zu ernst. Oder wie Joseph Beuys es einmal so schön formulierte: „Spiele mit allem!“
Chaos/Struktur
Auch was die eigene Ordnung angeht, ist jeder Mensch anders. Und was bedeutet eigentlich „kreatives Chaos“? In jedem Fall lohnt es sich, das rechte Maß von Chaos und Struktur immer wieder neu für sich selbst auszuloten. So kannst du zum Beispiel auch deine eigenen Hörgewohnheiten in Frage stellen beziehungsweise beim Komponieren damit experimentieren. Alles Vorhersehbare ist in jedem Fall langweilig.
Auch ich versuche immer wieder, meine eigene Routine zu brechen und neue Möglichkeiten auszuloten, um mich selbst weiterzuentwickeln und zu wachsen.
Text/Melodie/Harmonie
Falls du schon eine bestimmte Melodie zu einer Textpassage im Ohr hast, kannst du auf einem Harmonieinstrument (sehr beliebt sind dafür das Klavier oder die Gitarre) passende Akkorde finden. Vielleicht kommt dir auch zuerst eine Melodie oder Harmoniefolge in den Sinn, die dich fasziniert und eine bestimmte Stimmung erzeugt. Dann kannst du ausprobieren, was textlich für dich dazu passt. Oder du steuerst mit dem Text bewusst gegen die Musik – auch das kann sehr spannend sein.
Während meines Studiums an der Universität der Künste Berlin sprach ein Professor im Zusammenhang von Spannungserzeugung gerne vom „grünen Punkt auf der roten Fläche“. (Nun hast du auch ein Bild dazu … 😉 Es gibt auch Lieder, die ganz ohne Harmonien auskommen, so wie zum Beispiel der A-cappella-Song „Mercedes Benz“ von Janis Joplin.
Wenn sich für dich textlich die Botschaft deines Liedes herauskristallisiert hat, kannst du auch ganz bewusst entscheiden, wie du auf der musikalischen Ebene damit umgehen willst. Willst du sie stärken, in dem du etwa bestimmte Textstellen wiederholst? Oder willst du einen musikalischen Kontrast schaffen? Du kannst auch mit der Dynamik spielen. Es kann auch große Freude machen, mit der Textphrasierung zu spielen. Oder deinen Text auf bereits bestehende Songmelodien zu packen und so andere Betonungen und Melodieideen zu erhalten.
Auch hier gibt es unendlich viele Möglichkeiten, wie du den Text zur Musik in Beziehung setzen kannst.
Das Lied ist fertig
Wann ist das Lied fertig? Das wirst du intuitiv spüren. Bei mir ist es so, dass ich neue Lieder gerne eine ganze Weile live bei Konzerten „rund“-spiele, ehe ich sie aufnehme, und sie auf diese Weise in ihre finale Form finden. In dieser Zeit entwickle ich sie auch immer noch ein bisschen weiter, besonders was das Tempo und mögliche Arrangements angeht. Ich gehe aber immer erst mit einem Lied an die Öffentlichkeit, wenn für mich die Botschaft des Liedes ganz klar und stimmig ist.
Jedes Lied ist auch immer eine Momentaufnahme. Das nächste Lied wird kommen, und durch die Arbeit daran wirst du dich weiterentwickeln und wachsen, formen und festigen. So wird sich im Laufe der Zeit unweigerlich dein eigener Stil etablieren. Halte nichts zurück. Warte nicht auf den perfekten Moment.
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