Daba bedeutet „jetzt“. Auf ihrem neuen, dem dritten internationalen Album zeigt die Sängerin ihre künstlerische Reife in der Verbindung traditioneller, arabischer und Sahraui-Elemente mit einer zeitgenössischen Ästhetik zwischen Soul, Jazz und Electro Trance. Die Marokkanerin will sich nicht mehr auf ihre Herkunft festlegen lassen und hat Daba in Berlin aufgenommen.
Text: Martina Zimmermann, Titelfoto: Lamia Lahbabi
In der Metropole fühlte Oum sich frei. „Berlin hat eine Kultur der elektronischen Musik und wir haben dort ein Studio gefunden, in dem akustische Instrumente der sogenannten Weltmusik bequem der anderen Kultur synthetischer Töne begegnen können.“ An diesem Ort spürte die Künstlerin keine musikalischen Vorurteile einer Marokkanerin gegenüber, fühlte sich nicht in eine Rolle gedrängt. Außerdem entdeckte sie das deutsche Wort „Zeitgeist“. „Ich fand, das passt gut zu einem Album, das ‚Jetzt‘ heißt. Es ist doch im Geist der Zeit.“
Zum ersten Mal arbeitet die Sängerin mit dem Wuschelkopf mit elektronischen Tönen. Oum hörte zwar auch zuvor Electro und tanzte darauf, aber nun wollte sie diese noch unbekannte Seite von ihr ins neue Album bringen. Die traditionellen Töne darauf sind für sie „natürlich“. „Diese Rhythmen sind Einflüsse, die ich in mir trage. Ich bin mit vielen Einflüssen aufgewachsen, mit andalusischen und afrikanischen Inspirationen, mit Gnawa-Musik.“ Nach den Vorgängeralben Soul Of Morocco und Zarabi wollte sich die zierliche Künstlerin nicht auf ihre Herkunft als Marokkanerin, Berberin beziehungsweise Afrikanerin beschränken. „Ich wollte mich auf die Zeit konzentrieren, die uns allen gehört, und sagen, wer ich in unserer Zeit bin.“
Atmosphärisch und poetisch entfaltet sich die Musik, ihre klare Stimme schmeichelt den Ohren und spendet Ruhe, Trost und auch Fröhlichkeit. „Es ist ein Album zum Fühlen“, sagt Oum. „Man kann schon tanzen, aber selbst wenn ein Stück rhythmisch ist, möchte man sich die Zeit zum Zuhören nehmen.“ Die Komponistin beabsichtigte, den Worten diesmal mehr Gewicht zu geben. Metaphern und Poesie fanden sich auch auf ihren vorherigen Alben; diesmal fand sie das Selbstvertrauen, sich die Zeit zu nehmen, langsamer zu sein. Gesang und Musik gewinnen dadurch an Intensität.
Eine Schlüsselrolle auf diesem Weg spielte Kamilya Jubran. Die in Paris lebende palästinensische Musikerin übernahm die künstlerische Leitung. Geplant war das nicht. Die Marokkanerin war zwar bereits Fan von Jubran, einer Künstlerin, Sängerin, Komponistin und Oudspielerin, aber erst als sich die beiden vor zwei Jahren auf einem Event zu palästinensischer Kunst in Casablanca, wo Oum mit Mann und Kind lebt, erneut begegneten, entstand eine freundschaftliche Korrespondenz. Sie schickte ihre ersten Texte für das neue Album sowie etwas Musik. „Diese Frau hat viel Erfahrung und viel Abstand und ein sehr starkes und feines Ohr“, schwärmt sie, die es „sehr schick“ fand, wie Kamilya Jubran auf ständige Tipps verzichtete und einfach zuhörte. „Eines Tages sandte ich einen Text, und sie schickte mir eine Musik zurück. Mir gefiel diese Komposition.“ Es entstand der letzte Song des Albums, „Sadak“, der an ein Theaterstück erinnert. „Es war für mich wirklich nicht sehr leicht, mit der Stimme und der Rhythmik diese Register zu ziehen“, meint Oum. „Sie arbeitet nicht mit Rhythmen, die man hört, man fühlt sie von innen. Es war für mich eine Entdeckung, wie Räume meines Körpers und meiner Stimme zum ersten Mal vibrierten.“ Jubran brachte ihre Kollegin auch zu tiefen Tonlagen. „Als wir mit den Proben begannen, brauchten wir sie für die beiden Stücke, die sie komponiert hat“, erzählt sie. Die Palästinenserin kam und blieb. Sie war bei der Aufnahme dabei und beim Mischen mit Martin Ruch. „Am Ende schauten wir uns an: Sie war die musikalische Leiterin des Albums.“
Die von Oum geschriebenen Texte engagieren sich für die Natur, für Migranten, für Frauen. Allerdings liegt ihr das Lyrische weit mehr als Forderungen. „Ich glaube nicht an eine brutale Veränderung“, erklärt sie. „Eine Revolution kann auch sanft vonstattengehen. Will man die Leute berühren, darf man ihnen keine Angst machen.“ Ihre Musik soll Ruhe geben, Stärke und Bestärkung. Sie soll guttun.
