Mit ihrem neuen Album setzt die Münchener Liedermacherin ein deutliches Zeichen. So macht sie sich nicht nur für die weibliche Perspektive in der Gesellschaft stark, als eine der wenigen Liedermacherinnen nimmt sie auch ihr Management komplett selbst in die Hand.
Text: Erik Prochnow; Fotos: Amelie Niederbuchner
„Liederschreiben hat schon etwas Wahrsagerisches“, sagt Miriam Hanika mit einem nachdenklichen Blick auf ihr aktuelles Album *innenleben und setzt hinzu: „Seit dem Ende der Aufnahmen im Herbst 2024 sind so viele Dinge passiert, die mir die Lieder noch einmal ganz anders erklären.“ Wie so oft in ihren Kompositionen geht es der vielseitigen, in klassischer Oboe ausgebildeten Musikerin vor allem um die Themen Freiheit, Selbstverantwortung und Gleichberechtigung. Sah sie sich früher meist als Beobachterin gesellschaftlicher Entwicklungen, rücken die neuen Songs sie plötzlich selbst in den Fokus. Denn mit ihrem vierten Liedermacheralbum hat sich die 37-Jährige von ihrem großen Idol Konstantin Wecker freigemacht und steht nun endgültig auf eigenen Beinen.
„Eigentlich hatte ich schon länger den Wunsch, mein eigenes Label zu gründen“, sagt die von Wecker entdeckte Künstlerin, die bislang bei dessen Plattenfirma Sturm & Klang veröffentlichte. „Allerdings war ich zu sehr beschäftigt und hatte mich nicht getraut.“ Dann erhielt sie Anfang des Jahres, zwei Wochen vor Erscheinen ihrer ersten neuen Single, die Nachricht des Labels, dass sich die Konditionen verändert hätten und sie den größten Teil der Veröffentlichung selbst bezahlen müsse. „Ich war schockiert, denn die Tour mit bis zu vierzig Konzerten war schon geplant und ich hatte das Geld nicht“, sagt Hanika. Schließlich verkaufe sie CDs nur, wenn sie auch spiele, und um das Album nun herauszubringen, brauchte sie einige Monate Zeit.
„Liederschreiben hat etwas Wahrsagerisches.“
Aber Hanika ist niemand, der sich lange in Schwierigkeiten verliert. Sie erkannte die Chance und handelte. „Ich singe so viel davon, dass auch wir Frauen die Dinge in die Hand nehmen müssen, und dazu gehört, sich von alten Strukturen freizumachen“, beschreibt sie die Entscheidung, ihr eigenes Label Louise zu gründen. Die in München lebende Musikerin trieb schließlich das Geld durch Spenden auf und veröffentlichte *innenleben im Juli, zur Halbzeit ihrer Tournee. Inzwischen ist sie froh über ihren Mut. „Jetzt sagt mir niemand mehr, auch ich mir selbst nicht, was ich zu tun habe“, ist Hanika begeistert. Denn auch wenn sie bislang niemals beim Liederschreiben Vorgaben bekam, beschlich sie doch immer unterschwellig das Gefühl, etwas bedienen zu müssen. Mit ihrem eigenen Label kann sie ihrer Kreativität nun völlig freien Lauf lassen.
