Es ist sehr erfreulich, dass in letzter Zeit junge Gruppen in Europa verstärkt anatolische Traditionen aufgreifen und diese in eine zeitgemäße, moderne Form bringen. Schon in den Sechzigern hatte Erkin Koray in der Türkei sehr erfolgreich Rock und anatolische Wurzeln miteinander verbunden. Seit fast dreißig Jahren sind die psychedelisch orientierten BaBa ZuLa aus Istanbul eine Konstante in der Weltmusik. Dabei war in Deutschland populäre türkische Musik seit Jahrzehnten präsent – allerdings für viele Menschen verborgen im Salonu türkischer Gemeinschaften.
Text: Willi Klopottek; Fotos: Helena Gladen
Wie gut, dass seit einigen Jahren junge Musikschaffende mit Wurzeln in der Türkei ihre speziellen Sounds einem breiteren Publikum bekannt machen. Dazu gehört die in Istanbul lebende Gaye Su Akyol, aus Amsterdam kommen Altin Gün, Derya Yıldırım & Grup Şimşek wohnen in Berlin, und eine Reihe anderer Musikerinnen und Musiker sind ähnlich aktiv.
Ganz neu in der Szene ist nun die Band Aylin’s Soulgarden. Im Kern handelt es sich um ein Quartett, das sich auf dem im Oktober 2024 erschienenen Album Bu Bir Demdir mit einigen musikalischen Gästen verstärkt hat, die Schlagzeug und gelegentlich Streicher hinzufügen. Die Gruppe hatte bereits 2023 die Single „Derde Care“ herausgebracht – einen auch auf dem Album enthaltenen Titel.
Die Augsburgerin Aylin Yıldırım steht am Mikrofon, ihr Bruder Eren Yıldırım spielt die elektrisch verstärkte und mit Effekten versehene Langhalslaute Saz sowie die kleinere Tenbûr-Laute. Das Geschwisterpaar gehört der Gemeinschaft der Aleviten an, einer Glaubensrichtung im Islam, die nicht von religiöser Rigorosität, sondern von Humanismus und Toleranz geprägt ist.
Für ihr Debütalbum haben die beiden verschiedene Gedichte ausgewählt, von denen zwei aus der kurdischen Tradition stammen, doch zum großen Teil sind es Texte von Aşıks. Als „Aşıks“ werden reisende Troubadoure bezeichnet, die jahrhundertelang als Dichter und Geschichtenerzähler durch das Land reisten und sich mit der dickbauchigen Saz begleiteten (sie existieren übrigens auch heute noch unter verschiedenen Bezeichnungen vom Bosporus bis hin nach Zentralasien). Oft ging und geht es in ihren Texten um Liebe und Schmerz, aber sie lasen auch den Mächtigen mit kritischen Texten die Leviten.
Zwei vertonte Gedichte auf dem Album von Aylin’s Soulgarden stechen besonders hervor. „Deli Gönül“ stammt von Yunus Emre, der um 1321 starb und in der Türkei als einer der ersten Volksdichter gilt. Und das Titelstück des Albums, „Bu Bir Demdir“, basiert auf einem Poem aus dem sechzehnten Jahrhundert von Pir Sultan Abdal, der besonders von Aleviten verehrt wird.
Zur Band gehören außer den beiden Yıldırıms Paul Etschberger an Keyboard und Synthesizern und Girisha Fernando, der für Bass, Gitarren, Beats und Strings zuständig ist. Fernando hat Erfahrungen im Jazz, Nu Jazz und Hip-Hop gesammelt und ist ebenso wie Etschberger, der am Staatstheater arbeitet, in der Augsburger Musikszene verankert – unter anderem als künstlerischer Leiter des Water-&-Sound-Festivals. Etschberger arbeitet am Augsburger Staatstheater.
Die Kompositionen der Band und ihre musikalische Umsetzung sind Ergebnis der Kooperation aller vier Bandmitglieder. Melodien und rhythmische Grundierung der neun Stücke auf dem Album basieren unüberhörbar auf anatolischen Traditionen und werden von der dunklen Stimme Aylin Yıldırıms und dem Sazspiel ihres Bruders überzeugend umgesetzt. Ihre beiden Mitstreiter sorgen dafür, dass aus den Kompositionen eingängige, oft tanzbare Nummern mit deutlichen Popbezügen werden. Aufgenommen und produziert wurde das Album in Fernandos eigenem Offshore Studio7.






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