Catherine MacLellan

Licht ins Dunkel bringen

9. Mai 2020

Lesezeit: 4 Minute(n)

Aktuelle Studien belegen: Musiker sind besonders anfällig für psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angstzustände. Die kanadische Singer/Songwriterin Catherine MacLellan hat das nicht nur am eigenen Leib erfahren. Sie erlebte hautnah, wie ihr berühmter Vater Gene MacLellan daran zerbrach. Um das gesellschaftliche Stigma der Erkrankung zu überwinden, entwickelte sie ein spezielles Konzertprogramm. Die Sängerin möchte zeigen, dass Betroffene mit depressiven Stimmungen nicht alleine bleiben, wenn sie den Mut finden, darüber zu reden.
Text: Erik Prochnow; Titelfoto: Millefiore Clarkes

Es ist ein Schatten, der sie immer begleiten wird. Catherine MacLellan war vierzehn Jahre alt, als sie ihren Vater Gene im Keller fand. Er hatte sich im Alter von 56 Jahren das Leben genommen. Doch schlimmer als dieses Erlebnis war für sie, dass niemand darüber sprach, worunter der berühmte kanadische Liedermacher viele Jahre gelitten hatte: Depressionen und Angstzustände. „Auch mein Vater hat nie gezeigt, was ihn tatsächlich innerlich bewegte“, erinnert sich Catherine MacLellan. „Auf dem Weg zu einem Psychiater meinte er nur zu mir, ich müsse stark sein.“


Musik als Ventil

Genau diese falsche Stärke sowie das mit psychischen Erkrankungen bis heute verbundene gesellschaftliche Stigma verhindern aus ihrer Sicht, dass sie frühzeitig erkannt und behandelt werden. Auch Catherine MacLellan litt lange unter psychischen Problemen. Es dauerte Jahre, bis sie sich ihren eigenen Depressionen stellen und mit dem Selbstmord ihres Vaters auseinandersetzen konnte. Musik wie beispielsweise auf ihrem aktuellen Album Coyote war dabei lange Zeit ihr einziges Ventil. Erst als sie in Gesprächen mit Freunden erkannte, dass auch andere Menschen ähnliche Probleme erlebten, verlor sie die Angst, mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen. „Als alleinerziehende Mutter wollte ich den Kreislauf innerhalb der Familie endlich durchbrechen und meiner Tochter keine Last für die Zukunft auferlegen“, sagt die Vierzigjährige. Für sie gleichen depressive Phasen einem langsamen Eintreten in eine Höhle, die dunkel, still und voller Schwere ist. „Es sind Gedankenmuster, in denen wir uns verlieren und die bis zum Selbstmord führen können.“

Um das öffentliche Bewusstsein für psychische Erkrankungen zu schärfen, öffnete die Singer/Songwriterin sich nach mehr als zwanzig Jahren erstmals der Musik ihres prominenten Vaters. Gene MacLellans Lieder wie „Snowbird“ oder „Put Your Hand In The Hand“ wurden von unzähligen Größen wie Elvis Presley, Joan Baez oder Bing Crosby gecovert oder verhalfen der Sängerin Anne Murray zum internationalen Durchbruch. Vor drei Jahren nahm Catherine MacLellan mit If It’s Allright With You ein ganzes Album mit Liedern ihres Vaters auf. Sie stellte ein Tourprogramm zusammen, das sein Leben erzählt und ihrer beider psychische Erkrankung thematisiert. Und Catherine veröffentlichte den von Kritikern gefeierten Dokumentarfilm The Song And The Sorrow über Gene MacLellans Musik und seinen Kampf gegen Depressionen. Im Herbst 2020 will sie Teile des Programms auch in Deutschland präsentieren.