Bereits in den vergangenen zwei Jahren überraschte sie durch eine unglaubliche musikalische Vielfalt und ein hohes Output. Seit ihrem letzten Soloalbum, Wurzeln & Flügel, das im Herbst 2023 erschien, hat sie nicht nur die international gelobte Instrumentalproduktion Schilflieder mit eigenen Kompositionen für Oboe und Band veröffentlicht, die eher jazzig klingt. Mit dem Bläserensemble Dandelion Quintett hat sie zudem das Album Windspiel herausgebracht und im Januar in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk das Nachfolgeprojekt aufgenommen. Zudem schrieb sie die Songs für *innenleben, die eine ganz neue Richtung nahmen. „Ich wollte mal etwas machen, wo alle Leute dabei sind, mit denen ich gemeinsam musiziere“, sagt die Liedermacherin, die am Musikgymnasium in Weimar ihre Karriere begann. Für die neuen Songs versammelte sie nicht nur ihre bisherigen Bandmitglieder inklusive ihres Lebenspartners Simon Popp am Schlagzeug, sondern auch das Dandelion Quintett unter dem Namen „Poesie Orchester“. Das Ergebnis sind – bis auf den Titelsong – Arrangements, die voluminöser, poppiger, orchestraler, ja, auch klassischer klingen und jegliches Genredenken vergessen lassen. Allein im Stück „Das Leben und sein Plan“ kehrt sie zu ihrem bisherigen, an Wecker erinnernden Liedermacherstil zurück, der sie bekannt gemacht hat. Aber das war wohl einer dieser unbewussten Vorausahnungen. Denn In diesem Song setzt Hanika sich damit auseinander, dass man im Leben nicht nach vorne schauen, sondern nur sehen kann, was hinter einem liegt. „Wir leben das Leben vorwärts, um es dann rückwärts zu verstehen“, sagt sie.
Für Hanika bedeutete das vor allem, sich musikalisch zu verändern. „Was ist man als Künstler, wenn man sich nicht weiterentwickelt?“, fragt sie sich. Auf dem neuen Album demonstriert sie diesen neuen Weg nicht nur musikalisch, sondern auch in der Textsprache. Zwar äußert sie sich wie gewohnt gesellschaftskritisch, allerdings viel vager, mehr aus persönlichen Beziehungen heraus und deutlich poetischer. So hat etwa der Titel „Immerhin haben sie eine Frau vorne hingestellt“ auf den ersten Blick mit dem Text des Songs gar nichts zu tun. Und dennoch bringt er ihre Kritik an der immer noch fehlenden Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen – „Equalismus“, wie sie es nennt – sehr gut zum Ausdruck. „Ich sehe mich nicht als Feministin und finde etwa, dass man nicht einfach aus Prinzip eine Frauenquote festlegen sollte, da das Männer diskriminieren könnte“, sagt Hanika. „Equalismus muss immer die konkreten Gegebenheiten betrachten.“ In „Trappist-1“ wundert sie sich aber auch über den Weltraumtourismus von Techunternehmern wie Jeff Bezos, während es unten auf der Erde doch viel drängendere Probleme gebe. Deutlich wird sie zudem in „Der nackte Kaiser“, wenn sie konkret die leeren Floskeln und Realitätsferne der Regierungen anhand des Märchens „Des Kaisers neue Kleider“ anprangert.
Aktuelles Album:
*innenleben (Louise, 2025)
Eines ihrer Hauptanliegen ist Authentizität. „Freiheit bedeutet für mich, das Innerste künstlerisch nach außen kehren zu können.“ Damit das gelingt, unterrichtet sie auch Oboe. „Das sichert mir ein Existenzminimum und gibt mir den Raum, mich im Winter zurückzuziehen, um neue Musik zu komponieren“, sagt Hanika, deren Eltern beide als freischaffende Kirchenmusiker arbeiten. Den Anstoß für neue Projekte gibt ihr dabei meist das Lied eines zuletzt entstandenen Albums. Im aktuellen Fall war es das Titelstück, „*innenleben“. Die ruhige Klavierballade über die Beziehung zwischen Mutter und Kind in den neun Monaten vor der Geburt fällt als Auftakt aus dem neuen, poppigeren Stil tatsächlich heraus. „Es ist ein sehr in sich gekehrtes Lied über ein anderes Miteinander“, erläutert Miriam Hanika. Sie hat das Gefühl, dass ihr nächstes Album von dieser Nachdenklichkeit über eine humanistischere Welt geprägt sein wird, in der Stimme und Instrumente wie die Oboe stärker hervortreten. Aus ihrer Sicht wünscht sich das sogar das Publikum ihrer Konzerte vor allem im Osten. „Ich erlebe, dass es zu den düsteren Entwicklungen in der Welt eine Gegenbewegung gibt. Da draußen sind viele Menschen, die das Herz am rechten Fleck haben.“







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