Der Song „Kemmy“ richtet sich mit den Worten „Du bist nicht allein“ an alle Frauen. „Ich hatte große Angst, dass man denkt, dass ich mich mit diesem Song an die Maghrebinerinnen oder die Araberinnen wende und sage: ‚Oh, ihr Armen, ich verstehe euch.‘“, so die Sängerin. Trotzig fügt sie hinzu: „Nicht im Geringsten! Es geht um Frauen wie du und ich, richtet sich an alle Mädchen, die heute geboren werden, an die alten Damen und Großmütter, Weiße oder Schwarze oder Frauen in Skandinavien.“ Oum findet es nervig, dass eine Afrikanerin in Europa oft auf Schleier und prügelnde Ehemänner angesprochen werde. „Aber schlagende Ehemänner gibt es überall in der Welt, und in den USA verdienen die Frauen auch nicht den gleichen Lohn wie die Männer.“ Für die Musikerin ist etwas anderes wichtig, das alle Frauen verbindet. „Allen Frauen auf der ganzen Welt geht es schlecht“, stellt sie fest, betont dann aber: „Das Schönste ist: Wir klagen nicht, wir weinen nicht. Was auch kommen mag, wir trösten und geben Liebe.“ Mit dem Song wollte sie allen Frauen sagen: „Wir sind stark.“
Oum El Ghaït Ben Essahraoui wurde in Casablanca geboren und wuchs in Marrakesch auf. Zuerst studierte sie Architektur, entschied sich dann aber für eine Musikkarriere. Mit den beiden Alben Lik’Oum von 2009 und Sweety 2012 wurde sie in ihrer Heimat zum Star. Sie wurde von der sogenannten Nayda beeinflusst, einer Bewegung junger Künstler, die ab der Jahrtausendwende im marokkanischen Dialekt Reggae, Metal, Jazz, Groove, Blues und andere nicht marokkanische Musik sangen. Der staatliche Rundfunk sendete damals Orchester- und traditionelle Musik, vielleicht noch einheimische Musik, wie sie auf Hochzeiten gespielt wird. „Nayda kam mit einer Alternative“, erzählt Oum, die bis dahin auf Englisch gesungen hatte und dann begann, die Texte ihrer Soulmusik auf Marokkanisch zu schreiben. „Nayda bedeutet ‚aufrecht‘, glücklicherweise wurde diese Bewegung von den freien und privaten Radios ab 2006 begleitet, die frischen Wind brauchten.“
Sie bedauert rückblickend, dass dieser Bewegung relativ schnell die Luft ausging. „Ich hatte viel Glück.“ Mit diesen Worten kommentiert die Sängerin ihre Begegnung mit Sir Ali, einem französischen Produzenten, Journalisten, Musiker und Radiomoderator. Er hatte ihre Musik entdeckt und kam zu einem Konzert nach Marokko, nach dem er befand, dass sie andere Musiker brauche. „Du brauchst Musiker, die dir zuhören, du brauchst traditionelle Instrumente, kennst du den Kontrabass?“, erinnert sich Oum. „Ich sagte: ‚Ich kenne ihn, habe aber nie was mit ihm angefangen.‘“ Gemeinsam fanden sie in Paris die Musiker, mit denen sie bis heute arbeitet: Yacir Rami (Oud), Damian Nueva (Kontrabass & Bassgitarre), Camille Passeri (Trompete & Horn), Amar Chaoui (Percussion) und Carlos Mejias (Sounddesign & Saxofone).
Sie habe viel Glück gehabt, wiederholt Oum, betont aber auch: „Ich kam nicht mit leeren Händen nach Frankreich und bat um Hilfe. Ich war bereits jemand. Diese Person verändert sich nun, hat Lust auf mehr Freiheit.“
Cover Daba
facebook.com/oum.officialpage oum.ma
Aktuelles Album: Daba (Lof Music, 2019)
0 Kommentare