Finanzielle Unsicherheit erhöht das Erkrankungsrisiko

Laut offiziellen Statistiken leiden allein in Deutschland rund 5,3 Millionen Menschen an Depressionen und rund 12 Millionen an Angststörungen. Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Noch stärker als der durchschnittliche Bürger sind Musiker davon betroffen. Das belegen aktuelle Studien aus Großbritannien, Schweden und Kanada. So ergab 2017 die mit rund 2.200 Teilnehmern bislang weltweit größte Umfrage der britischen University of Westminster zu dem Thema, dass knapp 70 Prozent der Musiker unter psychischen Problemen leiden. Mehr als die Hälfte fand es zudem schwer, Hilfe zu finden. Die Liste prominenter Künstler, die von psychischen Erkrankungen betroffen waren oder daran starben, ist lang. Sie umfasst so klangvolle Namen wie James Taylor, Bruce Springsteen, Kurt Cobain, Adele, Sinead O’Connor oder Amy Winehouse. Oft gehen psychische Probleme mit Alkohol- und Drogensucht einher.

Die Gründe für die erhöhte Gefahr einer psychischen Erkrankung von Musikern sind vielfältig. „Das Schwierigste ist sicherlich die finanzielle Unsicherheit“, kommentiert Catherine MacLellan. „Neben dem Druck aus der Musikindustrie machen der ungeregelte Arbeitsalltag, die Schwierigkeit familiärer Beziehungen, Missbrauch sowie die Versuchungen von Alkohol- und Drogenkonsum die Künstler sehr anfällig“, fährt sie fort. Für sie sind deshalb ausreichend Schlaf, eine gesunde Ernährung, Meditation, das Sprechen über Emotionen mit vertrauten Personen und längere Auszeiten auf ihrer Farm auf Prince Edward Island die wichtigsten Faktoren, um psychisch stabil zu sein.

„Der Himmel färbt sich grau, weil ich den ganzen Tag keinen Freund gesehen habe“, sang Gene MacLellan in seinem Lied „Faces“ über seine depressiven Stimmungen. Damit brachte er auch eine große Ambivalenz zum Ausdruck. Denn einerseits ziehen viele Künstler aus ihren psychischen Krisen Inspiration. Andererseits können sie unter den Stimmungen zerbrechen. „Es kann zu schweren Selbstwertkrisen kommen, wenn der Zuspruch der Massen und der Erfolg ausbleiben“, bestätigt René Hurlemann, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Oldenburg. In einer Zeit, in der sich alles immer schneller wandeln muss, ist das Sich-Einlassen auf professionelle Hilfe für Musiker deshalb enorm schwierig. „Kürzer zu treten, wird als Schwäche ausgelegt“, ergänzt Hurlemann. Dabei lassen sich psychische Erkrankungen wie Depressionen heute sehr gut behandeln und Suizide, die selten spontan vollzogen werden, frühzeitig vermeiden.


Hilfsangebote für deutsche Musiker

Doch selbst wenn Künstler offen für professionelle Hilfe sind, ist es hierzulande nicht leicht, Unterstützung zu finden. Die Wartezeit auf einen Termin bei einem Therapeuten kann Monate dauern. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat deshalb 2015 das Friedemann-Weigle-Programm ins Leben gerufen. Das umfassende Beratungsprogramm richtet sich an Musiker, die psychisch erkrankt sind. Weitere Hilfe bietet die Deutsche Gesellschaft für Musikerpsychologie (DGfMP). Hilfsangebote nützen allerdings nur, wenn die Musiker bereit sind, sich ihren psychischen Problemen schonungslos zu stellen. „Jemandem zu eröffnen, dass man um Hilfe bittet, ist die entscheidende Tür, um aus den psychischen Problemen herauszukommen“, sagt Catherine MacLellan. „Mit meiner Musik will ich zeigen, dass niemand mit der Erkrankung allein sein muss.“ Sie selbst weiß aus eigener Erfahrung, dass es trotz aller Hoffnungslosigkeit immer ein Licht gibt. So singt sie etwa in ihrem neuen Lied „Breath Of A Wind“ über ihre Depression: „Sie kommt und geht, ich habe gelernt, dass sie nicht bleibt.“

Cover Coyote

catherinemaclellan.com

Aktuelle Alben:

Coyote (Eigenverlag, 2019)

If It’s Allright With You – The Songs Of Gene MacLellan (True North Records, 2017)

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